1. Förderphase (2019-2023): Purismus – Diskurse und Praktiken der Sprachreinheit
Mitarbeiter: Bernhard Pattis, Martin Sinn
„Sprachpurismus“ – d.h. das Streben nach einem reinen, der jeweiligen Sprache natürlichen und angemessenem Sprachgebrauch – ist eine Forderung, die für die europäische Kultur- und Literaturgeschichte bis heute virulent ist – weit über die immer wieder aufflammende Kritik am Fremdwortgebrauch (Anglizismen, ‚Denglisch’) hinaus. Das interdisziplinäre Teilprojekt, das Literatur- und Sprachwissenschaft, Romanistik und Germanistik verbindet, untersucht den frühneuzeitlichen Sprachpurismus vergleichend für die drei eng verbundenen Sprach- und Kulturräume Italien, Frankreich und Deutschland. Im Blickpunkt stehen Wechselwirkungen zwischen Sprachpolitik, Poetik und gesellschaftlicher Praxis, die sich v.a. an den Aktivitäten der Sprachakademien (z.B. Accademia della Crusca, Académie française, Fruchtbringende Gesellschaft) beobachten lassen. Während dabei literarische Texte und Regelpoetiken sprachpuristische Argumentationen aufnehmen, berufen sich linguistische Fachtexte (Grammatiken, Wörterbücher, Sprachtraktate) auf literarische Modelle (z.B. Petrarca bei Bembo, Luther bei Clajus und Opitz) und integrieren poetologische Reflexionen in sprachprogrammatische Überlegungen. Diese Normen werden dann wiederum auf Felder sozialer Praxis bezogen, wo sie z.B. bei Castiglione oder G. Ph. Harsdörffer das Ideal höfischer Kommunikation und Interaktion in Wort und Schrift bestimmen.
Ziel des Projektes ist es, die Auswirkungen des frühneuzeitlichen Sprachpurismus auf Ästhetik, Poetik und soziale Praxis im 16. und 17. Jahrhundert für Italien, Frankreich und Deutschland zu untersuchen. Die unterschiedlichen ‚Sprachpurismen’ werden (1) ausgehend von zentralen Autoren und Akteuren – insbesondere innerhalb der jeweiligen Sprachakademien – untersucht (u.a. Bembo, Salviati, Vaugelas, Ludwig von Anhalt-Köthen, Opitz, Harsdörffer). In einem zweiten Schritt (2) sollen die institutionellen Praktiken dieser Akademien selbst (z.B. Kodifizierungswerke, Organisationsformen, Kommunikation und Briefwechsel, literarische Produktion usw.) untersucht werden. Schließlich (3) sollen die konkreten Beziehungen und interkulturellen Wechselwirkungen zwischen der italienischen Accademia della Crusca, der durch diese angeregten deutschen Fruchtbringenden Gesellschaft und der französischen Académie française untersucht werden. Das besondere Augenmerk gilt der Frage, wie sprachpuristische Programmatiken auf literarische Praxis einwirken, aber auch, wie gesellschaftliche Komponenten auf das ästhetische Ideal der reinen Sprache rückwirken können.