Projektleitung: Prof. Dr. Jörg Robert (in Planung, 2022)
„Der Gang unseres Geistes wird so oft durch zufällige Verkettungen bestimmt“, schreibt Schiller im Rückblick auf die Jahre ‚vor der Klassik‘ (NA 31, S. 72). Zu diesen „zufälligen Verkettungen“ gehört die Begegnung mit Christian Gottfried Körner (1756–1831). Die 1792/93 im Zwiegespräch mit Körner entwickelte ästhetische Theorie sollte in einen philosophischen Dialog mit dem Titel Kallias oder Über die Schönheit münden. Im Zentrum steht die Auseinandersetzung mit Kant (Critik der Urtheilskraft, 1790; Critik der practischen Vernunft, 1788), bei dem Schiller und Körner einen „objectiven Begriff des Schönen, der sich eo ipso auch zu einem objectiven Grundsatz des Geschmacks qualificirt“ (NA 26, S. 170), vermissen. Das Dialog-Projekt kam nicht zustande, doch der Briefwechsel der Freunde wird zur Keimzelle der großen Abhandlungen der Folgezeit (Über Anmut und Würde, 1793 in der Neuen Thalia; Briefe Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen in den Horen 1795; Ueber naive und sentimentalische Dichtung in den Horen 1795/96).
Die Kallias-Briefe sind als Ausgangspunkt für Schillers klassische Ästhetik zwar gut bekannt, stehen jedoch im Schatten der ‚großen‘ Abhandlungen. Diese unbefriedigende Situation erklärt sich auch aus der Editionslage: Die vorliegenden Ausgaben des Kallias-Komplexes seit Ludwig Geiger (1892) bieten entweder nur Schillers Briefe (z.B. Sämtliche Werke, Bd. 5, hg. von Wolfgang Riedel, 2004), Schillers und Körners Briefe getrennt (Nationalausgabe), nur einzelne Briefe oder diese nur auszugsweise (hg. von Klaus L. Berghahn, 1971). Auf diese Weise ist nicht nur der Anteil Körners an Schillers Ästhetik unterschätzt worden. Die Konzentration auf die im engeren Sinne ästhetischen Passagen hat zudem viele v.a. politische Kontexte ausgeblendet, die für die Konturierung der ästhetischen Theorie (z.B. für den ästhetischen Freiheitsbegriff) zentral sind. Ziel des Projektes ist eine kommentierte Neuausgabe des Kallias-Briefwechsels (auf der zu revidierenden Textgrundlage der Nationalausgabe), die gegenüber den vorliegenden Ausgaben (v.a. Berghahn 1971) neue Akzente setzt. Einerseits sollen erstmals alle Briefe vollständig wiedergegeben werden. Andererseits werden Briefe im Vor- und Nachfeld einbezogen, in denen die Kallias-Thematik vorbereitet oder weiterverfolgt wird (Übergangsfeld zu Ueber Anmut und Würde). Ein eingehender Kommentar ersetzt die kursorische Kommentierung der NA und der vorliegenden Leseausgaben. Berücksichtigt werden außerdem Dokumente zur Wirkungs- und Verbreitungsgeschichte (z.B. Körners kollatera-len Kallias-Briefwechsel mit Wilhelm von Humboldt).