WiSe 2020/21 (Universität Tübingen)
Kulturtheorien der Unterdrückung in Text und Film. Vom Kolonialismus über die Subalterität zum Kapitalismus
Der Rassismus als stärkste Form kultureller Unterdrückung hänge eng mit der Geschichte des Kapitalismus zusammen, konstatiert der kamerunische Theoretiker und Historiker Achille Mbembe in seinem vielzitierten Buch Critique de la raison négre von 2013 (dt., Kritik der schwarzen Vernunft, 2014, 2016² S. 325), das mittlerweile zum Kanon postkolonialer Theorien gehört. In eine ähnliche Kerbe schlägt auch der wenige Jahre darauf entstandene vierstündige Dokumentarfilm Les Routes de L’esclavage von 2018 (dt., Menschenhandel. Eine kurze Geschichte der Sklaverei, arte 2018) von Daniel Cattier, in dem ebenfalls die Grundlagen kultureller Unterdrückung wirtschaftliche und ökonomische sind. In unserem Seminar Kulturtheorien der Unterdrückung möchten wir der Frage nachgehen, ob die heute so selbstverständlich wirkende Verbindung von Unterdrückung und Kapitalismus in Theorie und Film schon immer existiert hat oder ob vielleicht in älteren kanonischen Texten und Filmen weniger ökonomische, aber dafür umso mehr psychische, soziale oder narrative Elemente die Grundlagen kultureller Unterdrückung sind? Hierfür werden wir uns den klassischen Texten und Filmen Über den Kolonialismus (1950) von Aimé Césaire, Die Verdammten dieser Erde (1961) von Frantz Fanon, dem Film Schlacht um Algier (1966) des Journalisten Gillo Pontecorvo, dem Text Can the subaltern speak (1988) von Gayatri Spivak, dem aus dem gleichen Jahr stammenden Spielfilm Yasemin von Hark Bohm, einer kleinen Auswahl der Textsammlung Location of Culture (1994) des Theoretikers Homi Bhabha, dem Spielfilm Gegen die Wand (2003) von Fatih Akin und schließlich mit Mbembes Buch und der Dokumentation Cattiers dem Film Twelve Years a Slave (2013) von Steve Mcqueen widmen. Bei dieser Reise zu den Formen und Praktiken kultureller Unterdrückung in Theorie und Film wird es erstens darum gehen, allgemein einen Überblick über die Vielfalt der Thesen zu bekommen und zweitens, die Gründe von Ähnlichkeiten und Unterschieden erklären zu können.
Literatur:
Akın, Fatih (2003): Gegen die Wand, Hamburg: Wüste Film.
Bhabha, Homi (1994): Location of Culture, New York: Routledge.
Bohm, Hark (1988): Yasemin, Zweitausendeins.
Cattier, Daniel (2018): Menschenhandel. Eine kurze Geschichte der Sklaverei, Arte.
Césaire, Aimé (2017): Über den Kolonialismus, Berlin: Alexander Verlag.
Fanon, Frantz (1981): Die Verdammten dieser Erde, Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Kimmich, Dorothee u.a. (Hg.) (2017): Was ist Rassismus? Kritische Texte, Stuttgart: Reclam.
Mbembe, Achille (2016): Kritik der schwarzen Vernunft, Bundeszentrale für politische Bildung.
Mcqueen, Steve (2014): Twelve years a slave, Tobis.
Pontecorvo, Gillo (2011): Schlacht um Algier, Alive.
Spivak, Gayatri (2007): Can the subaltern speak, Wien: turia + kant.
