Gartenstadt Hellerau

Hellerau ist heute ein Stadtteil Dresdens, war jedoch bis in die 1950er Jahre eine eigenständige Vorstadt. Sie galt als erste Gartenstadt Deutschlands und als beste Umsetzung der Utopie Gartenstadt angesehen (Weduwen 2021, S. 211). Dass sie die erste Gartenstadt ist, muss jedoch revidiert werden, da schon 1907 – ein Jahr vor Beginn des Baus in Hellerau – Ansätze einer Gartenstadt in Kaliningrad entstanden.
 

Konzept Gartenstadt

Das Konzept der Gartenstadt entstand in den 1870er Jahren in Großbritannien. Durch die Industrialisierung entstanden soziale Probleme und Armut. Es kam zur Einleitung von Sozialreformen. Vor allem durch Veränderungen der Wohnsituation sollte das Leben einfacher Leute verbessert werden. Es wurden weiträumigere Siedlungen mit großzügigen Gärten gebaut (Wilkinson 2013, S. 96). Ein Beispiel dafür ist Bedford Park in Westlondon (Wilkinson 2013, S. 96).
Diese Idee entwickelte sich weiter zur sogenannten Gartenstadtbewegung, dessen Vorreiter Ebenezer Howard war (Wilkinson 2013, S. 97). Er wollte ganze Städte ach dem Gartenstadt-Prinzip erbauen, mit großzügig durchgrünten Siedlungen, viel Freifläche und kommunalen Einrichtungen. Seine städtebaulichen Konzepte sollten die reformerischen Ideen widerspiegeln und gleichzeitig die Städte entlasten (Wilkinson 2013, S. 97).
Ebenezer plante ein ringförmig angelegtes Städtemodell, dass logisch durchdacht und zugleich schön sein sollte (Wilkinson 2013, S. 97). Dabei sollte eine Trennung der unterschiedlichen städtischen Funktionen stattfinden. Ein Park soll das Herz der Stadt bilden, davon gehen Boulevards strahlenförmig ab. In einem Kreis um den Park sind alle großen öffentlichen Gebäude angeordnet. Um den Stadtkern herum folgt ein breiter Grüngürtel. Dann folgen weitere konzentrische Ringe aus Wohngebäuden und Schulen, die jeweils durch Gärten getrennt sind. Im äußeren Rand befinden sich Schrebergärten und Milchbauernhöfe zur Selbstversorgung und der Anschluss an Eisenbahnlinien (Wilkinson 2013, S. 97-98). Ideologisch sollte in den Gartenstädten eine freie Assoziation und Selbstbestimmung der Bewohner stattfinden. Die Liebe zur Gesellschaft und die Liebe zur Natur sollten hervorgehoben werden und es sollte ein Gemeinschaftseigentum von Grund und Boden geben, um Flächenspekulationen zu vermeiden (Weduwen 2021, S. 211).
 

​Gartenstadt in Deutschland

In Großbritannien kam es zu dieser Zeit aber vor allem zu Stadterweiterungen statt zu Stadtneugründungen. Es gab nur geringe Aussichten auf die vollständige Umsetzung einer Gartenstadt. In Deutschland standen die Chancen besser (Wilkinson 2013, S. 99). Auch Deutschland war von den negativen Folgen der Industrialisierung betroffen und auch hier bildeten sich reformatorische Bewegungen (Weduwen 2021, S. 208). Aus diesen Bewegungen heraus entstand die Gartenstadt Hellerau, die als beste Umsetzung der Utopie Gartenstadt angesehen wird (Weduwen 2021, S. 211). Sie wurde 1908 von Karl Schmid, Wolf Dorn und Richard Riemerschmid gegründet (Nitschke 2005, S. 9). Karl Schmid war der Begründer der „Dresdener Werkstädten für Handwerkskunst“. Er benötigte Flächen für seinen Betrieb und plante, Werkssiedlungen für die Beschäftigten zu bauen. Er hatte von dem Modell und wollte damit bessere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten schaffen. Am 04.06.1908 gründeten die drei die gemeinnützige Gesellschaft Hellerau GmbH und eine Baugenossenschaft und kauften ein 140 ha großes Gelände. Das Ziel der drei war es, in Hellerau einen Dreiklang zwischen Wohnen, Arbeiten und Bildung zu ermöglichen. Die Bewohner sollten in Planungsentscheide mit eibezogen werden, Bodenspekulationen sollte vorgebeugt und bezahlbare Mieten sollten ermöglicht werden. Zudem beabsichtigten die Gründer eine „ganzheitliche Lebensform, eine neue Form der Gemeinschaft und die (rhytmus-)ästhetische Erziehung zu ‚besseren Menschen‘“ (Weduwen 2021, S. 207–208). Dafür holten sie sich den Komponisten und Musikpädagogen Emile Jaques-Dalcroze ins Boot. Dieser sollte eine kulturelle Lebensform schaffen, die künstlerisch interessierte Menschen anzog.
Die Bauvorgänge in Hellerau begannen 1909 (Weduwen 2021, S. 207). Die Bebauung wurde von Riemerschmid geplant, allerdings waren für die Gestaltung zahlreiche bekannte Architekten neben ihm tätig. Hellerau bot Platz für Experimente. Insgesamt entstanden vier Viertel: Ein Kleinhausviertel, ein Villenviertel, ein Viertel für Wohlfahrtseirichtungen und das Gelände für die Fabrikanalagen. Die Fabrikanlagen konnten 1910 schon bezogen werden. 1911 wurden die gewerblichen Anlagen und Läden als Kern der Stadt fertiggestellt. 1913 waren bereits 383 Wohnhäuser mit 407 Wohnungen entstanden und es lebten etwa 1900 Einwohner in Hellerau. Ein weiteres wichtiges Bauprojekt war das Festspielhaus. Dieses war vor allem ein Projekt von Dohrn und Dalcroze und wurde von Tessenow entworfen. Es sollte die Verbindung von Sozial- und Pädagogikreform darstellen. Der Bau des Festspielhauses wurde am 22.04.1911 begonnen und kostete rund 1 Mio. Mark, die hauptsächlich durch Wolf Dohrn gedeckt wurden. In dem Festspielhaus wurde eine Schule der rhythmischen Körperbewegung unter Leitung von Emile Jaques-Dalcroze eingerichtet, die im Jahr 1913/1924 bereits 495 Studenten hatte. Hellerau wurde zum Zentrum des modernen Ausdruckstanzes.

