Juristische Fakultät

Tübinger Arbeitsrechtstag

Ankündigung - Save the Date

Der 19. Tübinger Arbeitsrechtstag wird am Freitag, den 4. April 2025 stattfinden. Alle weiteren Informationen und die Möglichkeit zur Anmeldung werden Sie auf dieser Seite finden.

Der Tübinger Arbeitsrechtstag nimmt aktuelle und streitige Themen des Arbeitsrechts zum Anlass, einen qualifizierten Dialog zwischen universitärer Forschung und der juristischen Praxis des Arbeits- und Sozialrechts zu ermöglichen und möchte damit den Teilnehmern aus dem Wirtschafts- und Rechtsleben neue Perspektiven eröffnen. Die Auswahl der Referenten gewährleistet die Vermittlung des aktuellen Stands der Rechtsdogmatik und Rechtsprechung zum Thema. Gleichzeitig soll die Veranstaltung die Verbindung zwischen der Universität Tübingen und den im mittleren Neckarraum tätigen Arbeitsgerichten, Verbänden und Unternehmen stärken.

Tagungsbericht

Der 18. Tübinger Arbeitsrechtstag unter doppelter Schirmherrschaft

Am 22. März 2024 begrüßte Prof. Hermann Reichold (Universität Tübingen) Arbeitsrechtler aus Wissenschaft und Praxis im Audimax der Neuen Aula zum nunmehr 18. Tübinger Arbeitsrechtstag. Die Rolle des Gastgebers teilte er sich in diesem Jahr mit seinem Lehrstuhlnachfolger Prof. Christian Picker (Universität Tübingen). Die Tagung stieß mit rund 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmern auf große Resonanz.

Das übergeordnete Thema des diesjährigen Tübinger Arbeitsrechtstags lautete: "Arbeitsentgelt – staatlich verordnet und/oder autonom vereinbart?". Die Veranstaltung brachte Experten aus verschiedenen Bereichen des Arbeitsrechts zusammen, um aktuelle Fragen und Herausforderungen im Zusammenhang mit Arbeitsentgelt und dessen rechtlicher Regulierung zu beleuchten und zu diskutieren.

Eingeleitet wurde der diesjährige Arbeitsrechtstag durch den Vortrag von Prof. Martina Benecke (Universität Augsburg) über „Neues zur Entgeltdiskriminierung wegen des Geschlechts“, der die unionsrechtlich bedingten Eingriffe in die Privatautonomie durch das gesellschaftspolitisch motivierte Ziel der Gleichstellung kritisch untersuchte.
Nach einer Einführung zur rechtlichen Dimension der Gender Pay Gap besprach Benecke die viel diskutierten Entscheidungen des 8. Senats des BAG und die Folgen der Auskunft nach dem EntgTranspG sowie die Wirkung von Vertragsverhandlungen. Im Anschluss beleuchtete sie eingehend die Entgelttransparenzrichtlinie und deren Auswirkungen auf das EntgTranspG.
Nach Prognosen über die künftigen Herausforderungen für Betriebe und Unternehmen durch die Richtlinie sowie die Entwicklungen in der deutschen und europäischen Rechtsprechung gelangte Benecke zum Fazit, dass dies idealerweise zu transparenteren Entgeltsystem führen werde; zumindest die unbereinigte Gender Pay Gap werde jedoch weiterhin unverändert fortbestehen und die gewünschte Gleichstellung werde im Wege der Ergebnisgleichheit mit erheblichen Einbußen an Gestaltungsfreiheit erkauft. Es bleibe jedoch dabei, dass richterlicher und gesetzgeberischer Paternalismus an Defiziten beim Frauenbild wenig ändern werden.

