Prof. Dr. Dorothee Kimmich

Abgeschlossene Projekte

Ähnlichkeit als kulturtheoretisches Paradigma

Zusammen mit Anil Bhatti (Jawaharlal Nehru University, New Delhi, Indien) und dem Exzellenzcluster der Universität Konstanz

Seit 2011 wird in Tübingen auf Anregung des Germanisten Prof. Anil Bhatti zu Ähnlichkeit geforscht. Bereits die postkolonialen Theorien der vergangenen Jahrzehnte haben das Konzept der Identität einer grundlegenden Kritik unterzogen. In ihrem Zentrum stand der Begriff der Differenz, der jedoch in vielfältiger Weise selbst noch den kolonialen Denkformen verhaftet bleibt. Denn wo Alterität und Hybridität betont werden, verändern sich zwar die Gewichtungen, die leitenden Gegensätze bleiben aber erhalten. Die Kategorie der „Ähnlichkeit“ eröffnet hier eine Alternative.

Ziel ist es, die Kategorie der „Ähnlichkeit“ historisch wie systematisch auf ihre theoretische Reichweite hin zu überprüfen. „Ähnlichkeit“ ist nicht nur ein heuristisches Konzept, sondern dient auch als Argument und Verhaltensoption auf der Ebene kultureller Praktiken. Deswegen stand der Begriff über längere Zeit in Misskredit. Er wurde verdächtigt, Vorstellungen der Assimilation und damit einer unter Zwang vorgenommenen Angleichung von Kulturen, Geschlechtern oder religiösen Überzeugungen zuzuarbeiten. Zudem verlegte man das Ähnlichkeitsdenken stets an einen anderen Ort und in eine andere Zeit, schrieb es primitiven Kulturstufen oder vormodernen Epochen und damit einer anderen „Ordnung der Dinge“ (Foucault) zu, um es von einer rationalistischen Moderne abzugrenzen, die nur exakte Begriffe als gültig anerkennt. Ein Denken in Ähnlichkeiten widerspricht in der Tat dem Wunsch nach präziser Grenzziehung und genauer Definition. Diesen scheinbaren Mangel gilt es jedoch theoretisch fruchtbar zu machen. Kulturtheoretische Konzepte haben sich an den Phänomenen zu orientieren, die sie beschreiben. Kulturelle Gegebenheiten eignen sich kaum für scharfe definitorische Abgrenzungen, sondern sind durch fließende Übergänge, vielfache Überlagerungen und breite Grenzsäume gekennzeichnet. Die spezifische epistemologische Leistungsfähigkeit der Kategorie „Ähnlichkeit“ besteht gerade darin, den Umgang sozialer Akteure mit vagen Verhältnissen, diffusen Dynamiken und unscharfen Relationen in den Blick zu bekommen.

In Zusammenarbeit mit dem Exzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“ (EXC 16 der Universität Konstanz) fand im Rahmen des Forschungsprojekts vom 4.-6.10.2012 in Konstanz die internationale Tagung „After Postcolonialism. Similarites in an Entagled World“ statt: https://www.exc16.uni-konstanz.de/aehnlichkeit.html (Mehr dazu hier)

In Zusammenarbeit mit dem Forum Scientiarum fand in den folgenden Jahren in Tübingen eine Reihe von Workshops zu den Themen Ähnlichkeit und Analogie durchgeführt: Im Rahmen des Projekts fand statt der Workshop „Ähnlichkeiten jenseits von Identität und Differenz“ am 14. und 14.6. 2013 in Tübingen (Forum Scientiarum, Hörsaal 1) statt (vgl. https://uni-tuebingen.de/einrichtungen/zentrale-einrichtungen/center-for-interdisciplinary-and-intercultural-studies/veranstaltungen/tagungen-und-workshops/2013/aehnlichkeiten/; Sie können das Programm hier downloaden) Der Workshop „Analogie. Zur Aktualität eines philosophischen Grundbegriffes“ am 4. und 5. Juli 2013 am Forum Scientiarum (Veranst. Koch, Noveanu, Weidtmann) schloss daran z.T. inhaltlich an.