____________________
SoSe 2019 (Universität Konstanz)
Seminar: Das Unbehagen in den Kulturen. Sigmund Freud – Einwanderungsgesellschaft – Soziale Medien. (Hauptseminar, FB Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaft Universität Konstanz)
Die Entwicklung der Kultur baue auf dem Triebverzicht, so Sigmund Freud in seinem äußerst wirkmächtigen kulturtheoretischen Text Das Unbehagen in der Kultur von 1930. Im Unterschied zu seinen früheren Schriften ist es im Letzteren nicht mehr allein die Libido, das Lustverlagen des Einzelnen, die sublimiert und eingeschränkt werden muss, wenn das Zusammenleben zwischen den Menschen gelingen soll. Neben der Liebe ist es vor allem die Aggressionsneigung des Menschen als ebenfalls allgegenwärtiges Phänomen, die von außen nach innen in die Psyche des Menschen gegen ihn selbst verschoben werden muss, wenn gesellschaftlicher Zusammenhalt entstehen und fortdauern soll. Aus diesen beiden Verzichtsebenen resultiert für Freud ein Unbehagen in der Kultur, die es durch ästhetischen Aufwand, durch »Phantasiebefriedigungen«, einer Idee von Gerechtigkeit und äußerer und innerer Autorität zu befriedigen und zu befrieden gilt. Wenn nicht, so drohen nach ihm kultureller Regress, gesellschaftliche Spaltung und ein »psychologisches Elend der Massen«. Die Fragen nach gesellschaftlichem Zusammenhalt, Spaltung und nach Affekten sind auch heute in gesellschaftspolitischen Debatten, ästhetischen Reflexionen bis hin zu Formen der Kommunikation in den sozialen Medien äußerst virulent. Doch im Zusammenhang mit Freuds Theorie mit einem bemerkenswerten Unterschied. Denn auch wenn die Stadt Wien zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine multikulturelle ist und Freud selbst einen jüdischen Hintergrund hat, verwendet er den Begriff der Kultur nicht im Plural, sondern ausschließlich im Singular. Nach den historischen und aktuellen Folgen der Migration in die Bundesrepublik Deutschland ist es heute jedoch kaum mehr möglich, Kultur im gesellschaftlichen Zusammenhang theoretisch noch im Singular zu denken oder zu thematisieren. Im Seminar Das Unbehagen in den Kulturen möchten wir deshalb der Frage nachgehen, welchen Verlauf Freuds Ausführungen nehmen müssen, wenn wir sie auf die soziale Realität heutiger Einwanderungsgesellschaften anwenden? Mit was für einem kulturellen Unbehagen haben wir es dann heute zu tun und wie könnte dieses befriedet werden? Welche Formen der Sublimierung von Lust und der Verschiebung von Aggressionsneigungen muss es geben, wenn es wieder um die Vorstellung von kultureller Entwicklung gehen soll? Der Zusammenfall vonaking bad Libido und Aggressionsneigungen zeigen sich beispielsweise eindrücklich im Sommer des Willkommens der Flüchtlinge 2015 und ihrer Monate darauf folgenden Ablehnung nach den Ereignissen der Silvesternacht in Köln. Oder sie zeigen sich in der Kommunikation in den sozialen Medien, die von libidinösen Gemeinschaftsbildungen bis zu Hasskommentaren reichen. Diesen aktuellen Fragen möchten wir uns ausgehend von Freuds kulturtheoretischer Schrift widmen. Analysegrundlagen im Seminar werden neben dem theoretischen Text, ästhetische Texte und Filme, Migrations- und Integrationsdebatten und abschließend das Phänomen des Hate Speech in den sozialen Medien sein.
____________________
SoSe 2016 (Universität Konstanz)
Breaking Bad. Serialität, Soziale Prozesse und Medienkultur, (Hauptseminar, FB Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaft Universität Konstanz, gemeinsam mit Prof. Dr. Isabell Otto)
Ein krebskranker Chemielehrer, der sich in kürzester Zeit zum Boss eines Drogenimperiums entwickelt und dabei mit zunehmender Konsequenz alle Grenzen der Moral überschreitet: Sicherlich hat die Fernsehserie ‚Breaking Bad’ ihren außergewöhnlichen Erfolg ihrer faszinierend-abstoßenden Narration und ihrer eindringlichen Bildlichkeit zu verdanken. Doch der Stellenwert der Serie innerhalb der Populärkultur, ihre Fort- und Umschriften durch Fan-Communities, ihre überbordende Zirkulation in einzelnen Text- und Bild-Zitaten in Internetforen wäre damit nur unzureichend beschreibbar. Es ist vielmehr das besondere Verhältnis von Serialität, Bildlichkeit und sich wandelnder, sozialer und moralischer Konstellationen in der Serie, die zentral für ihre Reichweite und Faszinationskraft ist. Das Seminar wird sich deshalb nicht allein auf narrative und audiovisuelle Analysen konzentrieren, sondern versuchen, die unterschiedlichen medien-, sozialkulturellen ‚Nährböden’ des Phänomens ‚Breaking Bad’ ausfindig zu machen. Es gilt die Frage zu klären, wie sich das Prinzip der Serialität über ein televisuelles Format hinaus in den digitalen Kulturen des Internets fortschreibt und welche Funktion dabei die sozialen und moralischen Konstellationen einnehmen, die in der Serie verhandelt und erzählt werden.
