Im Alltag betrachten wir Unterschiede zwischen Individuen hinsichtlich Aussehen, Einstellungen oder Lebensstil als normal. In gesundheitsbezogenen Aktivitätsprogrammen werden Menschen dagegen oft stereotyp behandelt und erhalten keine individuell auf sie zugeschnittene Verhaltensberatung.
Bislang liegen vergleichsweise wenige Studien zur Individualisierung eines gesundheitsorientierten Trainings für inaktive Menschen vor. Vor allem aber untersuchen die vorliegenden Studien individuelle Anpassungsreaktionen meist nur aus der Sicht einer einzigen wissenschaftlichen Disziplin, wie z.B. der Sportmedizin, der Trainingswissenschaft oder der Psychologie.
Beim Projekt "Individual Response to Physical Activity – A Transdisciplinary Approach (iReAct)" handelt es sich um einen interdisziplinären Promotionsverbund, der sich aus Forschenden der Abteilung für Sportmedizin des Universitätsklinikums Tübingen, des Instituts für Sportwissenschaft und der Abteilung für Psychosomatische Medizin & Psychotherapie zusammensetzt und in dem Anpassungsreaktionen auf Training daher multidisziplinär, also aus einer biopsychosozialen Perspektive, untersucht werden.
Das Hauptziel der Studie ist es herauszufinden, wie Individuen vor dem Hintergrund ihrer biografischen Erfahrungen, ihrer Beziehung zum eigenen Körper und ihrer Bewegungsmotivation sowohl körperlich als auch affektiv auf körperliche Aktivität reagieren.
Dies ist deshalb relevant, weil Interventionen zur effektiven und nachhaltigen Förderung der Gesundheit berücksichtigen müssen, dass die Reaktionen auf körperliche Aktivität hochgradig individuell sind und dass standardisierte Trainingsprogramme somit nicht zwangsläufig zu denselben Ergebnissen führen. In dieser Hinsicht tragen die erwarteten Ergebnisse unserer Studie zur Weiterentwicklung von personalisierten Gesundheitsförderungs- und Präventionsstrategien unter Verwendung eines der wirksamsten Instrumente bei - körperliche Aktivität.
In unserer Studie werden zwei unterschiedliche Formen des Ausdauertrainings (Dauermethode und intensive Intervallmethode) auf einem Fahrradergometer absolviert. Jede der beiden Trainingsformen wird über einen Zeitraum von 6 Wochen mit jeweils drei Trainingseinheiten pro Woche durchgeführt.
Zu Beginn der Studie, zwischen den beiden Trainingsblöcken sowie nach deren Beendigung werden Fragebogenerhebungen und weitere diagnostische Verfahren durchgeführt. Insgesamt beläuft sich die Studiendauer auf 15 Wochen.
Das Projekt setzt sich aus fünf Promotionsvorhaben zusammen, die sich auf die Aspekte Biografie, Körperbild, Motivation und Affekte, Physiologie und Prävention und Epigenetik fokussieren.
Fragestellung
Der individuelle Lebenslauf und die Biografie prägen unser Verhalten im Alltag. Ob wir beispielsweise einen mehr oder wenigen aktiven Lebensstil pflegen, hängt maßgeblich von den Erfahrungen ab, die wir in unserer Lebens- und Alltagswelt sowie in spezifischen Bewegungssettings gemacht haben. Ziel unserer Studie ist es zu untersuchen, wie sich gesundheits- und aktivitätsbezogene Verhaltensweisen im Verlauf des Lebens entwickeln, verfestigen und verändern. Projektübergreifend soll analysiert werden, in welchem Maße sich die biografischen Erfahrungen auf individuelle biologische und psychologische Anpassungsreaktionen auf körperliche Aktivität auswirken.
Methode
Hierfür führen wir im Vorfeld der Untersuchung eine ca. 60- bis 90-minütige Biografieanalyse durch. Dazu nutzen wir eine Software, die eine grafische Rekonstruktion des Lebenslaufs erlaubt. Während und nach der Trainingszeit werden zudem die biografischen Erfahrungen aus dem Interventionszeitraum untersucht. Zusätzlich nutzen wir Fragebögen zur Erfassung des subjektiven Wohlbefindens.
Fragestellung
Studienergebnisse zeigen, dass die Wahrnehmung des eigenen Körpers durch körperliche Aktivität verändert werden kann, aber auch, dass die Reaktion auf körperliche Aktivität durch das eigene Körperbild beeinflusst werden kann. Die Studie untersucht nun die individuellen Veränderungen im Körperbild bei untrainierten Probanden nach einer Trainingsintervention. Projektübergreifend soll außerdem der Frage nachgegangen werden, in welchem Maße das individuelle Körperbild mit affektiven und biologischen Anpassungsreaktionen auf körperliches Training zusammenhängt.