Die Beiträge zu der Konstanzer Tagung wurden (unter Einwerbung weiterer Beiträge) 2015 in dem Sammelband Ähnlichkeit. Ein kulturtheoretisches Paradigma (herausgegeben von Anil Bhatti und Dorothee Kimmich unter Mitarbeit von Sara Bangert, Konstanz: Konstanz University Press 2015) publiziert, der 2018 ins Englische übersetzt wurde. Darüber hinaus erschienen eine Reihe weiterer Publikationen und es entstand die Dissertation Entgrenzte Ähnlichkeit (2020).

2019/2020 war das Thema Schwerpunkt des Germanistischen Institutskolloquiums. Hier waren (neben Vorträgen von Dorothee Kimmich und Jörg Robert) unter anderem Prof. Hartmut Winkler und Prof. Felix Wichmann zu Gast. Weitere geplante Vorträge wurden aufgrund der Corona-Pandemie verschoben.

2021 sind zwei Workshops und eine Sektion im Rahmen des XIV. Kongresses der Internationalen Vereinigung für Germanistik (IVG): „Wege der Germanistik in transkulturellen Perspektiven“ (Palermo) geplant (vgl. https://ages-info.org/wp-content/uploads/2018/05/CFP.pdf).

 

Dossier: Ähnlichkeit / Similtude. lendemains, Bd. 44, Nr. 173 (2019), hg. v. Dorothee Kimmich und Nicole Colin

Inhalt

Dorothee Kimmich: Ähnlichkeit – ein kulturtheoretisches Paradigma?
Bemerkungen zu einer veränderten Sicht auf die Ordnung der Dinge

Stéphane Lojkine: Gessner avec Diderot: les trois similitudes

Francesca Manzari: D’une similarité (ou similitude) différée

Sara Bangert: Rapprochement, Documents, Sciences diagonales.
Transversale Ähnlichkeitskonzepte im Milieu des Surrealismus

Thomas Keller: Transmissions franco-allemandes: le tertium relationis
quelles similitudes?

Nicole Colin: La Reprise: Wiederholung und Ähnlichkeit als philosophische
Prämissen eines politischen Dokumentartheaters

Arts&Lettres
Philippe Kersting: Perspectives postcoloniales sur Marie NDiaye
et son oeuvre

Link

 

Similarity. A Paradigm for Culture Theory

Edited by Anil Bhatti and Dorothee Kimmich. Neu Dehli/New York: Tulika/Columbia University Press 2018.

This volume is a collection of papers based on the idea that the concept of ‘similarity’ could offer a new, alternative approach in Cultural Studies, as compared to the hitherto dominant paradigm of ‘difference’.
The concepts of identity and otherness are becoming ever-more questionable, not least due to global political events of the last few decades. The assumption of distinct cultural identities in an era of postmodern migratory flows seems increasingly inadequate. Though the postcolonial critique of identity has emphasized alterity and hybridity, this has remained within the paradigm of difference as an overall perspective. For these reasons, it is important not only to discuss, but also to reflect upon whether a concept of similarity, which offers an alternative way of examining our complex cultural world, can be developed alongside a concept of difference.

The essays presented in this volume come from literary and cultural studies, from philosophy, political science, sociology, ethnology and history. They are arranged according to their systematic perspectives: the first part of the book deals with conceptual attempts to establish the relevance of ‘similarity’ for Cultural Studies, while the second part is devoted to testing different areas and models of application.
The essays explore the theoretical range of the concept of similarity in historical and systematic terms. Similarity is seen not only a heuristic concept, but also as an argument and an alternative option in cultural practice. That is why it was discredited by suggesting that it supported an assimilationist position leading to a forceful adjustment of cultures, gender or religion. In addition, similarity and thinking in similarity were supposedly part of a premodern way of thinking belonging to other times and places, part of the primitive stages of culture or a premodern epoch, and therefore of a different order of things (Foucault) that was distinct from a rationalist modern epoch in which only exact concepts are valid.
Thinking in similarity does in fact oppose the desire to draw precise borders and exact definitions. But this supposed drawback can be an advantage when dealing with complex phenomena of culture where fluid transitions, multiple overlappings and broad spatial borders are given. The specific epistemological achievement of the category of similarity consists in offering new ways of seeing the diffuse dynamics and fuzzy relations characteristic of our contemporary complex and entangled world.
Thinking about similarity should not be (mis-) understood as a false form of harmonization or as a levelling of differences. Rather, considerations of similarity contain a subversive potential to expose the claimed antagonisms and radical incompatibilities of opposition and differences as nothing more than ideology.

