Heinz Pietsch (1926-1989) war Lehrer in Tübingen. Von 1942 bis zu seinem Tod fotografierte er rund 110.000 Farbdias. Laut Auskunft seiner inzwischen verstorbenen Witwe war der Alltag in der Familie ohne Fotoapparat undenkbar. Ähnlich wie ein Paparazzo habe Pietsch zu jeder Gelegenheit seine Ka-mera gezückt: nach dem Shoppen im Supermarkt ein Foto von den Einkäufen im Kofferraum, die neuen Hausschuhe der Gattin oder den Fernsehapparat während einer Sendung im Jahr 1956. Außerdem fotografierte er immer wieder Menschen und Gebäude in Tübingen und Umgebung.
Mit seinen Bildern hat Heinz Pietsch eine Art visuelles Tagebuch geschaffen – viele Jahrzehnte bevor diese Möglichkeit der biografischen Dokumentation dann im digitalen Zeitalter ihre fotografische Verbreitung fand. Die Fotografien von Heinz Pietsch sind nicht nur Dokumente der Heimatgeschichte, vielmehr vermitteln sie auch die Sicht des Familienoberhaupts auf die Familie. Die Bilder zeigen jene vermeintlich nebensächlichen Gegenstände oder Handlungen des Alltags, die in der analogen Fotografie weder ein Fotoamateur noch ein Profi aufgenommen hätte.
Die Studierendengruppe der Tübinger Medienwissenschaft unter der Leitung von Ulrich Hägele hat eine Auswahl von Pietschs Werk in Szene gesetzt und in einer Begleitpublikation forschend kontextualisiert, der Band erscheint im TVV-Verlag.