Prof. Dr. Jörg Robert

A03: Reine Sprache, guter Ton – Purismus und Ästhetik des Umgangs in der frühneuzeitlichen Konversationsliteratur

Projektleiter:in: Prof. Dr. Sarah Dessì Schmid (Romanistik), Prof. Dr. Jörg Robert (Germanistik, Neuere deutsche Literatur)

Offizielle Homepage zum SFB 1391 Teilprojekt A03 Reine Sprache, guter Ton

2. Förderphase (2023-2027)
Mitarbeiter:innen: Katharina Fezer, Patrick Koch, René Waßmer

Das linguistisch-literaturwissenschaftliche Teilprojekt A3 setzt in der 2. Förderphase die Suche nach interkulturellen Ver­flechtun­gen von Sprachnormierung und -purismus in Italien, Frankreich und Deutschland fort. Standen bisher institutionelle Prozes­se der Sprachnor­­mie­­rung (Sprachakademien und -gesellschaften) sowie Programme und Prakti­ken der Sprach­rei­nigung im Zentrum, so soll nun das kommunikati­ve Handeln in Theorie und Praxis der frühneuzeitlichen Konversation untersucht werden. Die Ideale von ‚reiner Sprache‘ und ‚gutem Ton‘ verbinden sich im 16. und 17. Jahrhundert zu einer ausdifferenzierten ‚Ästhetik des Umgangs‘.

Ausgangspunkt des Projekts ist ein transkulturelles und mehrsprachiges Korpus, das als Anstands- oder Konversa­tions­lite­ratur anzusprechen ist. Das Projekt wird die drei wichtigsten Traditionslinien für den Zeitraum aufeinander beziehen: 1. die Hofmann-Literatur im Stile von Castigliones Libro del Corte­gia­no; 2. die Konversationstrakta­te von Gio­­vanni della Casa (Galateo, 1558) und Stefano Guazzo (La civil conversazione, 1574), die sich an stadtbürgerliche Rezipienten wenden und in Frankreich (Faret, L’honnête homme ou l’art de plaire à la Cour, 1630) wie in Deutschland in lateini­schen und deutschen Übersetzun­gen rezipiert werden; 3. die humanistisch geprägte Dialogliteratur, die – in der Tradition von Erasmus’ Colloquia familiaria – Formung der Sprache und Formung des Benehmens theoretisch und praktisch-performativ verbindet.

Ziel dieser Schriften ist es, den sozialen ‚Umgang‘ (conversatio) zu for­men, Höflichkeit und ‚guten Ton‘ zu vermitteln. Zentrale ästhetische Re­fle­xions­figur ist daher nun die Kategorie des decorum (frz. bienséance), in der sich aus autologischer und heterologischer Perspektive sprach- und verhaltensbezogene Tugenden verflechten.

Internationaler Workshop 
„Reine Sprache, guter Ton. Ästhetik des Umgangs im Europa der Frühen Neuzeit" 
06.–08. November 2024; Alte Aula (Münzgasse, Tübingen)
Mehr Informationen zum Workshop


1. Förderphase (2019-2023): Purismus – Diskurse und Praktiken der Sprachreinheit
Mitarbeiter: Bernhard Pattis, Martin Sinn

„Sprachpurismus“ – d.h. das Streben nach einem reinen, der jeweiligen Sprache natürlichen und angemessenem Sprachgebrauch – ist eine Forderung, die für die europäische Kultur- und Literaturgeschichte bis heute virulent ist – weit über die immer wieder aufflammende Kritik am Fremdwortgebrauch (Anglizismen, ‚Denglisch’) hinaus. Das interdisziplinäre Teilprojekt, das Literatur- und Sprachwissenschaft, Romanistik und Germanistik verbindet, untersucht den frühneuzeitlichen Sprachpurismus vergleichend für die drei eng verbundenen Sprach- und Kulturräume Italien, Frankreich und Deutschland. Im Blickpunkt stehen Wechselwirkungen zwischen Sprachpolitik, Poetik und gesellschaftlicher Praxis, die sich v.a. an den Aktivitäten der Sprachakademien (z.B. Accademia della Crusca, Académie française, Fruchtbringende Gesellschaft) beobachten lassen. Während dabei literarische Texte und Regelpoetiken sprachpuristische Argumentationen aufnehmen, berufen sich linguistische Fachtexte (Grammatiken, Wörterbücher, Sprachtraktate) auf literarische Modelle (z.B. Petrarca bei Bembo, Luther bei Clajus und Opitz) und integrieren poetologische Reflexionen in sprachprogrammatische Überlegungen. Diese Normen werden dann wiederum auf Felder sozialer Praxis bezogen, wo sie z.B. bei Castiglione oder G. Ph. Harsdörffer das Ideal höfischer Kommunikation und Interaktion in Wort und Schrift bestimmen.
Ziel des Projektes ist es, die Auswirkungen des frühneuzeitlichen Sprachpurismus auf Ästhetik, Poetik und soziale Praxis im 16. und 17. Jahrhundert für Italien, Frankreich und Deutschland zu untersuchen. Die unterschiedlichen ‚Sprachpurismen’ werden (1) ausgehend von zentralen Autoren und Akteuren – insbesondere innerhalb der jeweiligen Sprachakademien – untersucht (u.a. Bembo, Salviati, Vaugelas, Ludwig von Anhalt-Köthen, Opitz, Harsdörffer). In einem zweiten Schritt (2) sollen die institutionellen Praktiken dieser Akademien selbst (z.B. Kodifizierungswerke, Organisationsformen, Kommunikation und Briefwechsel, literarische Produktion usw.) untersucht werden. Schließlich (3) sollen die konkreten Beziehungen und interkulturellen Wechselwirkungen zwischen der italienischen Accademia della Crusca, der durch diese angeregten deutschen Fruchtbringenden Gesellschaft und der französischen Académie française untersucht werden. Das besondere Augenmerk gilt der Frage, wie sprachpuristische Programmatiken auf literarische Praxis einwirken, aber auch, wie gesellschaftliche Komponenten auf das ästhetische Ideal der reinen Sprache rückwirken können.