Flyer

Dorothee Kimmich: Ins Ungefähre. Ähnlichkeit und Moderne. Konstanz: Konstanz University Press 2017

Während »die Differenz« in den Theoriedebatten des 20. Jahrhunderts Schule machte, versammelte die Geschichte der Ähnlichkeit, von der unser Erkennen und Urteilen abhängt, nur wenige Anhänger um sich und war selten Ausgangspunkt kulturtheoretischer Diskussionen. Dabei ordnen wir die Welt, die Dinge, Farben, Töne und Erinnerungen, Gesichter und Geschichten, indem wir Ähnlichkeiten und Unähnlichkeiten wahrnehmen und bewerten. Und ohne die Fähigkeit, etwas oder jemanden zu imitieren und nachzuahmen, erlernen wir weder eine Sprache noch Klavierspielen, weder Radfahren noch Seilspringen. Wiedererkennen, Zuordnen und Urteilen sind grundlegende Fähigkeiten, mit denen wir uns im Alltag orientieren.

Ins Ungefähre führt auf das Gebiet des theoretisch wie praktisch anschlussfähigen Konzepts der Ähnlichkeit, das in der Moderne zwar immer wieder thematisiert, dann aber doch folgenreich übergangen wurde. Werden Ähnlichkeiten zugunsten von Differenzen und Oppositionen übersehen, so ist dies nicht nur ein erkenntnistheoretisches, sondern vor allem ein politisches Problem. Die Gleichheit vor dem Gesetz und die Ähnlichkeit der Kulturen ergänzen sich und machen deutlich, dass radikale Alterität keine Gegebenheit, sondern eine Frage der Perspektive ist.

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Anil Bhatti / Dorothee Kimmich (Hg.): Ähnlichkeit. Ein kulturtheoretisches Paradigma. Konstanz University Press 2015

Bereits die postkolonialen Theorien der vergangenen Jahrzehnte haben das Konzept der Identität einer grundlegenden Kritik unterzogen. In ihrem Zentrum stand der Begriff der Differenz, der jedoch in vielfältiger Weise selbst noch den kolonialen Denkformen verhaftet bleibt. Denn wo Alterität und Hybridität betont werden, verändern sich zwar die Gewichtungen, die leitenden Gegensätze bleiben aber erhalten. Die Kategorie der »Ähnlichkeit« eröffnet hier eine Alternative.

Ziel des Bandes ist es, die Kategorie der »Ähnlichkeit« historisch wie systematisch auf ihre theo-retische Reichweite hin zu überprüfen. »Ähnlichkeit« ist nicht nur ein heuristisches Konzept, sondern dient auch als Argument und Verhaltensoption auf der Ebene kultureller Praktiken. Deswegen stand der Begriff über längere Zeit in Misskredit. Er wurde verdächtigt, Vorstellungen der Assimilation und damit einer unter Zwang vorgenommenen Angleichung von Kulturen, Ge-schlechtern oder religiösen Überzeugungen zuzuarbeiten. Zudem verlegte man das Ähnlichkeits-denken stets an einen anderen Ort und in eine andere Zeit, schrieb es primitiven Kulturstufen oder vormodernen Epochen und damit einer anderen »Ordnung der Dinge« (Foucault) zu, um es von einer rationalistischen Moderne abzugrenzen, die nur exakte Begriffe als gültig anerkennt.

