Juristische Fakultät

27.11.2023

Neuste Entwicklungen zum Einsatz von Legal Tech und Künstlicher Intelligenz in der Justiz in Baden-Württemberg

Im Rahmen der Herbstsitzung der Juristischen Gesellschaft Tübingen referierte Richard Hu (Ministerium der Justiz und für Migration Baden-Württemberg) zu aktuellsten Entwicklungen der Justiz

Vorsitzender des Themenkreises KI der Bund-Länder-Kommission und Leiter des ,,bw.JusticeTech“ Richard Hu

Am 14. November 2023 lud die Juristische Gesellschaft zur alljährlichen Herbstsitzung in den Schwurgerichtssaal des Landgerichts Tübingen. Der Präsident des Landgerichts und stellvertretende Vorsitzende Reiner Frey begrüßte die zahlreich erschienenen Mitglieder und gab einen kurzen Einblick in aktuelle Fälle der Tübinger Justiz, die besonders aufgrund der Verhandlungen zum ,,Bota-Fall“ momentan das Interesse der Öffentlichkeit auf sich gezogen hatten.

Im Folgenden lieferte Prof. Stefan Huber in Vertretung des Dekans Prof. Jens-Hinrich Binder einen Rückblick auf das laufende Universitätsjahr. Hierbei betonte er die Kontinuität, mit der Programme der Tübinger Fakultät wie z.B. ,,Recht-Ethik-Wirtschaft“, ,,Recht und Rhetorik“, das Tübingen-Chapel Hill-Austauschprogramm mit den USA oder auch das Netzwerk Ost-West durchgeführt würden und in besonderem Maße das Interesse der Studierenden an einem Blick ,,über den Tellerrand hinaus“ befriedigten. Weiter hob Huber die Erfolge hervor, die die Fakultät verzeichnen konnte. So gewann das Tübinger Team beispielsweise den VGH Moot Court, zudem wurde Prof. Martin Nettesheim zum Vorsitzenden der bedeutenden Staatsrechtslehrervereinigung gewählt. Ebenfalls würdigte Huber die Gewinnung von Prof. Christian Picker als Nachfolger des emeritierten Kollegen Prof. Hermann Reichold auf den Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht.

Im Anschluss daran gab Prof. Hermann Reichold nach 12 Jahren als 1. Vorsitzender der Juristischen Gesellschaft den Rücktritt von diesem Amt bekannt. Eine tiefe Zäsur im Leben der Gesellschaft nannte Huber dies in seiner Laudatio, die er abermals in Vertretung des Dekans auf Reichold hielt. Die lange und erfolgreiche Zeit Reicholds als Vorstand belege schon allein die Mitgliederentwicklung der Gesellschaft, die sich während seiner Amtszeit verdoppelt habe. Großes Engagement zeichnete ihn auch als Redaktionsleiter des Jura Aktuell-Newsletters der Fakultät und als Chef der Öffentlichkeitsarbeit aus. Über die dienstliche Ebene hinaus machten Reichold dessen unkomplizierte und kooperative Art, sowie, so ergänzte Huber, die in der Sache direkte und zielführende und im Persönlichen zuvorkommende Art aus.

Auf diese Laudatio folgte die Wahl eines neuen Mitglieds des Vorstands, die von Prof. Michael Dröge geleitet wurde. Prof. Stefan Huber stellte sich zur Wahl und wurde einstimmig zum Nachfolger von Prof. Reichold in den Vorstand der Juristischen Gesellschaft gewählt. Prof. Huber nahm die Wahl an, bedankte sich für das ihm entgegengebrachte Vertrauen und betonte seine Freude auf die Zusammenarbeit mit den anderen Vorstandsmitgliedern der Gesellschaft.

