Seit 2011 wird in Tübingen auf Anregung des Germanisten Prof. Anil Bhatti zu Ähnlichkeit geforscht. Bereits die postkolonialen Theorien der vergangenen Jahrzehnte haben das Konzept der Identität einer grundlegenden Kritik unterzogen. In ihrem Zentrum stand der Begriff der Differenz, der jedoch in vielfältiger Weise selbst noch den kolonialen Denkformen verhaftet bleibt. Denn wo Alterität und Hybridität betont werden, verändern sich zwar die Gewichtungen, die leitenden Gegensätze bleiben aber erhalten. Die Kategorie der „Ähnlichkeit“ eröffnet hier eine Alternative.
Ziel ist es, die Kategorie der „Ähnlichkeit“ historisch wie systematisch auf ihre theoretische Reichweite hin zu überprüfen. „Ähnlichkeit“ ist nicht nur ein heuristisches Konzept, sondern dient auch als Argument und Verhaltensoption auf der Ebene kultureller Praktiken. Deswegen stand der Begriff über längere Zeit in Misskredit. Er wurde verdächtigt, Vorstellungen der Assimilation und damit einer unter Zwang vorgenommenen Angleichung von Kulturen, Geschlechtern oder religiösen Überzeugungen zuzuarbeiten. Zudem verlegte man das Ähnlichkeitsdenken stets an einen anderen Ort und in eine andere Zeit, schrieb es primitiven Kulturstufen oder vormodernen Epochen und damit einer anderen „Ordnung der Dinge“ (Foucault) zu, um es von einer rationalistischen Moderne abzugrenzen, die nur exakte Begriffe als gültig anerkennt. Ein Denken in Ähnlichkeiten widerspricht in der Tat dem Wunsch nach präziser Grenzziehung und genauer Definition. Diesen scheinbaren Mangel gilt es jedoch theoretisch fruchtbar zu machen. Kulturtheoretische Konzepte haben sich an den Phänomenen zu orientieren, die sie beschreiben. Kulturelle Gegebenheiten eignen sich kaum für scharfe definitorische Abgrenzungen, sondern sind durch fließende Übergänge, vielfache Überlagerungen und breite Grenzsäume gekennzeichnet. Die spezifische epistemologische Leistungsfähigkeit der Kategorie „Ähnlichkeit“ besteht gerade darin, den Umgang sozialer Akteure mit vagen Verhältnissen, diffusen Dynamiken und unscharfen Relationen in den Blick zu bekommen.
In Zusammenarbeit mit dem Exzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“ (EXC 16 der Universität Konstanz) fand im Rahmen des Forschungsprojekts vom 4.-6.10.2012 in Konstanz die internationale Tagung „After Postcolonialism. Similarites in an Entagled World“ statt: https://www.exc16.uni-konstanz.de/aehnlichkeit.html (Mehr dazu hier)
In Zusammenarbeit mit dem Forum Scientiarum fand in den folgenden Jahren in Tübingen eine Reihe von Workshops zu den Themen Ähnlichkeit und Analogie durchgeführt: Im Rahmen des Projekts fand statt der Workshop „Ähnlichkeiten jenseits von Identität und Differenz“ am 14. und 14.6. 2013 in Tübingen (Forum Scientiarum, Hörsaal 1) statt. Der Workshop „Analogie. Zur Aktualität eines philosophischen Grundbegriffes“ am 4. und 5. Juli 2013 am Forum Scientiarum (Veranst. Koch, Noveanu, Weidtmann) schloss daran z.T. inhaltlich an.
Die Beiträge zu der Konstanzer Tagung wurden (unter Einwerbung weiterer Beiträge) 2015 in dem Sammelband Ähnlichkeit. Ein kulturtheoretisches Paradigma (herausgegeben von Anil Bhatti und Dorothee Kimmich unter Mitarbeit von Sara Bangert, Konstanz: Konstanz University Press 2015) publiziert, der 2018 ins Englische übersetzt wurde. Darüber hinaus erschienen eine Reihe weiterer Publikationen und es entstand die Dissertation Entgrenzte Ähnlichkeit (2020).
2019/2020 war das Thema Schwerpunkt des Germanistischen Institutskolloquiums. Hier waren (neben Vorträgen von Dorothee Kimmich und Jörg Robert) unter anderem Prof. Hartmut Winkler und Prof. Felix Wichmann zu Gast. Weitere geplante Vorträge wurden aufgrund der Corona-Pandemie verschoben.
2021 fanden zwei Workshops und eine Sektion im Rahmen des XIV. Kongresses der Internationalen Vereinigung für Germanistik (IVG): „Wege der Germanistik in transkulturellen Perspektiven“ statt (vgl. https://ages-info.org/wp-content/uploads/2018/05/CFP.pdf). Hier finden Sie die Publikation der Sektion unter dem Tiel: "Ähnlichkeit: Kulturtheoretisches Paradigma, methodische Herausforderung und ein Beitrag zu den Global Epistemologies. In: Laura Auteri (Hg.): Akten des XIV. Internationalen Germanistenkongresses Palermo 2021: Wege der Germanistik in transkulturellen Perspektiven, Band 4, Bern u.a.: Peter Lang 2022, S. 479-498, (DOI: 10.3726/b19958).