Ein Denken in Ähnlichkeiten widerspricht in der Tat dem Wunsch nach präziser Grenzziehung und genauer Definition. Diesen scheinbaren Mangel gilt es jedoch theoretisch fruchtbar zu machen. Kulturtheoretische Konzepte haben sich an den Phänomenen zu orientieren, die sie beschreiben. Kulturelle Gegebenheiten eignen sich kaum für scharfe definitorische Abgrenzungen, sondern sind durch fließende Übergänge, vielfache Überlagerungen und breite Grenzsäume gekennzeichnet. Die spezifische epistemologische Leistungsfähigkeit der Kategorie »Ähnlichkeit« besteht gerade darin, den Umgang sozialer Akteure mit vagen Verhältnissen, diffusen Dynamiken und unscharfen Relationen in den Blick zu bekommen.

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Rezension


"Wandernde Dinge und migrierende Menschen: Aufbereitung des schwäbischen Erbes in Georgien für Wissenschaft und Öffentlichkeit" (2018/2019)

BKM-Projekt im Rahmen des Förderprogramms ‚Objekt – Material – Kultur: Dokumentation und Erforschung des materiellen Kulturerbes der Deutschen im östlichen Europa' bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (2018/2019, verlängert bis 30.6.2020)

Die beteiligten Institutionen – die Eberhard Karls Universität Tübingen, die Staatliche Ilia Universität (ISU), das Stadtmuseum Tübingen, das Georgische Nationalmuseum bzw. das Regionalmuseum in Bolnisi – haben 2018-2019 die Auswanderung nach bzw. Ansiedlung von schwäbischen Familien aus dem Tübinger Raum in Georgien erforscht, dokumentiert und im Rahmen einer digitalen Museumspräsentation und von Ausstellungen im Tübinger Stadtmuseum und im Regionalmuseum Bolnisi in die Öffentlichkeit kommuniziert. Im Rahmen des Projekts fanden u.a. zwei Workshops in Tübingen (Oktober 2018) und Tiflis (April 2019) statt.

Die Projekt-Ergebnisse sind in die Dauerausstellung im Stadtmuseum Tübingen integriert und öffentlich zugänglich.

Darüber hinaus sind die digitalen Module auch im Internet auffindbar und können über die hier zusammengestellen Weblinks erreicht werden.

Im Vorfeld fanden folgende Veranstaltungen statt:

Schwaben in Georgien - Ausstellungsprojekt mit dem Stadtmuseum Tübingen

Termine

19. Februar, 11 Uhr: Eröffnung und Einführung durch Prof. Dr. Dorothee Kimmich und Prof. Dr. Oliver Reisner (Universität Tiflis)

19. Februar, 14 Uhr: Führung und Kurztalk in englischer Sprache mit Nestan Tatarashvili (Photographin)

16. Mai, 18 Uhr: Lesung mit Dr. Staphan Wackwitz (Leiter des Goethe-Instituts Georgien)

Zum Programmflyer der Ausstellung gelangen Sie hier.

Das Tübinger Tagblatt, der Reutlinger Anzeiger und die Kaukasische Post berichteten ausführlich über die Ausstellung. Zu den vollständigen Artikeln gelangen Sie hier.

"Die vergessene Mitte der Welt - unterwegs zwischen Tiflis, Baku, Eriwan"

Lesung und Gespräch mit Dr. Stephan Wackwitz am 16.05.2017, 18 Uhr, Stadtmuseum Tübingen.

Der Autor und Leiter des Goethe-Instituts Tiflis, Dr. Stephan Wackwitz, stellt im Stadtmuseum bereits publizierte und noch unveröffentlichte Texte zur Geschichte, Kultur und Gesellschaft Georgiens vor. Am äußersten Rand Europas gelegen, überlagern sich im Südkaukasus die historischen Spuren eines uralten Kulturlandes mit einer langen Tradition der Einwanderung und der pulsierenden Atmosphäre des postsowjetischen Wandels. In seinen Reiseberichten, Reflexionen und Essays erzählt Stephan Wackwitz eindringlich von der Vielschichtigkeit dieser einzigartigen und viel zu häufig ‚vergessenen ‘ Region im Herzen des eurasischen Kontinents.


Stephan Wackwitz leitet seit 2011 das Goethe-Institut in Tiflis und ist daher profunder Kenner des Landes sowie seiner Geschichte und Gesellschaft. Der mehrfach ausgezeichnete Autor verfasst Reiseberichte, autobiographische Schriften und publiziert regelmäßig im Merkur.