____________________
SoSe 2012 (Universität Tübingen)
Proseminar: Kulturwissenschaftliche Filmanalyse am Beispiel des deutsch-türkischen Films
Filmanalysen gehören mittlerweile zu einem immer häufiger auftretenden Inventar kulturwissenschaftlicher Reflexionen. Jedoch passiert es nicht selten, dass Filme dabei eins zu eins wie literarische Texte gelesen werden, die sich in den Analysen dann oft in Plot- und Szenenbeschreibungen erschöpfen. In diesem Proseminar soll es hingegen darum gehen, Grundlagen zu entwickeln, um dem komplexen Medium Film narrativ (Sequenzanalysen), aber besonders auch seiner audiovisuellen (Ton, Bild) und technischen Seiten (Einstellungen, Schnitt) analytisch gerecht zu werden. Davon ausgehend werden wir versuchen zu eruieren, welche Komponenten für eine gelungene kulturwissenschaftliche Filmanalyse erforderlich sind. Dabei wird uns der Fokus auf deutsch-türkische Filme hilfreich sein.
Filme zu diesem Seminar werden gezeigt 14-tg. am Mittwoch, 20-22 Uhr, in Raum 027.
Literatur:
Krützen, Michaela. Dramaturgie des Films. Frankfurt a. M.; Fischer Verlag 2004, S. 63-124.
Monaco, James. „Film als Kunst“. In: ders. Film verstehen. Rowohlt 2000, S. 15-64.
Göktürk, Deniz. „Migration und Kino. Subnationale Mitleidskultur oder transnationale Rollenspiele?“. In: Charmine Chiellino (Hg.). Interkulturelle Literatur in Deutschland. Ein Handbuch. Stuttgart/Weimar: Metzler 2000, S. 329-347.
Zeit: Do, 8-10 (14-tg.)
Raum: 315
Leistungsnachweis und Credits: nach Prüfungsordnung
Hauptseminar: Moderne Autobiographien zwischen Okzident und Orient aus transkultureller Perspektive
Von Anfang bis zum Ende des 20. Jahrhunderts galt in der Literaturwissenschaft und in der Orientalistik der Befund, dass die Gattung der Autobiographie ein explizit westeuropäisches Phänomen und in arabischen und türkischen Texttraditionen kaum zu finden sei. Grund hierfür sei die Tatsache, dass arabische und türkische Gesellschaften noch keine Säkularisierung und Modernisierung durchlaufen haben. Jedoch ist neben dem Roman die Form der Selbstbeschreibung seit Beginn und spätestens seit Mitte des 20. Jahrhunderts mit eine der beliebtesten literarischen Artikulationsformen, die es in der arabischen und türkischen Literatur gibt. Dieses asymmetrische Verhältnis zwischen Theorie und Praxis werden wir im Hauptseminar „Autobiographien aus transkultureller Perspektive“ mit komparativen Theorie- und Textanalysen aus dem okzidentalischen und orientalischen Raum nachgehen und problematisieren. Dabei werden wir auch nach den Grundlagen kultureller Grenzziehungen und Grenzüberschreitungen fragen und versuchen zu eruieren, welche Nähe- und Distanzverhältnisse zwischen Orient und Okzident bestehen. Da Originallektüren nicht von allen Teilnehmern geleistet werden können, werden wir, was die türkischen und arabischen Texte betrifft, auf gute Übersetzungen zurückgreifen.
