Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät

Alle Nachrichten

04.05.2011

Die Wahl der Hochschule sagt viel über Leistungsfähigkeit, Persönlichkeit und sozialen Status

Unterschiede zwischen den Studierenden von Uni, FH und Dualer Hochschule

Wer in Baden-Württemberg nach dem Abitur studieren möchte, hat die Wahl zwischen mehreren Hochschultypen. Um die Schulabgänger konkurrieren mit unterschiedlichen Studienprofilen Universitäten, Fachhochschulen, Pädagogische Hochschulen und die Duale Hochschule Baden-Württemberg (DHBW), in der sich die Berufsakademien zusammengeschlossen haben. Zu welchen Ergebnissen diese Konkurrenz führt, welche Schulabgänger sich am Ende tatsächlich für welchen Hochschultyp entscheiden, haben jetzt Tübinger Bildungsforscher am Beispiel der beiden Studienrichtungen Wirtschaft und Technik im Vergleich von Uni, FH und DHBW empirisch untersucht. Dr. Jochen Kramer, Autor der Studie: „Wir haben deutliche Unterschiede zwischen den Hochschultypen gefunden, was die Leistungsvoraussetzungen anbelangt, was die Herkunft anbelangt, und nicht ganz so bedeutende Unterschiede in den persönlichen Voraussetzungen.“

Die Studie ist ein Beispiel für die Arbeit eines der Forschungsschwerpunkte der Universität Tübingen, der empirischen Bildungsforschung. Prof. Dr. Ulrich Trautwein leitet die Abteilung für empirische Bildungsforschung und pädagogische Psychologie im Institut für Erziehungswissenschaft. Mit seiner Forschung will er zur Versachlichung der Bildungsdebatte beitragen, etwa indem der Erfolg von Reformprojekten anhand überprüfbarer Fakten gemessen wird. Die Schulleistungsstudie Pisa ist für ihn ein gutes Beispiel. „Pisa hat, in der Sprache der Medizin gesprochen, die Diagnose erlaubt und in ganz begrenztem Maße Ursachenforschung. Wir versuchen, auch zu intervenieren, indem wir uns fragen, welche Faktoren man verändern kann, und entsprechende Experimente machen.“

Die aktuelle Studie seines Mitarbeiters Dr. Jochen Kramer gehört in diesem Sinne in den Bereich der Diagnose mit Ansätzen zur Ursachenforschung. Kramers Fragestellung war: Wie hängen individuelle Leistungsfähigkeit, Persönlichkeit und soziale Herkunft mit der Entscheidung für einen bestimmten Studienweg zusammen?

Ein eindeutiges Ergebnis der Studie ist: Die noch in den neunziger Jahren formulierte Vorstellung, die „Masse“ der Studierenden solle an den FHs und Berufsakademien ausgebildet werden, und die „Klasse“ an den Universitäten, lässt sich in der Realität von heute nicht wiederfinden. So entspricht es zwar den Erwartungen, dass Studierende an der DHBW eher praxisorientiert und solche an den Universitäten eher untersuchend-forschend interessiert sind. Doch mit ihrem Interesse am Forschen grenzen sich die Universitätsstudierenden allenfalls gegen die Fachhochschüler eindeutig ab. An der DHBW ist die Forschungsmotivation durchaus ebenfalls vertreten. Überhaupt gelingt es der DHBW nach dieser Untersuchung, sowohl im Bereich der Technik wie in der Wirtschaft für leistungsfähige Studierende attraktiv zu sein – und den Unternehmen, bei denen die Studierenden im Dualen Modell der DHBW angestellt sind, gelingt es, Studierende mit guten Voraussetzungen auszuwählen.