Abgerundet wurde die Sitzung durch den Vortrag von Richard Hu (Ministerium der Justiz und für Migration Baden-Württemberg), der den Zuhörern einen spannenden Einblick in die neuesten Entwicklungen zum Einsatz von Legal Tech und KI in der Justiz in Baden-Württemberg bot. Als Vorsitzender des Themenkreises KI der Bund-Länder-Kommission und Leiter des ,,bw.JusticeTech“ Experte auf dem Gebiet Recht und Künstliche Intelligenz, führte Hu mit Begriffserklärungen zum Thema KI in seinen Vortrag ein. So handele es sich bei ,,Justice Tech“ um einen Unterfall von Legal Tech, also einem Sammelbegriff für Digitalisierung der Justiz durch moderne KI-Anwendungen. Beim Begriff der Künstlichen Intelligenz dürfte als erstes das Thema „ChatGPT“ in den Sinn kommen. Die Frage, ob die Justiz auch mit ChatGPT arbeite, klärte Hu deshalb gleich zu Beginn: Zum einen müssten hierzu derzeit in der Regel Server in den USA genutzt werden, wobei klar sein dürfte, dass sich hochsensible Justizdaten nicht auf Server in den USA befinden dürfen. Zum anderen handele es sich bei besagtem Programm um eine wahrscheinlichkeitsbasierte Textproduktion ohne Verständnis für Textinhalte, weshalb ChatGPT derzeit ,,kein Jura“ könne. Diese These belegte der Referent mit eindrücklichen Beispielen, in denen er die KI mit juristischen Fällen ,,fütterte“ und aufzeigte, dass ChatGPT in der Falllösung juristischen Tücken wie dem Trennungs- und Abstraktionsprinzip nicht gewachsen sei. Juristische Arbeit, so der Referent, könne eben nur mit Logik und nicht durch Wahrscheinlichkeit geleistet werden.

Die juristische Arbeit, die die Justiz in Baden-Württemberg leiste, würde allerdings durch eine Handvoll anderer spannender Tools unterstützt. Zu nennen sei hier beispielsweise der Oberlandesgerichts-Assistent (OLGA), der in Reaktion auf die hohe Auslastung der Gerichte infolge der Diesel-Massenverfahren Sachverhalte auffassen und den entsprechenden Sachstand komprimiert darstellen könne. Hierzu müsse betont werden, dass der Assistent (anders als ChatGPT) gerade nicht etwas behauptet, was er nicht weiß, sondern beispielsweise klar stellen könne, wenn er relevante Informationen in Akten nicht finden oder eindeutig zuordnen könne. Dies mache ihn besonders vertrauenswürdig.

Ebenfalls eine spannende Anwendung stelle darüber hinaus das Justiz-Anonymisierungstool (JANO) dar. Diese Technologie könne in juristischen Sachverhaltsdarstellungen personen-bezogene Daten erkennen und durch passende Pseudonyme ersetzen. So würde die Landesjustiz zukünftig dem Interesse der Bevölkerung an der zeitnahen Veröffentlichung von Urteilen auf der einen und dem Anspruch der Prozessbeteiligten auf Datenschutz auf der anderen Seite gerecht. Ein System des Unternehmens Codefy könne hingegen umfangreiche und komplexe Akten sichten, durchsuchen und relevante Inhalte letztlich übersichtlich darstellen. Dieser breite Pool an Anwendungen sei jedoch nicht abschließend, wie der Ausblick des Referenten auf mögliche weitere Assistenten zeigte. So könnten in Zukunft Technologien bei Anträgen auf Prozesskostenhilfe die Gerichte unterstützen oder die Bereinigung von Stammdaten-Dubletten bei den Staatsanwaltschaften erleichtert werden.

Darüber hinaus erarbeite die Justiz BW im Rahmen einer KI-Gesamtstrategie für Bund und Länder momentan eine KI-Plattform. Diese soll als eine Art ,,KI-Marketplace“ konstruiert werden, über den die genannten Akteure Anwendungen anbieten, abrufen und möglicherweise auch betreiben könnten. Gleichzeitig könne die Möglichkeit für Unternehmen geschaffen werden, neue Anwendungen initiativ anzubieten. Es bleibe also spannend, anhand welcher Entwicklungen die KI die Justiz in Zukunft weiter entlasten dürfte, um einen effektiven Rechtsschutz garantieren zu können. Hu beendete seinen Vortrag aber mit der wichtigen Botschaft, dass am Ende doch immer noch der Mensch entscheide. Die Systeme würden nach wie vor lediglich als Unterstützung in der Entscheidungsvorbereitung und nicht bei der Entscheidungsfindung dienen.

Der Referent betonte dies auch in der anschließenden Diskussionsrunde, bei der das hoch interessierte Publikum angeregt mit dem Referenten über Grenzen und Möglichkeiten von Künstlicher Intelligenz in der Justiz diskutierte.

 

Text: Victoria Schwarzer 

Bilder: Laura Anger 

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