Literatur:
Foucault, Michel: Technologien des Selbst. In: Luther H. Martin u.a. (Hrsg.), Technologien des Selbst. Frankfurt am Main 1993a. S. 24-62 (Orig. 1988).
Brockmeier, Jens: Erinnerung, Identität und autobiographischer Prozeß, in: Journal für Psychologie, 1/1999, 22-42.
Ezli, Özkan. Grenzen der Kultur. Autobiographien und Reisebeschreibungen zwischen Okzident und Orient. Konstanz: Konstanz University Press, S. 9-40; S. 179-184.
Enderwitz, Susanne. Gibt es eine arabische Autobiographie? Verena Klemm/Beatrice Gruendler (eds.): Understanding Near Eastern Literatures. A Spectrum of Interdisciplinary Approaches. Reichert Verlag, Wiesbaden 2000, 189-201.
Zeit: Mi, 16-18
Raum: 315
Leistungsnachweis und Credits: nach Prüfungsordnung
Hauptseminar: Montesquieus Persische Briefe und Goethes West-Östlicher Divan
Die Persischen Briefe (1721) Montesquieus, Ein Muslim entdeckt Europa (1834) des ägyptischen Gelehrten Rifāˋa at-Tahtāwī und der West-Östliche Divan (1819) von Goethe sind zentrale Texte im 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts, die mit unterschiedlichen Gattungsformen und Narrativen Kontaktzonen zwischen Orient und Okzident beschreiben und verhandeln. Wenn Goethes Divan mit seinem Fokus auf Sprache und Geschichte als ein Akt des Verbindens gelesen wird, finden wir in Montesquieus und at-Tahtāwīs Texten Reflexionen über Verhaltensweisen, Strukturen des Sozialen und von Gesellschaften, die Trennendes und Verbindendes unterschiedlicher kultureller und sozialer Prägungen zusammenführen. Der Vergleich dieser drei Texte soll uns vor Augen führen, wie unterschiedlich und ähnlich Skizzierungen inter- und transkultureller Kontaktzonen zu Beginn der europäischen Moderne zwischen Ästhetik und Praxis ausfallen können. Gegen Ende des Seminars werden wir diese Erkenntnisse an der gesellschaftspolitischen Debatte von 2011 zu Goethes Divan, die mit der Sarrazin–Debatte eng in Relation stand, erproben. Da Originallektüren nicht von allen Teilnehmern geleistet werden können, werden wir, was die französischen und arabischen Texte betrifft, auf deutsche Übersetzungen zurückgreifen.
Literatur:
Bhatti, Anil. „Der Orient als Experimentierfeld. Goethes »Divan« und der Aneignungsprozess kolonialen Wissens“. In: Frick, Werner u a. (Hg.). Goethe-Jahrbuch. Wallstein Verlag 2009, S. 115-128.
Ezli, Özkan. „Reisen und Beschreibungen des Fremden. Die Konstitution des Kultursubjekts“. In: ders. Grenzen der Kultur. Autobiographien und Reisebeschreibungen zwischen Okzident und Orient. Konstanz: Konstanz University Press, S. 103-133.
Montesquieu, Charles de. Persische Briefe. Reclam 1991.