DFG-Projekt "Kulturgeschichte des Diebstahls: Ein Gründungsmythos"

Der Diebstahl – ob als Kern mythischer Erzählung, als Metapher, als Begrifflichkeit der Übertretung, als Figur der Übernahme und des Übergangs oder als autobiografische oder literarische Erzählung, als philosophischer Gedankengang oder als soziales Handeln – taucht insbesondere in Texten auf, in denen innerhalb einer historischen Kippbewegung eine Emanzipationshandlung beschrieben wird: Das Hervortreten eines prekären, aber sich selbst behauptenden Individuums vor einem Hintergrund vorfindlicher und unüberwindlicher Mächte oder Machtdiskurse. Diese Kippbewegung wird als ein schelmischer oder kriminell herbeigeführter Diskurswandel oder als eine Geste der Kulturgründung wahrgenommen, durch die sich Gemeinschaften und Individuen neu orientieren, in der Welt verorten und behaupten müssen. Der Dieb ist eine Figur menschlicher Selbstbehauptung, die, obwohl sie in vielen einschlägigen und intensiv rezipierten Texten auftritt, bisher nicht explizit Gegenstand literaturwissenschaftlicher oder kulturwissenschaftlicher Forschung war.

Das DFG-Projekt zur Kulturgeschichte des Diebstahls als Gründungsmythos untersuchte im Rahmen eines Disziplinen übergreifenden philologischen, kulturwissenschaftlichen und philosophischen bzw. kulturphilosophischen Ansatzes ausgewählte Texte der Literatur, der Mythologie, der Philosophie und der Theologie auf die These hin, dass in Erzählungen des Stehlens oder in der metaphorischen Verwendung des Diebstahls eine Handlung beschrieben wird, mit der eine Kultur, ein Diskurs oder ein Individuum begründet wird. Die Gesetzesüberschreitung und das Schuldigwerden im Diebstahl stellen zusammen mit dem erlangten Diebesgut den Beginn einer freien Autonomie und gleichzeitig ihrer normativen Traditionsbildung dar: Mit ihm wird eine Tradition begründet, die nicht radikal mit dem Bestohlenen bricht, sondern ihn im Bewusstsein hält. So wurde im Diebstahl eine Figur des Anfangs untersucht, die eine Ambiguität und Unsicherheit kultureller Identität bewahrt.

Zum Projekt fanden am 9./10. November 2012 ein Workshop zur "Figuration der Gründung – Der Diebstahl als Kulturgründungsgeste" und am  8.-9. Mai 2015 die Tagung "Diebe! Kulturgeschichte des Diebstahls - ein Kulturgründungsmythos" an der Universität Tübingen statt; die Vorträge wurden (unter Einwerbung weiterer Beiträge) in dem Sammelband "Diebstahl!" publiziert. Das Forschungsprojekt wurde hauptsächlich von Dr. Andreas Gehrlach im Rahmen einer über das Projekt finazierten Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter durchgeführt, dessen Dissertation in diesem Kontext entstand.

 

Diebstahl. Zur Kulturgeschichte eines Gründungsmythos. Hg. v. Andreas Gehrlach und Dorothee Kimmich. Paderborn: Fink 2018.

Kaum ein kulturwissenschaftliches Thema wurde im zwanzigsten Jahrhundert umfassender untersucht als die Gabe. Ihr Gegenstück, der Diebstahl ist allerdings erst ansatzweise erforscht. Die Beiträge dieses Bandes vereinen internationale und interdisziplinäre Perspektiven auf den Diebstahl. Zu allen Zeiten waren Diebe nicht nur eine Bedrohung für Eigentum, Macht und Ordnung, sondern sie traten immer auch als wirkmächtige Kulturgründer auf. Neben den in diesem Band herausgearbeiteten soziologischen, politologischen, philosophischen und kriminologischen Aspekten des Diebstahls verdeutlichen die Untersuchungen, dass es sich bei Diebstählen und verwandten Verbrechen auch um Erzählungen von ebenso illegitimen wie erfolgreichen Aneigungsstrategien, um heimliche Rebellion und um ambivalente Bewunderung für kriminelle Helden handelt.