Die Unterschiede der Kriterien, nach denen die Studierenden sich für einen Hochschultyp entscheiden, sind bei Studierenden in Technikfächern größer als in Wirtschaftsfächern. „Bei den Technikstudierenden konnten wir sehen, dass die soziale Herkunft klassisch noch eine Rolle spielt, dass also Studierende aus bildungsnäherer Schicht mit höherem sozioökonomischen Status eher an die Uni gehen. Bei den Wirtschaftswissenschaftlern sieht man das auch so. Aber: auch die FH rekrutiert Wirtschaftstudierende aus höheren sozioökonomischen Schichten. Ganz strikt scheint also die Aufteilung nicht zu sein.“ Zudem zeigt sich vor allem bei Technikstudenten, dass die Unterschiede in den individuellen Leistungsvoraussetzungen sehr viel stärker sind als die sozialen Unterschiede. Die individuellen Leistungsvoraussetzungen wurden durch die Abiturnote und anhand verschiedener Tests gemessen, zu denen auch solche in Mathematik und Englisch gehörten. In dieser Kategorie schnitten die Fachhochschulstudierenden der Technik deutlich schlechter ab als ihre Kommilitonen an der DHBW, und auch schlechter als die Universitätsstudierenden.

Um sich ein Bild von Persönlichkeitsunterschieden machen zu können, hatten die Forscher die Probanden anhand standardisierter Fragebögen nach Interessen, Motiven und grundlegenden Persönlichkeitseigenschaften befragt. Die Studierenden der Wirtschaft an der DHBW offenbarten dabei starke Interessen im Ordnen und Verwalten. Die Technikstudierenden an der DHBW sind stark handwerklich-technisch interessiert und gleichzeitig – ebenso wie die Universitätsstudierenden – stark untersuchend-forschend. Während Technikstudierende an Universitäten ihre Persönlichkeit als offen für neue Erfahrungen einstufen, betonen Studierende der DHBW im Vergleich zu FH-Studierenden ihre Gewissenhaftigkeit.

Für ihre empirische Untersuchung standen den Forschern umfangreiche Daten der sogenannten TOSCA-Studie zur Verfügung. Im Jahr 2002 wurden in Baden-Württemberg erstmals die Abgänger von allgemeinbildenden und beruflichen Gymnasien zu ihrer Selbsteinschätzung befragt. Seitdem werden diese Schulabgänger alle zwei Jahre erneut befragt, und seit 2006 auch die Abgänger des Jahrgangs 2006. Ziel ist, den Weg von der Hochschulreife in die akademische Karriere über einen langen Zeitraum zu verfolgen. Daher auch das Akronym TOSCA; es steht für „Transformation des Sekundarschulsystems und akademische Karrieren“.

Die Antworten von 1230 Schülern hat Jochen Kramer für seinen Vergleich herangezogen. Er beschränkte sich auf die Fächer Wirtschaft und Technik, weil nur in diesen beiden Bereichen die drei Hochschultypen vergleichbare Studiengänge anbieten. Trotzdem lassen sich die Ergebnisse der Studie nicht auf das ganze Bundesgebiet übertragen. Denn die TOSCA-Studie erfasst zum einen nur Absolventen von allgemeinbildenden und beruflichen Gymnasien. Andere Wege zum Studium sind nicht erfasst. Außerdem ist es eine baden-württembergische Studie. Erfasst sind nur Abiturienten, die von baden-württembergischen Gymnasien an eine Hochschule im Land oder in anderen Bundesländern gegangen sind.

In seinem Fazit rechnet Jochen Kramer mit einer weiteren Angleichung der Studiengänge zwischen den Hochschultypen, da mit den neuen Bachelor- und Masterstudiengängen an allen Hochschultypen forschungs- und praxisorientierte Studiengänge erlaubt und erwünscht sind und die Studiendauern einander angeglichen sind. Zudem soll der Bachelor einen Wechsel der Hochschule leichter machen. Dennoch empfiehlt er den Hochschulen: „Die vorliegenden Befunde darüber, wie sich die Studierenden an verschiedenen Hochschultypen unterscheiden, können bei der Profilbildung der Hochschulen sowie der Gestaltung und Evaluation der Studienangebote einen wertvollen Beitrag leisten.“

Die Studie: Jochen Kramer, Gabriel Nagy, Ulrich Trautwein, Oliver Lüdtke, Kathrin Jonkmann, Kai Maaz und Rainer Treptow: Die Klasse an die Universität, die Masse an die anderen Hochschulen? Wie sich Studierende unterschiedlicher Hochschultypen unterscheiden. In Druck.

Textquelle: Pressemitteilung der Hochschulkommunikation der Universität Tübingen

Zurück