Zeit: Do, 10-12
Raum: 029
Leistungsnachweis und Credits: nach Prüfungsordnung
Hauptseminar: Narrative des Sozialen und Politischen in der deutsch-türkischen Literatur und im Film
Er sei ein Kind der Globalisierung, erwiderte Fatih Akın 2007 anlässlich der Premiere seines Films Auf der anderen Seite auf die Frage, wie es denn sei, zwischen zwei Kulturen zu stehen. Die Annahme, dass es sich bei der nunmehr über fünfzigjährigen deutsch-türkischen Migrationsgeschichte schon immer um eine Geschichte zweier differenter Kulturen gehandelt habe und noch handle, hängt mit dem wechselseitigen Bezug der Mehrheits – und Minderheitsgesellschaft auf ihre identitätsstiftenden Größen Nation (Türkei/Deutschland) und – immer stärker – Religion (Islam/Christentum) zusammen, die in ihrer medial vermittelten gesellschaftspolitischen Präsenz den politischen Diskurs der Integration und Desintegration dominieren. Dieser wirkt(e) sich auch auf die deutsch-türkische Kunstproduktion in ihrer gesellschaftlichen Funktions- und Standortbestimmung aus. Entweder galten die Texte und Filme bis Anfang der Neunziger als Darstellungen leidvoller Migrantenexistenzen oder sie werden neuerdings vereinnahmend als deutsche Literatur (Zaimoğlu) oder als deutscher Film (Akın) mit dem Mehrwert eines Migrationshintergrunds verhandelt. Jenseits dieser starren Narrative in Politik, Debatte und Rezeption sind die literarischen Texte und Filme Orte von flexiblen und multivokalen Narrativen, deren gesellschaftspolitischer Wert unterschätzt wird. Sie zeigen vorhandene und mögliche Verhandlungsformen von Sozialem und Politischem auf, die asymmetrisch zu Debatten und politischen Entscheidungen stehen. In dem Seminar Narrative des Sozialen und Politischen möchten wir in Texten und Filmen deutsch-türkischer Provenienz der 1990er und des 21. Jahrhunderts den narrativen Konstitutionen und Problematisierungen von Kultur in Relation zu Integrationsdebatten nachgehen und ihre unterschiedlichen und vielfältigen Positionen ausloten, die auf unterschiedliche Organisationsweisen des Sozialen und Politischen aufmerksam machen.
Filmvorführungen zu diesem Seminar finden 14-tägig am Mittwoch, 20-22 Uhr, in Raum 027 statt.
Literatur:
Adelson, Leslie. Against Between: A Manifesto, In: New Perspectives on Turkey, Spring-Fall 2003, 28-29, pp. 19-36.
Ezli, Özkan. Von der interkulturellen zur kulturellen Kompetenz: Fatih Akıns globalisiertes Kino, In: Ezli/Kimmich/Werberger (Hg.): Wider den Kulturenzwang: Migration, Kulturalisierung und Weltliteratur, transcript 2009, S. 207-230.
Koschorke, Albrecht. Wahrheit und Erfindung. Grundzüge einer allgemeinen Erzähltheorie. Fischer 2012.
Zeit:
Do, 14-16
Raum: 415
Leistungsnachweis und Credits: nach Prüfungsordnung
Hauptseminar: Kulturtheorien der Moderne
Definitionen, Funktionen und Wirkmächtigkeiten des Begriffs ‚Kultur’ sind in der westeuropäischen Moderne seit dem 18. Jahrhundert von Vielfalt und einer gleichzeitigen Unbestimmtheit geprägt. Dennoch fungiert dieser Begriff als eine der zentralen intellektuellen Leitwährungen in Europa, dessen Wert und Funktion besonders im 20. Jahrhundert dokumentiert ist. In dieser Zeit, die von vielen gesellschaftspolitischen Veränderungen geprägt war, hat der Begriff unterschiedliche theoretische Ausformulierungen erfahren, denen wir im Seminar „Kulturtheorien der Moderne“ nachgehen möchten. Im Seminar wird es zunächst darum gehen, den Prozesscharakter und Unbestimmtheitsgrad des Begriffs durch Interpretationen kanonischer Texte herauszuarbeiten und diesen gegen Ende des Seminars an aktuellen gesellschaftspolitischen Themen (Integrationsdebatten) und ästhetischen Narrativen zu erproben.
Literatur:
Kimmich, Dorothee (Hg.): „Herausforderungen der Moderne“. In: dies./Schahadat, Schamma/Hauschild, Thomas. Kulturtheorie. Bielefeld: transcript 2010, S. 229-296.
Luhmann, Niklas. „Kultur als historischer Begriff“. In: ders. Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft Band 4. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1999, S. 31-54.