Anschließend referierte Prof. Christian Picker zum Thema Funktionalität des gesetzlichen Mindestlohns. Vor dem Hintergrund des Paradigmenwechsels bei der Mindestlohnfindung, eingeläutet durch das Mindestlohnerhöhungsgesetz der „Ampel“-Koalition aus dem Jahre 2022, untersuchte Picker die verschiedenen Funktionen des gesetzlichen Mindestlohns und die Mindestlohnkonzeption.
Zunächst aber dankte er Prof. Hermann Reichold für die Schaffung des Arbeitsrechtstags und kündigte an, den Arbeitsrechtstag in den kommenden Jahren in seiner bewährten Form fortzuführen. Einleitend ging Picker auf die Situation im Niedriglohnsektor vor Einführung des gesetzlichen Mindestlohns ein. Im Falle des Versagens der Tarifautonomie bestehe eine subsidiäre Regelungskompetenz des Staates zur Schaffung eines Schutzkonzepts. Die staatliche Intervention stelle jedoch einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in Art. 12 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 3 GG dar. Als mögliche Funktionen des gesetzlichen Mindestlohns diskutierte Picker zunächst das Ziel der Gewährleistung eines „gerechten“ Lohns, die sozialrechtliche Bedarfsgerechtigkeit und schließlich die Verhinderung von „Lohndumping“. Danach stellte Picker dem Konzept der vertraglichen Austauschgerechtigkeit das der sozialstaatlichen Bedarfsgerechtigkeit gegenüber. Letzteres lasse im Gegensatz zu ersterem keine Tarifdispositivität und Ausnahmen zu. Er resümierte, der gesetzliche Mindestlohn sei eine zulässige Notlösung – aber kein Allheilmittel. Vielmehr sei es gerade auch im Niedriglohnsektor notwendig – anstelle staatlicher Intervention – auf die kollektive Selbsthilfe zu setzen und eine „Revitalisierung“ der Tarifautonomie zu erreichen.

Die Mittagspause in der Wandelhalle der Neuen Aula bot Gelegenheit zur Stärkung und zum informellen Austausch über die diskutierten Themen.

Der Nachmittag startete mit dem Vortrag von Prof. Dr. Georg Annuß, LL.M., (Rechtsanwalt Pusch Wahlig Workplace Law, München), zu dem Thema „Betriebsratsvergütung – Ruhe nach dem Sturm?“. Ein Gebiet, das nicht zuletzt durch das Urteil des 6. BGH-Strafsenats zu überhöhten Entgelten für Betriebsrats-Vorsitzende aus dem Jahr 2023 für Schlagzeilen und erhebliche Verunsicherung in der Praxis gesorgt hatte. Eingehend und anschaulich zeigte er dabei den maßgeblichen normativen Rahmen auf. Ausgangspunkt sei dabei immer die gesetzgeberische Grundentscheidung in § 37 Abs. 1 BetrVG, namentlich das Ehrenamtsprinzip. Hiervon ausgehend sei eine zweistufige Betrachtung vorzunehmen. Primäre Anknüpfungspunkt sei der arbeitsvertragliche Vergütungsanspruch des Betriebsratsmitglieds unter Berücksichtigung der individuellen beruflichen Entwicklung.
Auf der zweiten Stufe sei diesem Ergebnis die betriebsübliche Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer gegenüberzustellen. Als typisierende Ausprägung des Benachteiligungsverbots des § 78 S. 2 BetrVG führe § 37 Abs. 4 BetrVG im Falle des Zurückbleibens der individuellen Vergütungsentwicklung hinter der betriebsüblichen Vergütungsentwicklung zu einem Anspruch des Betriebsratsmitglieds auf Erhöhung und stelle hierdurch eine gesetzliche Untergrenze dar. In diesem Kontext sei es aufgrund der Normstruktur des § 78 S. 2 BetrVG unabdingbar in den jeweiligen Konstellationen auf die richtige Perspektive zu achten: Wer sich auf eine Benachteiligung oder Begünstigung berufe, trage die Beweislast hierfür.
Die Praxistauglichkeit der Regelungen zu den einzelfallabhängig und konkret zu bildenden Vergleichsgruppen wurde hiernach kritisch untersucht. Zuletzt kommentierte Annuß die – vor allem der notwendigen Klarstellung dienenden – Änderungen der § 37 Abs. 4 BetrVG und § 78 BetrVG.
Insgesamt lieferte der Vortrag von Annuß wichtige Einblicke aus der anwaltlichen Praxis in die aktuellen Entwicklungen im Bereich der Vergütung von Betriebsräten und die gesetzliche Novellierung, die zur Lösung bestehender Unsicherheiten beitragen soll. Dem Vortrag schloss sich eine intensive und kontroverse Diskussion durch Impulse aus dem Publikum an, die eine weitergehende Vertiefung über das Verständnis der normativen Grundlagen der Betriebsratsvergütung und deren Auslegung ermöglichte.