 

 

Andreas Gehrlach: Diebe. Die heimliche Aneignung als Ursprungserzählung in Literatur, Philosophie und Mythos, Fink: München 2016

Der Diebstahl ist nicht nur eines der häufigsten Verbrechen überhaupt, sondern er ist eine Tat mit großer Geschichte: Schon Eva eignete sich den Apfel im Paradies auf diese Weise an, der listige Prometheus stahl das Feuer der Götter, der heilige Augustinus beschreibt sich in seiner Autobiografie als einen Dieb, und Jean-Jacques Rousseau folgte ihm darin mit seiner ebenfalls äußerst einflussreichen Autobiografie nach. Immer wieder stehen Diebe in der Literatur und in den Mythen für Neuanfänge und für Emanzipation: Wo gestohlen wird, geschieht eine kleine Rebellion, und es wird eine Ungerechtigkeit ausgeglichen. Während die Mechanismen der 'Gabe' im zwanzigsten Jahrhundert intensiv studiert wurden, hat der Diebstahl in den Kulturwissenschaften bisher keine Beachtung gefunden. Andreas Gehrlach zeichnet anhand zahlreicher Beispiele die westliche Kulturgeschichte des Diebstahls von der Antike bis in die postmoderne Philosophie nach.

"Diebe!" - Tagung am 8./9. Mai 2015

Am 8.-9. Mai 2015 fand im Rahmen des DFG-Projekts "Kulturgeschichte des Diebstahls" die Tagung "Diebe! Kulturgeschichte des Diebstahls - ein Kulturgründungsmythos" an der Universität Tübingen statt.

Weitere Informationen
Flyer zum Download

Kolloquium (Kritische Kartographie/Diebstahl) am Freitag 3.7.2015

Gastvortrag und Kolloquiumstermin des DFG-Projekts "Kulturgeschichte des Diebstahls: Ein Gründungsmythos" (mehr hier) am Freitag, 3.7, von 12.00-18.00 Uhr: Der Vortrag von Marion Picker über 'Kritische Kartographie' findet um 12.00 Uhr statt, der Workshop zum Thema "Diebstahl" beginnt ab 14.00 Uhr mit Vorträgen von Thomas Keller, Alexander Thumfart und Tobias Müller-Monning.

Die öffentlichen Veranstaltungen finden im Seminarraum 038 des OSA (Keplerstraße 2) statt.

Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme!

Figuration der Gründung – Der Diebstahl als Kulturgründungsgeste

Workshop am 9. und 10.11.2012 in Tübingen (Alte Aula)

Der listige, mutige und kluge Dieb ist eine prominente mythische und literarische Figur. Die Diebstahlserzählung gehört zu den zentralen Gründungsmythen, ist aber als solche bisher kaum erforscht: Prometheus stiehlt das Feuer von den Göttern, Hermes versteckt geschickt die Rinder, die er Apollon gestohlen hat. Adam und Eva nehmen sich den ihnen verbotenen Apfel, die Israeliten plündern bei ihrer Flucht aus Ägypten auf Geheiß ihres Gottes das Gold der Ägypter. Der Diebstahl als Mythologem und als philosophische Reflexionsfigur taucht in Literatur, Philosophie und im Mythos historisch in signifikaten Kontexten auf: Es geht um die Begründung von Kultur, um die Darstellung der Zugehörigkeit zu bestimmten Weltbeschreibungen und um individuelle Selbstsetzung im Konflikt mit der das Individuum umgebenden Kultur und Geschichte. Der Diebstahl fremden Gutes verweist dabei auf die immer schon fremden und heteronomen Elemente im Eigenen und auf die Unmöglichkeit eines radikalen, voraussetzungslosen Anfangs.