Zeit: Mi, 14-16; Sa, 10-13 (20.07.2013)
Raum: 315
Leistungsnachweis und Credits: nach Prüfungsordnung
____________________
WiSe 2010/11 (Universität Konstanz)
Deutsche Gesellschaftsgeschichte aus der Peripherie. Minderheiten in R. W. Fassbinders Filmen der 1960er und 1970er Jahre (Proseminar, FB Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaften Universität Konstanz)
Er und einige andere seiner Kollegen hätten Glück gehabt, dass sie zwischen Mitte und Ende der 60er in der deutschen Filmgeschichte an einem Nullpunkt gestanden haben und den deutschen Film neu erfinden konnten, bemerkte Rainer Werner Fassbinder in einem Interview 1977. Mit zu diesem Nullpunkt-Umstand gehörte Ende der 60er Jahre auch, wenn wir uns Fassbinders Oeuvre vor Augen führen, eine neue deutsche Filmsprache von der gesellschaftlichen Peripherie ausgehend einzuläuten. Denn es ist mehr als nur grundlegend zu beobachten, welche wichtige Rolle und Funktion Minderheiten in Fassbinders Filmen von den Anfängen 1965 mit den zwei Kurzfilmen Der Stadtstreicher (1965) und Das kleine Chaos (1966), den ersten beiden abendfüllenden Spielfilmen Liebe ist kälter als der Tod (1969) und Katzelmacher (1969) über Die bitteren Tränen der Petra von Kant (1972), Angst essen Seele auf (1973) bis hin zu Martha (1974), Effi Briest (1974) und Faustrecht der Freiheit (1975) einnehmen und natürlich auch darüber hinaus. Diesem besonderen Verhältnis zwischen Peripherie und Zentrum in Fassbinders Filmen werden wir in diesem Seminar nachgehen.
Literatur:
Braad Thomsen, Christian (1989): Der doppelte Mensch, In: Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Rainer Werner Fassbinder, Edition text+kritik, H 103 (Juli 1989), S. 3-9.
Elsaesser, Thomas (2000): Rainer Werner Fassbinder, Bertz+Fischer.
Fassbinder, Rainer Werner (2007): Katzelmacher, Kinowelt GmbH.
Fassbinder, Rainer Werner (2002): Die bitteren Tränen der Petra von Kant, Kinowelt GmbH Deutschland.
Fassbinder, Rainer Werner (2007): Angst essen Seele auf, Kinowelt GmbH.
Fassbinder, Rainer Werner (2004): Martha, Kinowelt GmbH.
Fassbinder, Rainer Werner (2005): Effi Briest, Kinowelt GmbH.
Hunn, Karin (2000) Gastarbeiter und Gastarbeiterpolitik in der Bundesrepublik: Vom Beginn der offiziellen Anwerbung bis zum Anwerbestopp (1955-1973). In: Schildt, Axel (2000): Dynamische Zeiten: Die 60er Jahre in den beiden deutschen Gesellschaften, Hans Christians Verlag, S. 272-310.
Herbert, Ulrich (2002): Liberalisierung als Lernprozess. Die Bundesrepublik in der deutschen Geschichte - Eine Skizze, In: ders.: Wandlungsprozesse in Westdeutschland - Belastung, Integration, Liberalisierung 1945-1980, Wallstein, S. 7-49.
Lotman, Jurij M. (1994): Mögliche Welten - Gespräch über den Film, In: montage/av: Zeitschrift für Theorie & Geschichte audiovisueller Kommunikation, 3/2/1994, S. 139-150.
Lotman, Jurij M. (2004): Die Natur der Filmerzählung, In: montage/av: Jurij Lotman / Das Gesicht im Film, Zeitschrift für Theorie & Geschichte audiovisueller Kommunikation, S. 107-121.
Lotman, Jurij M. (2004): Der Platz der Filmkunst im Mechanismus der Kultur, In: montage/av: Jurij Lotman / Das Gesicht im Film, Zeitschrift für Theorie & Geschichte audiovisueller Kommunikation, S. 92-106.
Töteberg, Michael (2002): Rainer Werner Fassbinder, Rowohlt.