Methode
Anders als in früheren Studien, die vor allem mit Fragebögen gearbeitet haben, setzen wir eine neuartige und innovative Methode ein: das computergestützte Avatar-Tool. Dieses Tool bietet einen Körper-Avatar (eine typisierte grafische Darstellung), der anhand von verschiedenen Schiebern verändert werden kann. Das Tool basiert auf einem statistischen Körpermodell, das aus 2000 Körperscans berechnet wurde und so realistische Adaptionen mittels der Schieber garantiert. Wir kombinieren die Erfassung subjektiver Körperwahrnehmung mit objektiven Daten zum eigenen Körpern (mittels Körperscan). So können wir Wechselwirkungen zwischen tatsächlichem und wahrgenommenem Körper dynamisch analysieren. Zusätzlich werden auch die herkömmlichen validierten Fragebogeninstrumente zum Körperbild einbezogen.
Fragestellung
Individuelle Unterschiede in der Reaktion auf körperliche Aktivität zeigen sich unter anderem in Bezug auf die Bewegungsmotivation und affektive Reaktionen. Es ist allerdings noch unklar, in welchem Ausmaß die affektive Reaktion mit der körperlichen Reaktion bei verschiedenen Formen des körperlichen Trainings zusammenhängt und inwiefern motivationale Aspekte hier einen moderierenden Einfluss haben. Projektübergreifend soll außerdem untersucht werden, in welchem Maße affektive Reaktionen auf körperliche Aktivität mit der individuellen Biografie und dem individuellen Körperbild zusammenhängen.
Methode
Die Untersuchungsmethoden umfassen sowohl eine Fragebogenuntersuchung als auch eine Tablet-basierte Befragung während körperlicher Aktivität mithilfe erprobter und validierter Testverfahren. Dadurch werden psychische Voraussetzungen von, Reaktionen auf und Veränderungen durch sportliche Aktivität erfasst. Außerdem findet die objektive Erfassung des Bewegungsausmaßes mittels Akzelerometrie statt. Hierbei ergibt sich, durch das Tragen eines Aktivitätssensors im Alltag, ein Bild über das habituelle Bewegungsverhalten der Probanden.
Fragestellung
Innerhalb der letzten Jahre konnte gezeigt werden, dass körperliche Inaktivität zu einem erhöhten Sterberisiko sowie zu einem signifikanten Anstieg des Risikos für z.B. Diabetes oder Herz-Kreislauferkrankungen führen kann. Individualisierte Trainingsprogramme spielen in der umfassenden kardiovaskulären Gesundheitsversorgung eine immer größere Rolle. So reagieren Menschen unterschiedlich auf körperliche Aktivität, insbesondere auch im Hinblick auf physiologische Faktoren. Das Projekt widmet sich der bislang noch ungeklärten Frage, ob gesundheitsbezogene Verbesserungen hauptsächlich von individuellen Faktoren, d.h. biologischen und psychologischen Bedingungen, abhängen oder aber ein Ergebnis spezifischer Trainingsintensitäten sind. Projektübergreifend soll außerdem danach gefragt werden, in welchem Maße die biologische Anpassungsfähigkeit auf körperliche Aktivität von der Gesundheits- und Aktivitätsbiografie abhängig ist.
Methode
Die aktuelle Studie zielt darauf ab, valide Messinstrumente zu erhalten, welche eine Prognose und Optimierung der Beziehung „Dosis-Wirkung“ von körperlicher Arbeit zulässt und dadurch die individuelle Trainingsberatung im präventiven sowie therapeutischen Ansatz verbessert. Des Weiteren wollen wir untersuchen ob die physiologische Reaktion von der Art der Belastung abhängig ist (dauerhaft moderates Intensitätstraining versus aerobes Intervalltraining) und ob es geschlechtsspezifische Unterschiede gibt.
Fragestellung
Die Epigenetik beschäftigt sich mit molekularen Mechanismen, z.B. Veränderungen an bestimmten Eiweißen welche in charakteristischer Art und Weise zu einem stärkeren oder schwächeren Ablesen spezifischer Gene führen. Epigenetische Mechanismen tragen damit dazu bei, die in der Erbinformation gespeicherten Daten situationsabhängig optimal an verschiedene Umweltbedingungen anzupassen ohne die Erbsubstanz selbst zu ändern. Im Projekt soll der Frage nachgegangen werden, in welchem Maße individuelle physiologische Anpassungsreaktionen mit epigenetischen Charakteristika korrelieren. Darüber hinaus soll projektübergreifend analysiert werden, ob es Zusammenhänge zwischen epigenetischen und biografischen Mustern gibt.
Methode
Im Rahmen unseres Projekts soll untersucht werden, ob es im gewählten Modellsystem „Skelettmuskulatur“ epigenetische Marker gibt, auf deren Basis sich die Reaktion eines Individuums auf einen bestimmten Trainingsreiz vorhersagen lässt. Indem wir diese Marker vor dem Training, nach einem akuten Trainingsreiz und auch nach einer längeren Trainingsperiode analysieren, können wir feststellen, ob sich aufgrund des spezifischen Musters an Markern, die wir bei einer Person finden, voraussagen lässt, auf welche Trainingsform dieses Individuum optimal anspricht. Zudem lassen sich die Daten mit denen der anderen Projekte korrelieren, was Rückschlüsse darauf zulassen sollte, ob es Zusammenhänge zwischen biografischen oder emotionalen Charakteristika, physiologischer Trainingsanpassung und epigenetischen Mustern in der Skelettmuskulatur gibt.
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