Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft

Bianca Raffaela Hepp: „Erzählen über Hamroth. Zugehörigkeitskonzepte bei Kindern und Enkel:innen von „(Spät-)Aussiedler:innen“ (Arbeitstitel)

Erstbetreuer: Prof. Dr. Reinhard Johler

Welche Strategien der Herstellung von Zugehörigkeit entwickeln Kinder und Enkel von „(Spät-)Aussiedler:innen“ aus Rumänien? Die Eltern und Großeltern der fokussierten Interviewpartner:innen wanderten in den 1980er und 1990er Jahren aus dem in den Narrativen des Feldes als schwäbisches Dorf geschilderten Ort Hamroth (rum. Homorodu de Jos) nach Deutschland ein. Rund um das Dorf lässt sich eine Mobilität zwischen Deutschland und Rumänien sowie eine besondere Feierkultur der Heimatortsgemeinschaft (HOG) Hamroth e.V. beobachten. Beides beinhaltet transnationale und vergemeinschaftende Praktiken.
In den Erzählungen der Interviewpartner:innen im Alter von 16 bis 32 Jahren wird Hamroth als liminaler Raum konstruiert, der schwer zugänglich ist und in dem besondere Regeln gelten. Das geschieht unter anderem über die Trockentoilette (ugs. Plumpsklo) als Bestandteil eines typisch „hamrothischen“ Repertoires. Sie fungiert dabei als ein Mittel der Distinktion durch die Erfahrung der Überwindung. Über das Plumpsklo werden Erwachsensein, Individualität, Zugehörigkeit und (Handlungs-)Freiheit verhandelt.
Der Aufenthalt in Hamroth ist für die Feldteilnehmer:innen zeitlich begrenzt. Danach kann in den Alltag nach Deutschland zurückgekehrt werden. Bis dahin müssen sie in diesem isolierten Raum verbleiben, dessen Verbindungen zur Außenwelt gekappt sind. Das äußert sich beispielsweise durch Erzählungen über die fehlende (digitale) Infrastruktur oder vermeintliche Rückständigkeit des Ortes, die teils positiv, teils negativ gedeutet wird.

Die Zugehörigkeitsvorstellungen des fokussierten Samples sind als liminale Konstruktionen angelegt, die beispielsweise über die Fähigkeit, bestimmte „feldtypische“ Tänze zu beherrschen, verhandelt werden. Die Beherrschung der Fähigkeiten wird an das Aufwachsen in einem bestimmten zeitlichen, örtlichen und sozialen Kontext gekoppelt, den die Interviewpartner:innen ihren Eltern und Großeltern zuschreiben. Dadurch konstruieren sie ein liminales Selbstbild um ein unmöglich zu erreichendes Ideal. Auf diese Weise stellen sie „Generation“ als Feldkategorie her. Der Begriff dient dazu, um sich zu den Hierarchien und vergemeinschaftenden Praktiken des Feldes in Beziehung zu setzen.
Die Faschings- und Kirchweihfeiern der HOG Hamroth e.V. in Südwestdeutschland werden wie die Mobilität nach Hamroth als bedroht geschildert und stehen daher zwischen einer vergangenen „Blütezeit“ und einer ungewissen Zukunft. Sie befinden sich dauerhaft in einem Zwischenzustand zwischen zwei Polen und dienen so der Aushandlung von Zukunftsentwürfen.

Kurzvita

Geboren 1990 in Karlsruhe. Studierte Südslawistik und Südosteuropastudien in Jena. Während des Studiums Tutorin in südslawischer Literaturwissenschaft und wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl für Rumänistik. Seit 2019 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Ludwig-Uhland-Institut der Universität Tübingen.

Kontakt

bianca-raffaela.heppspam prevention@uni-tuebingen.de