____________________
WiSe 2009/10 (Universität Konstanz)
Türkisch-deutsche Literatur und Film (Hauptseminar, FB Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaften Universität Konstanz, gemeinsam mit Prof. Dr. Bernd Stiegler)
Er sei ein Kind der Globalisierung, erwiderte Fatih Akın anlässlich der Premiere seines Films Auf der anderen Seite auf die Frage, wie es denn sei, zwischen zwei Kulturen zu stehen. Die Annahme, dass es sich bei der nunmehr über vierzigjährigen deutsch-türkischen Migrationsgeschichte schon immer um eine Geschichte zweier differenter Kulturen gehandelt habe und noch handle, hängt mit dem wechselseitigen Bezug der Mehrheits - und Minderheitsgesellschaft auf ihre identitätsstiftenden Größen Nation (Türkei/Deutschland) und - immer stärker - Religion (Islam/Christentum) zusammen, die in ihrer medial vermittelten gesellschaftspolitischen Präsenz den politischen Diskurs der Integration und Desintegration dominieren. Dieser wirkt(e) sich auch auf die deutsch-türkische Kunstproduktion in ihrer gesellschaftlichen Funktions- und Standortbestimmung aus. Entweder galten die Texte und Filme bis Anfang der Neunziger als Darstellungen leidvoller Migrantenexistenzen oder sie werden neuerdings vereinnahmend als deutsche Literatur (Zaimoğlu) oder als deutscher Film (Akın) mit dem Mehrwert eines Migrationshintergrunds verhandelt. Jenseits dieser Entweder-oder-Logik von Nation und Monokultur jedoch sind die literarischen Texte und Filme Orte von Problematisierungen nationaler und kultureller Zuschreibungen, deren gesellschaftspolitischer Wert unterschätzt wird. Sie zeigen vorhandene und mögliche Verhandlungsformen von Kulturen auf, die asymmetrisch zum aktuellen Diskurs der Kulturenzwänge (Integration/Parallelgesellschaft) stehen, der seit 9/11 weltweit verstärkt wirkt. Frei nach Thomas Mann handelt es sich auch bei der deutsch-türkischen Kulturproduktion nicht um Fiktionen und Narrationen die erfinden, sondern um Texte und Filme die Gefundenes bearbeiten und mit ihrer ästhetischen Polyglossie eine gesellschaftspolitische Dimension in Form von Kommentar und Problematisierung implizieren, die national und global zugleich kommuniziert und unterschiedliche Verhandlungsformen von Kultur und Kulturen aufzeigt.
In dem Seminar Kulturverhandlungen im deutsch-türkischen Film und in der Literatur möchten wir in Texten und Filmen den narrativen Konstitutionen und Problematisierungen von Kultur nachgehen und ihre unterschiedlichen und vielfältigen Positionen ausloten, die über mono- und interkulturelle Vorstellungen weit hinaus gehen.
Das Seminar findet alle zwei Wochen statt. In der ersten Hälfte, die der Literatur gewidmet ist, wird es drei-, in der zweiten, dem Film gewidmeten vierstündig stattfinden.
Literatur:
Özdamar, Emine Sevgi (1990): Mutterzunge. Kiepenheuer & Witsch Köln.
Özdamar, Emine Sevgi (1998): Der Hof im Spiegel. Kiepenheuer & Witsch Köln.
Zaimoğlu, Feridun (1995): Kanak Sprak: 24 Misstöne vom Rande der Gesellschaft. Rotbuch Berlin.
Zaimoglu, Feridun (2006): Leyla. Kiepenheuer & Witsch Köln.
Özdogan, Selim (2005): Die Tochter des Schmieds. Aufbau Berlin.
Im Reader:
Ören, Aras (1973): Was will Niyazi in der Naunynstraße. Ein Poem. Rotbuch Berlin.
Bektaş, Habib (1981): Belagerung des Lebens / Yaşamı Kuşatmak. Ararat Berlin.
Ackermann, Irmgard (Hg.) (1984): Türken deutscher Sprache : Berichte, Erzählungen, Gedichte. dtv München.
Şenocak, Zafer (1998): Der Mann im Unterhemd, Babel.
Lottmann, Joachim (1999): Kanaksta: Geschichten von deutschen und anderen Ausländern. Quadriga Berlin.