Erfolg der Gartenstadt

Die Gartenstadt Hellerau war in den ersten Jahren sehr erfolgreich. Das lag unter anderem an den Werkstätten für Handwerkskunst, die sehr erfolgreich in technischen Innovationen waren. Es fand die Produktion von kostengünstigen und hochwertigen Möbeln statt und es wurde eher auf Selbstverwirklichung als auf Massenproduktion gesetzt. Die führte zu einer Selbstverwirklichung im Wohnungsbau und einer höheren Wohnqualität. Weiterhin war auch das Festspielhaus ein großer Faktor. Durch dies wurde Hellerau innerhalb kürzester Zeit zu einer internationalen Künstler- und Kunsthandwerkerkolonie. Viele bekannte nationale und internationale Künstler traten im Theatersaal auf. Die jährlichen Festspiele machten Hellerau zu einem bekannten Festspielort. Insgesamt war es also der hohe Anteil an Innovationen und die Unvergleichbarkeit mit bestehendem, der in großen Teilen umgesetzte Idealismus und das positive Image durch die umgesetzten Reformen in Form der besseren Wohnverhältnisse, was Hellerau so erfolgreich machte (Sarfert 1999, S. 14).
 

​Niedergang der Gartenstadt

Mit dem ersten Weltkrieg ging dieser Erfolgszug jedoch abrupt zu Ende. Noch vor dem ersten Weltkrieg stirbt Dohrn, der größte Geldgeber der Gartenstadt, bei einen Skiunfall. Im Juni 1914 reist Dalcroze nach Genf, um dort Festspiele zu leiten, darf ach Beginn des ersten Weltkriegs jedoch nicht mehr zurückkehren, da er ein Protestschreiben gegen den Beschuss der Kathedrale von Reims unterschrieben hat. Darauf folgen der verlustreiche erste Weltkrieg und die darauffolgende Wirtschaftskrise. Im zweiten Weltkrieg werden in den Werkstätten Möbel für die Luftwaffe, Gewehrschäfte und Raketenteile produziert. 1946 kommt es dann zur Enteignung der Gartenstadt. Insgesamt zeigt sich die Problematik, dass die Gartenstadt sehr viel Kapital binden musste, was nach dem ersten Weltkrieg nicht mehr möglich war, und die Ideale unter dem Wandel der Zeit nicht bestehen bleiben konnten.(Pahl 2000, S. 18).
 

Aktuelle Entwicklungen

1950 wurde Hellerau in Dresden eingemeindet. 1980 wurden die letzten Wohnungen verkauft und bis 1989 der Baubestand fast vollständig erneuert. Heute ist Hellerau ein beliebter und kostspieliger Wohnraum in Dresden. Mit der Zeit entstanden neue Gebäude, die sich durch eigene Stile stark von der ursprünglichen Bebauung abheben. Das Festspielhaus wurde 2004 bis 2006 renoviert und ist weiterhin ein wichtiger Veranstaltungsort in Dresden und beinhaltet das Dresdener Zentrum für zeitgenössische Musik. Die deutschen Werkstädten Hellerau knüpften an handwerkliche Tradition und sind im hochwertigen Innenausbau tätig. Die historischen Räumlichkeiten sind heute Standort für Ingenieur- und Dienstleistungsunternehmen. Schon in der DDR würde ein Verein gegründet, um Hellerau als Architekturdenkmal zu schützen. Heute wird sich um die Aufnahme als Weltkulturerbe bemüht.

Literaturverzeichnis:

  • Nitschke, Thomas (2005): Grundlegende Untersuchungen zur Geschichte der Gartenstadt Hellerau. Leipzig: Engelsdorfer Verl. (Wissenschaft und Technik, 52).
  • Pahl, Walter (2000): Die Gartenstadt. Visionen und Wirklichkeit am Beispiel der Gartenstädte Dresden-Hellerau und Mannheim. Mannheim: Landesmuseum für Technik und Arbeit (LTA-Forschung, 36).
  • Sarfert, Hans-Jürgen (1999): Hellerau. Die Gartenstadt und Künstlerkolonie. 4., überarb. und erw. Aufl. Dresden: Hellerau-Verl. (Kleine sächsische Bibliothek, 3).
  • Weduwen, Karena (2021): Ausstieg ins Grüne. Zur Gründung der Gartenstadt Hellerau. In: Barbara Mahlmann-Bauer und Paul Michael Lützeler (Hg.): Aussteigen um 1900: Wallstein Verlag, S. 207–236.
  • Wilkinson, Philip (2013): 50 Schlüsselideen Architektur. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag. Online verfügbar unter http://gbv.eblib.com/patron/FullRecord.aspx?p=1636773.