Teilnehmerinnen und Teilnehmer

Schamma Schahadat: Gabe – Opfer – Verausgabung:
Tadeusz Konwickis Mała apokalipsa – Kleine Apokalypse
Jens Frederic Elze: Diebstahl, Gabe und Tötung als Begründungsgeste bei Defoe, Smollett und Adiga
Dorothee Kimmich: Arsène Lupin – Der Gentleman als Dieb
Hans-Jürgen Kerner: Diebstahl als kulturell signifikantes Kerndelikt: Betrachtungen aus strafrechtsgeschichtlicher und aktueller kriminalrechtlicher Perspektive
Thomas Kirsch: The Remains of Punishment – Kriminalität und ihre Prävention im heutigen Südafrika
Hendrik Stoppel: Der Verlust von Tempel und König in Jerusalem als Kristallisationspunkt religiöser Traditionen
Andreas Gehrlach: Warum Rahel ihrem Vater die Hausgötter stahl – Der Diebstahl als abendländisches Gründungsmythologem
Irmgard Männlein-Robert: Hermes und die Nachtigall: Zur Medialität hellenistischer Dichtung
Mirjana Vukovic: Wissensdiskurse über Armut bei deutschsprachigen Autorinnen des Vormärz

Programm

 

Kontakt

dorothee.kimmichspam prevention@uni-tuebingen.de

andreas.gehrlach@hu-berlin.de



„Körper im Visier“: Exploration Fund (Plattform 4)

Die medizinischen, technischen und medialen ‚Revolutionen des Leibes‘ zeugen von einer neuen und veränderten Virulenz des Körperlichen. Die Selbstinszenierung in den Social Media, die neue Sichtbarmachung des Körpers durch bspw. Videoüberwachung und Körperscreening ebenso wie der weltweite Export von Schönheitsidealen zeigen dabei nicht nur eine bisher ungekannte Fokussierung auf Körperlichkeit und dessen Visibilität, sondern stellen auch unser bisheriges Verständnis von Körper selbst in Frage.

Dabei nimmt körperliche Visibilität insbesondere als identitätsstiftendes und gruppenbildendes Merkmal eine zentrale Rolle ein und erschafft somit sowohl soziale Privilegierung als auch Benachteiligung: Geschlecht, Rasse, Ethnie, Disability aber auch Adipositas und Alter sind Kategorien, die wesentlich über körperliche Merkmale eine soziale, alltägliche Ungleichheit herstellen, wovon strukturelle und individuelle Diskriminierung abhängt.

Die Forschergruppe begegnet diesem Thema mit einer interdisziplinären Vernetzung zwischen Literatur- und Medienwissenschaften, Sozial- und Kognitionspsychologie, Psychosomatik und Pädagogik.So können nicht nur die Ansätze, die sich über die Analyse einzelner Diskriminierungsformen wie u. a. die Critical Race Studies, Gender Studies, Disability Studies und Age Studies ergeben, wesentlich heuristisch ergänzt werden, sondern zugleich ein an die Intersektionalitätstheorie anschließendes, neues Forschungsfeld eröffnet werden, das nach der allgemeinen Struktur gegenwärtiger Diskriminierung und deren Funktionalisierung des Körperlichen zur Erzeugung einer sozialen Ungleichheit fragt.

Weitere Beteiligte:

Prof. Dr. Friedrich Hesse (IWM; Kognitionspsychologie), Prof. Dr. Kai Sassenberg (IWM), Prof. Dr. Schamma Schahadat (Slavistik), Prof. Dr. Ansgar Thiel (Sportwissenschaft), Prof. Dr. Stephan Zipfel (Innere Medizin), Dr. Gesine Drews-Sylla (Slavistik), Stephanie Lavorano M.A. (Germanistik), Carolin Mehnert M.A. (Germanistik), Daniela Amodio B.A. (Slavistik)

Mehr zu den Projekten der Plattform 4 an der Universität Tübingen hier.


"Körper als Verhandlungsort" (Dr. Swati Acharya)

Das Forschungsprojekt "Körper als Verhandlungsort: Die Bilder der Prostituierten in ausgewählten literarischen und filmischen Werken aus Indien und Deutschland" (Dr. Swati Acharya, University of Pune, Indien) ist ein Projekt im Rahmen des Forschungsstipendiums für erfahrene Wissenschaftler der Alexander von Humboldt Stiftung.

