Prof. Dr. Jörg Robert

Sarah Gaber

Kontakt: sarah.gaberspam prevention@uni-tuebingen.de

Projektbeschreibung

Gottfried Benn und der literarische Nachkrieg. Werke und Wechselwirkungen des späten Ruhms

Nach 1945 gestaltet sich die Karriere des Dichters Gottfried Benn wechselhaft: Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg sowohl von den Vertretern der alliierten Kulturpolitik als auch von alten Bewunderern wie Klaus Mann verfemt, stößt der ehemalige Kennautor des Expressionismus seit der Veröffentlichung der Statischen Gedichte 1948 erneut ins Zentrum der kulturellen Nachkriegsszene vor und wird zum preisgekrönten „Phänotyp dieser Stunde“ (Wellershoff). In der derzeit prosperierenden Benn-Forschung sind die Wegmarken dieser Positionsverschiebung zwar gut dokumentiert, die systematische Erschließung ihrer Ursachen und Effekte ist indes eine Leerstelle geblieben. Das Dissertationsvorhaben mit dem Arbeitstitel Feldfaktoren. Gottfried Benn und die Literaturwissenschaft nach 1945 setzt in dieser Mängellage ein, indem es die tiefer liegenden und symbiotischen Strukturen von Benns Kanonisierung nach 1945 problematisiert. Thematischer Schwerpunkt ist hierbei eine ganzheitliche Aufarbeitung des Verhältnisses zwischen Gottfried Benn einerseits, der Literaturkritik, Philologie und weiteren Akteuren im Literaturbetrieb der Besatzungszeit und jungen Bundesrepublik andererseits.

Ausgerüstet mit dem für Kanonisierungsprozesse ergiebigen Instrumentarium der Bourdieuschen Feldtheorie soll ausgehend von einem klar umrissenen Materialkorpus die These geprüft werden, inwieweit Benns Karriere nach 1945 ein Effekt gelingender Wechselwirkungen und Allianzen im literarischen Feld ist, die ihre Wirkmacht einer einzigartigen historischen Gemengelage verdanken. Entsprechend der Leitthese des Dissertationsprojekts basiert dieser Ursachenkomplex zu gleichen Teilen auf der poetischen Agenda Benns, seiner habituellen Arbeit am eigenen Image, der Nachkriegsmentalität des Publikums sowie auf den erfolgreichen Strategien bestimmter Kritikergruppen, die sich anhand der Kooperation mit dem Dichter selbst eine dominante Stellung im literarischen Feld erarbeiten. In diesem Sinne ist es der Anspruch des Skizzierten erstens die Tradierung eines bis heute gültigen Benn-Bildes zu rekonstruieren – nämlich dasjenige des Klassikers der Moderne. Darüber hinaus möchte die Studie indes auch einen Forschungsbeitrag im Kontext der ,anderen‘ Seite der Literaturgeschichte leisten: Derjenigen der (Neu-)Konstituierung des literarischen Feldes nach 1945, mitsamt seiner Kanonpolitik sowie ästhetischen und außerästhetischen Interessensbildung.