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10.10.2025
Neu an der WiSo: Juniorprofessorin Dr. Yizhen Huang für Empirische Bildungsforschung
In einem Interview mit Wissenschaftskommunikatorin Rebecca Beiter stellt Prof. Dr. Huang ihr Fachgebiet und ihre Motivation vor.
Im Oktober 2025 trat Prof. Dr. Yizhen Huang ihre Stelle als Juniorprofessorin am Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung an der Universität Tübingen an. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Schnittstelle von Erziehungswissenschaften, Psychologie und Technologie. In einem Interview mit Wissenschaftskommunikatorin Rebecca Beiter stellt Huang ihr Fachgebiet und ihre Motivation vor.
Beiter: Wie erklären Sie Ihr Fachgebiet jemandem, der noch nie davon gehört hat?
Huang: Lehren ist eine kognitiv anspruchsvolle Tätigkeit. Lehrkräfte müssen die Reaktionen der Schüler:innen in Echtzeit interpretieren und ihren Unterricht anpassen, um das Engagement und Verständnis der Schüler:innen zu fördern. Diese Komplexität betrifft ebenso das Lernen. Schüler:innen lernen in einem kognitiven, motivationalen und emotionalen Kontext, und ihre Erfahrungen werden stark davon geprägt, wie der Unterricht strukturiert ist und wie das Klassenzimmer als soziale und technologische Umgebung funktioniert.
Da Klassenzimmer einen digitalen Wandel durchlaufen, wird es noch relevanter, die Wechselwirkung zwischen Lehr- und Lernprozessen zu verstehen. Dennoch ist unser wissenschaftliches Verständnis davon, wie sich diese Prozesse in authentischen Situationen entfalten und wie man Interventionen zur Verbesserung gestaltet, noch immer begrenzt. Diese Herausforderung bildet seit meiner Promotion den Kern meiner Forschung.
Beiter: Sie nutzen in Ihrer Forschung Virtual Reality und maschinelles Lernen – wie genau funktioniert das?
Huang: Ich verwende immersive Virtual-Reality-Simulationen (VR) mit genAI-gestützten Schüler:innen, um komplexe Unterrichtssituationen digital nachzubilden und gleichzeitig eine präzise Steuerung und Messung zu ermöglichen. Ich integriere multimodale Daten aus Simulationen und realen Klassenzimmern, die kognitive, affektive und verhaltensbezogene Dimensionen des Lernens erfassen, und analysiere sie mit Hilfe von maschinellem Lernen (ML). Auf diese Weise kann ich Modelle für professionelle Lehrkompetenz erstellen und untersuchen, wie Schüler:innen lernen, sich zu engagieren und durchzuhalten.
Meine Forschung befindet sich an der Schnittstelle zwischen Pädagogik, Psychologie und Technologie. Durch die Untersuchung beider Seiten des Unterrichts – der Lehrkräfte und der Lernprozesse der Schüler:innen – möchte ich mit meiner Forschung eine Unterrichtspraxis vorantreiben, die zur Lehrkräfteausbildung beiträgt, Lernergebnisse verbessert und den effektiven Einsatz von KI im Bildungswesen leitet.
Beiter: Was motiviert Sie persönlich?
Huang: Ich bin in einer Kultur aufgewachsen, die großen Wert auf Bildung legte – das allerdings auf eine eindimensionale, leistungsorientierte Weise, bei der das einzelne Ergebnis immer Vorrang vor den eigentlich tiefergehenden Prozessen des Lehrens und Lernens hatte. Ich bin zwar ein Produkt dieser Kultur, habe mich aber auch dagegen aufgelehnt. Ein für mich entscheidender Moment war das damals neue Web 2.0, das während meiner prägenden jungen Jahre aufkam und mir den Zugang zu vielfältigen Perspektiven ermöglichte – wie Mangas, Videospiele und oder die Hacker-Community.
Ich glaube an den Wert von Bildung. Meine akademische und berufliche Laufbahn hat mich allerdings gelehrt, dass Lehren und Lernen keine linearen Wenn-Dann-Prozesse sind. Und: dass Unterrichtstechnologien nicht automatisch zu besseren Ergebnissen führen. Beides sind komplexe Prozesse. Sie entstehen in Echtzeit und sind von kognitiven, emotionalen und sozialen Dynamiken geprägt. Nach wie vor bestehen erhebliche Lücken – in unserem wissenschaftlichen Verständnis dieser Prozesse, in der Lehrkräfteausbildung und in der Entwicklung von Technologien, die Lernende wirklich unterstützen.
Diese Spannung motiviert mich. Ich möchte die Lücke zwischen Innovationsversprechen und Unterrichtsrealität schließen. Ich möchte Wissen beisteuern, das die Komplexität von Lehr- und Lernprozessen berücksichtigt und gleichzeitig praktische Lösungen schafft, die Lehrende und Lernende stärken.
Beiter: Wenn man einen Überblick über Ihre bisherige Arbeit gewinnen möchte, welche Publikationen würden Sie empfehlen?
Huang: Ich würde eine Studie empfehlen, an der ich besonders gerne gearbeitet habe:
- Huang, Y., Richter, E., Kleickmann, T., Scheiter, K., & Richter, D. (2023). Body in motion, attention in focus: A virtual reality study on teachers’ movement patterns and noticing. Computers & Education, 206, 104912. https://doi.org/10.1016/j.compedu.2023.104912
Dieser Artikel vereint mehrere meiner wichtigsten methodischen Interessen – Bewegungserfassung, Eye-Tracking, VR und ML – und liefert empirische Belege dafür, wie Lehrkräfte die „Aktionszone” (den T-förmigen Bereich vorne in der Mitte des Klassenzimmers, in dem Lehrkräfte am häufigsten mit den Schüler:innen interagieren) durchbrechen können.
Wer an den praktischen Implikationen dieser Arbeit interessiert ist, den möchte ich auf eine Folgestudie hinweisen. Darin haben wir ein Feedback-Protokoll entwickelt, um angehenden Lehrkräften zu helfen, ihre Wahrnehmungs- und Bewegungsmuster zu verbessern:
- Huang, Y., Hansen, M., Richter, E., Kleickmann, T., Scheiter, K., & Richter, D. (2025). Enhancing preservice teachers’ noticing via adaptive feedback in a virtual reality classroom. Learning and Instruction, 95, 102053. https://doi.org/10.1016/j.learninstruc.2024.102053
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