Die Prostituierte als literarische Figur fasziniert Schriftsteller aus allen Kulturkreisen zu allen Zeiten und führt immer wieder zu kontroversen Deutungsansprüchen. Das vorlie­gen­de Projekt unter­sucht das Lebens-und Arbeitsprofil der Prosti­tu­ier­ten in indischen und deutschen Texten und Filmen. Die Figur der Prostituierten dient - so die These - als ein kultu­rel­ler Verhandlungs­raum, in dem am Beispiel dieser'öffentlichen' Frauen und ihrer spezi­fi­schen Körperlichkeit über neue, weibliche Identität(en)gestritten wird. Die literarischen Bilder der Prostituierten spiegeln durch ihre soziale, kulturelle und historische Verortung die Geltungsansprüche der patriar­cha­lischen Gesellschaftsstruktur speziell der Mittel- und Ober­schicht. Aber sie sind auch Kampf­platz des Subalternen, der Modernisierung, des Widerstandes gegen Unterdrückung und Margi­nali­sierung.Das Projekt konzentriert sich zunächst auf literarische Werke von Autorinnen und Autoren, die im indischen Kontext eine Pionierfunktion innehaben. Die Mehrsprachigkeit Indiens beeinflusst die Auswahl. Literarische Texte aus den Sprachen Hindi, Urdu, Marathi, Sanskrit und aus dem indischen Englisch wurden bereits gesichtet und zusammengestellt. In einem zweiten Schritt wurden flankierende filmische Werke ausgewählt, die in Hindi/Urdu oder Marathi produziert wurden.


Humboldt-Forschungspreis und Humboldt-Forschungsstipendium

Prof. Dr. Thomas Keller (Aix-en-Provence) ist am 24.10.2014 der Gay Lussac-Humboldt-Forschungspreis der Alexander von Humboldt-Stiftung verliehen worden. Er war 2015-2016 am Deutschen Seminar zu Gast und arbeitete mit Prof. Dr. Dorothee Kimmich zusammen.

Wir freuen uns außerdem, dass Dr. Swati Acharya (Pune) als Forschungsstipendiatin der Alexander von Humboldt-Stiftung 2015/2016 am Deutschen Seminar war.


Projekt "Kulturtheorie"

Zusammen mit Thomas Hauschild und Schamma Schahadat, Basis-Skripte Readerreihe bei Transcript, 12 weitere Bände in Vorbereitung. (Mehr dazu hier)

Vgl. auch die Tagung "Kritik in der Krise? Kulturdiagnosen der Gegenwart" am 27./28.6.2013 im Deutschen Literaturarchiv Marbach. (Mehr dazu hier)


Suhrkamp-Forschungskolleg

Hier geht es zur Homepage des Kollegs.

Das Wissenschaftsmagazin der Volkswagenstiftung, Impulse, stellt in seiner aktuellen Ausgabe (2/2013) das Kolleg vor. Den vollständigen Artikel  (Text: Isabell Fannrich-Lautenschläger, Fotos: Werner Kuhnle) finden Sie hier.


Netzwerk Kulturwissenschaft

Das "Netzwerk Kulturwissenschaft" ist eine Kooperationen zwischen Wissenschaftlern in Tübingen und Konstanz, vor allem auch und besonders im Rahmen des Exzellenzclusters "Kulturelle Grundlagen von Integration" (Universität Konstanz).

Weitere Informationen finden Sie auf der Website "Netzwerk Kulturwissenschaft". Dort können Sie sich über

  • Personen
  • Forschungsprofile
  • Veranstaltungen und Kooperationen
  • Projekte

an den Universitäten Tübingen und Konstanz informieren.


Weitere abgeschlossene Projekte:

Forschungsprojekt "Dinge"

Zu diesem Projekt erschienen mehrere Publikationen, u.a. die Monographie "Lebendige Dinge in der Moderne". Konstanz 2011 sowie der Sammelband "Denken durch die Dinge: Siegfried Kracauer im Kontext" (gemeinsam mit Frank Grunert). München 2009. (Mehr)

Außerdem hat eine Tagung stattgefunden.

Promotionsverbund „Abgrenzung - Ausgrenzung - Entgrenzung: Gender als Prozess und Resultat von Grenzziehungen" (abgeschlossen)

Weitere Informationen bekommen Sie hier.