Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft

Lorena Popović: Inklusion durch „Hybridität“ – die Konstruktion einer istrianischen Regionalidentität (Arbeitstitel)

Erstbetreuer: Prof. Dr. Reinhard Johler
Sonderforschungsbereich 923 „Bedrohte Ordnungen“: G03 Eine „Genealogie von Hybridität“. Die bedrohten Ordnungen der multikulturellen Halbinsel Istrien (1970–2013)

Die Halbinsel Istrien unterlag im Laufe des 20. Jahrhunderts gleich mehreren sowohl politischen als auch demographischen Veränderungen. Bis 1918 Österreich-Ungarn angehörig, befand sich Istrien bis Ende des Zweiten Weltkrieges unter italienischer Herrschaft. Während des Faschismus wurde vor allem die slawische Bevölkerung verfolgt und vertrieben. Nachdem 1945 der Großteil der Halbinsel an das sozialistische Jugoslawien fiel, wurde das Freie Territorium Triest in die Zonen A und B eingeteilt. Das Londoner Memorandum von 1954 löste das Freie Territorium und die Zonen de facto auf und stellte Zone B nun unter jugoslawische Administration. Allein in diesem Zeitraum verließen um die 250.000 Menschen überwiegend italienischer Zugehörigkeit im „Exodus“ den jugoslawischen Teil der Adriahalbinsel. Doch erst mit dem Vertrag von Osimo 1975 setzten sich die Staatsgrenzen endgültig fest.
Bereits seit den frühen 1970er Jahren setzten sich zuerst Literaten, dann weitere Kulturschaffende und letztlich Wissenschaftler mit der Singularität Istriens auseinander. Demnach zeichnen sich Istrien und seine Bewohner durch einen kulturell wie ethnisch „hybriden“ Charakter aus, dessen Wurzeln romanisch, slawisch als auch germanisch sind. Diese Istrianität (istrijanstvo/istrianità) artikuliert schließlich seit den 1990er Jahren die Regionalpartei IDS-DDI (Istarski demokratski sabor, Dieta democratica istriana; Istrischer demokratischer Landtag) auch auf politischer Ebene. Sie definiert Istrien als slawisch-romanische Region und betrachtet Slowenen, Italiener und Kroaten als Istriens „richtige“, autochthone Bevölkerung. Im Zuge dessen entstand, ausgehend von den istrischen Kulturschaffenden, ein neues, auf die Region begrenztes Identitätsnarrativ, das die Bewohner Istriens eint. Istriens Besonderheit kennzeichnet sich durch seine über die Jahrhunderte hinweg hindurchziehende kulturelle wie sprachliche Vielfalt und seiner ethnisch heterogenen Bevölkerung. Multiethnizität, Multikulturalität und Diversität jeglicher Art sowie das friedliche Zusammenleben (convivenza) der verschiedenen Volksgruppen prägen die istrische Halbinsel. Die Istrianität, für die weiterhin kein ‚Masternarrativ‘ existiert, rekurriert dabei auf die vergangenen Imperien Venedigs und Habsburgs und begründet sich mitunter auf deren imperiales Erbe.

Angesichts des Zerfalls Jugoslawiens und der durch die Zentralregierungen Sloweniens und Kroatiens propagierten Nationalisierung der jeweiligen Republiken in den 1990er Jahren stand die Istrianität dem slowenischen bzw. kroatischen Nationalismus überdies als eine Art regionaler Gegenpol gegenüber. Die Nationalismen stellten eine reale Bedrohung für mitunter die italienische Minderheit in den jungen Nationalstaaten dar. Seit den Unabhängigkeitserklärungen Sloweniens und Kroatiens im Jahre 1991 durchziehen Istrien nun zwei Staatsgrenzen. Die von Kultur und Politik propagierte Istrianität beschränkt sich seitdem vor allem auf den kroatischen Teil der Halbinsel; in Slowenien hingegen hatte sich die Landesgrenze auch mental manifestiert und die Istrianität somit nicht durchsetzen können.
Ziel dieser Arbeit ist es, die verschiedenen Inklusions- und Grenzziehungsprozesse in Istrien nachzuvollziehen, die schließlich die Istrianität generierten. Im Fokus stehen dabei verschiedene Akteursgruppen, von Literaten über Musiker bis hin zu Politikern und Wissenschaftlern. Sie alle differieren in ihrer Auslegung der Istrianität. Somit untersucht die Arbeit die diversen Deutungen dieses Identitätsnarrativs und berücksichtigt dabei auch seine Entwicklung zwischen 1970 und dem EU-Beitritts Kroatiens 2013.

Kurzvita

1994 geboren in Tübingen. Studium der Geschichtswissenschaft und Anglistik/Amerikanistik in Tübingen und Cork, Irland. Masterabschluss mit der Arbeit „MADE IN ISTRIA. Die Raumkonstruktion Istriens in Literatur, Politik und Dokumentarfilm 1977–2002“. Von 2015 bis 2019 studentische/wissenschaftliche Hilfskraft im Teilprojekt G03 „Istrien als ‚Versuchsstation‘ des Kulturellen. Hybridität als (bedrohte) Ordnung“ des SFB 923 „Bedrohte Ordnungen“. Seit 2019 wissenschaftliche Mitarbeiterin am SFB 923 „Bedrohte Ordnungen“, Teilprojekt G03 „Eine ‚Genealogie von Hybridität‘. Die bedrohten Ordnungen der multikulturellen Halbinsel Istrien (1970–2013)“.

Kontakt  

lorena.popovicspam prevention@uni-tuebingen.de