Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft

Julia Gilfert: Rechten begegnen. Wie deutsche Gedenkstätten und Geschichtsorte mit rechtsextremer Einflussnahme umgehen. (Arbeitstitel)

Erstbetreuer: Prof. Dr. Thomas Thiemeyer

Mein Dissertationsprojekt entsteht im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 1070 „RessourcenKulturen“. Dort ist es innerhalb des Teilprojekts C07 („Objekte der Vergangenheit und Gegenwart als Ressource. Kulturerbe – Nationalismus – Identität“) angesiedelt. An der Schnittstelle von Empirischer Kulturwissenschaft und Zeitgeschichte befasst es sich mit der Frage, wie Gedenkstätten und Geschichtsorte in Deutschland mit rechtsextremer Einflussnahme umgehen.

Untersucht werden Institutionen, die von Akteur:innen des politisch rechten Spektrums als identitätsstiftend wahrgenommen und entsprechend genutzt werden. Im Zentrum meiner Analyse werden die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen in Oranienburg (Brandenburg), die Erinnerungs- und Gedenkstätte Wewelsburg in Büren (NRW) und die Dokumentation Obersalzberg in Berchtesgaden (Bayern) stehen. Die Institutionen wurden insbesondere deswegen ausgewählt, weil sie sich hinsichtlich einiger mutmaßlich relevanter Faktoren (geografische Lage, Größe, Trägerschaft, Art der Vermittlung) stark voneinander unterscheiden. Gleichzeitig haben sie eines gemeinsam, nämlich dass sie regelmäßig als „Bühne“ und Projektionsfläche für kollektive rechtsextreme Identitäten und Geschichtsbilder dienen.

Meine Hypothese ist, dass sich rechtsextreme Einflussnahme nicht nur auf die Arbeitsweise und das Angebot (Ausstellungen, Workshops, Schulungen, Öffentlichkeitsarbeit, …) der entsprechenden Institutionen auswirkt, sondern auch auf die Emotionen, die (berufliche) Selbstwahrnehmung, das Denken und die Alltagspraktiken der Mitarbeitenden. Konkret möchte ich erfahren: Was machen die regelmäßigen Konfrontationen und Auseinandersetzungen mit rechten und rechtsextremen Akteur:innen mit den Mitarbeitenden? Wie bereiten sie sich darauf vor, wie gehen sie damit um? Worin sehen sie den Sinn ihrer Arbeit, wo deren Grenzen?

Indem ich Konzepte der kulturwissenschaftlichen Raumforschung mit denen der kulturwissenschaftlichen Emotionsforschung verbinde, möchte ich mich den folgenden Forschungsfragen nähern:

Wie äußert sich rechtsextreme Einflussnahme konkret und von welchen Faktoren hängt die Art der Einflussnahme ab?

Wie wird vor Ort mit rechtsextremer Einflussnahme umgegangen und von welchen Faktoren hängen die jeweiligen Strategien ab?

Welche Auswirkungen hat rechtsextreme Einflussnahme auf die Arbeitsweise und die Angebote der Institutionen – und welche Konsequenzen hat sie für die Selbstwahrnehmung und die Emotionen der Mitarbeitenden?

Der erzähltheoretischen Tradition der Empirischen Kulturwissenschaft entsprechend, wird das Sprechen über Praktiken und Emotionen der Modus meiner Arbeit sein. Mithilfe von leitfadengestützten Interviews möchte ich mich dem individuellen Erleben, den Emotionspraktiken und den Strategien der Mitarbeitenden annähern. Zusätzlich werde ich über teilnehmende Beobachtungen versuchen, die Verschränkungen von Räumen, Akteur:innen, Emotionen und Praktiken zu erfassen. Diskurs- und Medienanalysen werden das Methodenspektrum ergänzen, um die empirischen Daten zu kontextualisieren.

Kurzvita

Geboren 1990 in Ludwigshafen am Rhein. Zunächst Studium des Klassischen Gesangs in Mannheim, dann Europäische Ethnologie/Volkskunde und Skandinavistik in Kiel (BA) und Europäische Ethnologie/Volkskunde in Würzburg (MA). Während des Masterstudiums Hilfskraft an der Forschungsstelle für fränkische Volksmusik in Uffenheim. Seit 2011 Gedenk- und Bildungsarbeit zu den nationalsozialistischen „Euthanasie“-Morden. Seit Herbst 2021 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Sonderforschungsbereich 1070 „RessourcenKulturen“ der Universität Tübingen.