Als letzter Referent der Tagung widmete sich Jun.-Prof. Stephan Gräf (Universität Konstanz) der Frage: „Entgeltreduzierung mittels Betriebsübergangs – geht das überhaupt?“.
Vor dem Hintergrund des § 613a BGB und der hierzu ergangenen umfangreichen Rechtsprechung untersuchte Gräf – nach einer kurzen Schilderung der Interessenlage – zunächst die Möglichkeiten der Entgeltreduzierung im Kontext eines Betriebsübergangs bei arbeitsvertraglich vereinbartem Entgelt. Anschließend ging er auf die komplexe Rechtslage bei tarifvertraglich geregeltem Entgelt ein.
Gräf resümierte, dass es durchaus Konstellationen gebe, in denen der Betriebsübergang als Gestaltungsmittel zur Entgeltreduzierung eingesetzt werden könne. So zum Beispiel im Falle beiderseitiger Tarifbindung § 613a Abs. 1 S. 3 BGB durch Ablösung des Tarifvertrags durch einen anderen beim Erwerber bereits bestehenden Tarifvertrag. Auch eine Reduzierung nach § 613a Abs. 1 S. 4 Alt. 2 BGB i.V.m. einer großen dynamischen Bezugnahmeklausel sei nach zutreffender Ansicht möglich. In sonstigen Konstellationen komme eine Entgeltreduzierung im Kontext von Betriebsübergängen nur durch zusätzliche arbeits- oder kollektivrechtliche Gestaltungen in Betracht, die jeweils an unterschiedlich strenge Voraussetzungen geknüpft seien.

Reichold und Picker bedankten sich abschließend bei den Referenten für die spannenden Vorträge und dem Publikum für die angeregte Diskussion der Themen. Sie schlossen mit der Ankündigung des kommenden 19. Tübinger Arbeitsrechtstags 2025, der erneut Gelegenheit zum Austausch von Wissen und Perspektiven aus verschiedenen Bereichen des Arbeitsrechts ermöglichen wird. Insgesamt bot der 18. Arbeitsrechtstag einen wertvollen Diskurs über aktuelle rechtliche, aber auch rechtspolitische Entwicklungen und Herausforderungen im Bereich des Arbeitsentgelts.

Text: Dalia Mohei El-Din u. Jonas Lohrmann
Bilder: Laura Anger

Programm

10.00 Begrüßung

Prof. Dr. Hermann Reichold, Universität Tübingen

10.15 Neues zur Entgeltdiskriminierung wegen des Geschlechts

Prof. Dr. Martina Benecke, Universität Augsburg

11.20 Funktionalität des gesetzlichen Mindestlohns

Prof. Dr. Christian Picker, Universität Tübingen

12.30 Mittagspause

13.30 Betriebsratsvergütung – Ruhe nach dem Sturm?

Rechtsanwalt Prof. Dr. Georg Annuß, München

14.40 Entgeltreduzierung mittels Betriebsübergangs – geht das überhaupt?

Jun.-Prof. Dr. Stephan Gräf, Universität Konstanz

15.40 Abschlussdiskussion

16.00 Schlusswort

Flyer des 18. Tübinger Arbeitsrechtstags