LegiNot
Legitimation des Notfalls - Legitimationswandel im Notfall
Seit dem 01. März 2022 fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) auf Basis des Programms „Forschung für die zivile Sicherheit" das Verbundprojekt LegiNot – Legitimation des Notfalls - Legitimationswandel im Notfall. Die Förderung wird im Rahmen der Bekanntmachung „Zivile Sicherheit – Gesellschaften im Wandel“ gewährt.
Alle aktuellen Informationen zum Projekt finden Sie auf der Projekthomepage www.leginot.de
Ziele und Forschungsschwerpunkte von LegiNot
Der Notfall begründet einen radikalen Wandel der Sicherheitsgewährleistung. Notfallgesetze und -verordnungen treten in Kraft und sind von Polizei und teils auch kommunalen Ordnungsdiensten durchzusetzen. Da er teils erhebliche Eingriffe in Grundrechte begründet, ist die Ausrufung des Notfalls ebenso legitimationsbedürftig wie die Ausübung der Notmaßnahmen selbst. Ihre Akzeptanz speist sich aus der staatlichen Schutzpflicht wie aus der prinzipiellen Anerkennung der Autorität des Staates und seiner Organe; umgekehrt aber kann ein Versagen des Notfallmanagements deren Legitimität in Frage stellen, eine Verweigerung der Akzeptanz einzelner Maßnahmen zu einer generellen Legitimationskrise führen. Insofern sind der Notfall und Notfallmaßnahmen der Stresstest von Legitimations- und Akzeptanzbedürfnissen.
Dies gilt insbesondere bei Notfällen von erheblicher Schwere und starker Dynamik, von bundesweiter Tragweite, von längerer Dauer und mehr noch, wenn nur geringe Erfahrungswerte mit einer Notfalllage vorliegen, wenn es gewissermaßen an einem „Drehbuch“ fehlt. In solchen Fällen sind Betroffenheit und Verletzlichkeit lokal, regional und sozial sehr unterschiedlich verteilt, nicht nur Primärschäden, sondern auch maßnahmenbedingte Sekundärschäden stellen sich ein, nach einer Akutphase stellt sich die Frage, wann und wie man aus der Notfalllage herauskommt, dies insbesondere dann, wenn bei neuartigen Großschäden die Lageentwicklung mit erheblichen Ungewissheiten verbunden ist. Eine selbstlegitimierende Kraft durch die Evidenz des Notfalls schwindet schnell, die scheinbare Alternativlosigkeit von Entscheidungen wird von ihrem politischen Charakter überlagert, die Priorisierung und Distribution behördlicher Hilfe wird ebenso rechtfertigungspflichtig wie die Einschränkungen des sozialen Lebens. Entsprechend entfalten sich in einer Demokratie Meinungspluralität und Streit, selbst die zugrunde liegenden Expertisen für behördliche Maßnahmen können in Zweifel geraten und öffentliche (Zu)Stimmungen gänzlich kippen.
Diese Wandlung in den wechselseitigen Bedingungen von Akzeptanzbedarf und Legitimationsanforderungen in einem ausgedehnten Notfallgeschehen ist bisher weder in seiner Logik noch in seiner Dynamik und in seinen Dimensionen hinreichend erfasst. Ziel des Projekts ist, erstens eine systematische Analyse dazu vorzulegen und zweitens auf dieser Basis Orientierungswissen für Behörden und Organisationen im Sicherheitsbereich zur (lokalen) Ausgestaltung von Maßnahmen und zur Risikokommunikation in Notfällen zu gewinnen. Im Wesentlichen bietet die gegenwärtige Pandemie die empirische Basis der Forschung, die Zielsetzungen stellen dennoch allgemeiner auf weitreichende Notfälle ab.
Die Stiftungsprofessur für Kriminalprävention und Risikomanagement an der Eberhard Karls Universität Tübingen, Prof. Dr. Rita Haverkamp, untersucht mit einer Vignettenbefragung und qualitativen Interviews die Kooperationsbereitschaft der Bevölkerung, die über das Verhältnis und Handeln von Polizei bzw. kommunalen Ordnungsdiensten in Notfalllagen erschlossen wird. Zudem werden die kommunale Umsetzung von Notfallverordnungen sowie die lokal operierenden Akteure des Katastrophen- und Bevölkerungsschutzes in den Fokus genommen.
Das auf drei Jahre angelegte Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des Programms Forschung für die zivile Sicherheit zur Bekanntmachung „Zivile Sicherheit – Gesellschaften im Wandel“ gefördert. Es wird koordiniert von Prof. Dr. Rita Haverkamp von der Stiftungsprofessur für Kriminalprävention und Risikomanagement (Uni Tübingen).
Projektteam und Partner
Konsortium:
Prof. Dr. Rita Haverkamp, Universtität Tübingen
Ina Hennen, Universität Tübingen
Deborah Halang, Universität Tübingen
Frederik Kohler, Universität Tübingen
Prof. Dr. Christoph Gusy, Universtität Bielefeld
Juliane Klei, Universtität Bielefeld
Ksenia Dick, Universität Bielefeld
Prof. Dr. Stefan Kaufmann, Universität Freiburg
André Biermann, Universität Freiburg
Tjorven Harmsen, Universität Freiburg
Assoziierte Partner:
- Johanniter-Unfall-Hilfe e.V. - Regionalverband Rhein-Main
- Polizeipräsidium Freiburg
- Landeshauptstadt München
- Stadt Essen
- LKA Bayern
- Bayerisches Kompetenzzentrum "Sicherheit im öffentlichen Raum"
- Gesundheitsamt Frankfurt am Main
Forschungspartner:
DEFUS - Deutsch-Europäisches Forum für Urbane Sicherheit
DPT-Institut für angewandte Präventionsforschung
Veröffentlichungen
- Harmsen, T., & Ibert, O. (2023): Alles Krise, oder was? Ein Beitrag zur Begriffsschärfung und Erfassung heutiger Krisen. In: Kiess, J., Preunkert, J., Seeliger, M., Steg, J. (Hrsg.): Krisen und Soziologie. Weinheim Basel: Beltz, S. 22-40 (Leseprobe online einsehbar).
- Haverkamp, R., Gusy, C., & Harmsen, T. (2023): Krisen und Prävention aus interdisziplinärer Perspektive. In: Wollinger, G.R. (Hrsg.): Krise & Prävention. Expertisen zum 28. Deutschen Präventionstag. Hannover: DPT, S. 19-37. Online verfügbar.
- Harmsen, T. & Ibert, O. (2023): Turbulenzen der globalen Gesellschaft: Erscheinungsformen, Herausforderungen und Chancen heutiger Krisen. Unterricht Wirtschaft + Politik, 13(1), 2-6.
- Haverkamp, R.; Hennen, I.; Jambon, A.-M.; Kaltenbach, M. (2023): Multiple Krisen als lokaler Stresstest. Zur kommunikativen Herstellung von Akzeptanz am Beispiel der Corona-Pandemie. In: Transforming Cities (1), S. 42-45.
- Ibert, O., & Harmsen, T. (2022): Eingebettete Krisen: Bedrohung und Gelegenheit. In: Gesundheit und Gesellschaft, 22(3), 7-14. Online verfügbar.
Mehr Informationen zum Sicherheitsforschungsprogramm des BMBF finden Sie unter: