Chengji Jiang
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Projektbeschreibung
Poetik des Archivs in dem literarischen Realismus
Archive liegen in der Mode. In Opposition zur ökonomischen und sozialen Beschleunigung manifestieren sich die Archive als Teil des Gegenwartsgefühls und als ein Gemeinplatz der Erinnerung. Dieser Eindruck gewinnt, berücksichtigt man auch mit, dass das Archiv neben dessen institutionellen und materialen Bedeutungen im poststrukturalistischen Kontext zunehmend als methodisch und metaphorisch konzeptualisiert wird. Dem Perspektivwechsel zufolge sind „Archiv-Turn“, „Archivprozesse“ sowie „Archivieren als Kulturtechnik“ in den Blick zu nehmen, so dass sich das Archiv in der Reichweite der Kulturwissenschaften als Dynamisierung des Begriffs beobachten lässt.
In dem Zusammenhang der Inflation des Archivs wird in meinem Dissertationsprojekt zu zeigen sein: Wie ist die Faszination für das Archiv zu erachten? Was versteht man in historischen und kulturellen Konstellationen unter dem Archivbegriff? Inwiefern kommt dem Spektrum des Archivs eine bedeutende Rolle in Bereichen der Kunst-, Kultur- und Literaturwissenschaft zu? Zur Annäherung an mögliche Antworten lassen sich im Folgenden die semantischen Definitionen und die philosophischen Ansätze (Foucault, Derrida, Assmann) des Archivs konturieren und explizieren, wodurch ein neuer Zugang zur Archivlandschaft im Wuchern der Theorie eröffnet wird. Im Licht der theoretischen Vorüberlegungen wird das Archiv als „kulturtechnische Universalmetapher“ (Ernst) in die Domäne der Literaturwissenschaft herangezogen. Auch das Paradigma des New Historicism und die „literaturwissenschaftliche Text-Kontext-Theorie“ (Baßler) bereiten den Schauplatz für interdisziplinären und dispositiven Archivbegriff. In Hinsicht auf literarische Verfahren haben die Germanisten wie Neuhaus, Schneider und Bez vor allem die Archivtechnik und Archivpoetik zu Goethes Spätwerk analysiert, was im literarischen Experimentalraum die Pluralisierung der Daten und Veränderungen der Wissensproduktion um 1800 andeutet.
Grundiert von diesen anbrechenden Forschungen geht das Dissertationsprojekt auf die Journalliteratur im literarischen Realismus (1850-1900) ein, woran es liegt, dass zum einen die Kanonisierung der realistischen Literatur zuerst in Zeitschriften erschienen sind und die Zeitschriften zum anderen als „kleine Archive“ (Frank/Podewki/Schere) herausgearbeitet werden, indem das Wissen auf spezifisch geordnete Weise präsentiert, organisiert und reflektiert wird. Um die Mannigfaltigkeit der Realien darzustellen, werden die Sagbarkeit und Sichtbarkeit in Zeitschriften ins Zusammenspiel gebracht. Diese Darstellung der Anschaulichkeit könnte mit Baumgartens ästhetischem Programm (Ästhetik ist die Wissenschaft der sinnlichen Erkenntnis) assoziiert werden. Unter diesen Voraussetzungen werden in dem Dissertationsprojekt anschließend die Archivierung des Wissens, Medien des Archivs, Museales Erzählen, Poetik des Sammelns usw. zur Debatte gestellt. Zur Lektüre stehen die Texte von Adalbert Stifter, Theodor Fontane und Gustav Flaubert zur Auswahl.