Nachrichtenarchiv
06.02.2015
Tübinger Archäologen helfen, kulturelles Erbe im Irak zu schützen
Wissenschaftler des SFB RessourcenKulturen und Vertreter der Region Dohuk, Irak unterzeichnen Abkommen zur Erforschung und zum Schutz archäologischer Stätten in Irakisch-Kurdistan
Das Institut für die Kulturen des Alten Orients (IANES) der Philosophischen Fakultät hat erstmals eine Delegation aus der autonomen Region Kurdistan des Irak in Tübingen empfangen, um eine 2013 gestartete Forschungskooperation im Rahmen des Sonderforschungsbereiches 1070 RessourcenKulturen zu vertiefen. Am Donnerstag unterzeichneten Professor Peter Pfälzner, Direktor der Abteilung Vorderasiatische Archäologie des Instituts, und der Gouverneur der Region Dohuk, Farhad Saleem Atrushi, sowie der Direktor des Departments of Antiquities in Dohuk, Dr. Hasan Qasim, eine gemeinsame Erklärung. Diese soll dazu beitragen, das reiche archäologische Erbe der Region weiter zu erforschen und zu erhalten.
Trotz der brisanten politischen Situation in den angrenzenden Regionen gehört Dohuk durch seine Lage zwischen zwei Bergmassiven, die durch Stationen der Peshmerga-Truppen geschützt werden, nach Aussage des Gouverneurs zu den sichersten Regionen im Irak. Derzeit beherbergt die Region nach Schätzungen der UN ca. 540 000 Flüchtlinge aus den durch die Terrorgruppe IS besetzten Gebieten und engagiert sich aktiv im Kampf gegen die Terroristen. Trotz dieser politischen Herausforderungen betont Gouverneur Atrushi die Bedeutung des Schutzes der archäologischen Fundstätten: „Wir müssen ein Zeichen setzen, dass das normale Leben weiter geht. Dazu gehört auch der Schutz unserer historischen Stätten, zu dem wir unser Bestes tun. So erteilen wir keine Genehmigungen für neue Bauvorhaben ohne die Freigabe des Departments of Antiquities.“
Die Projektgruppe B 07 des SFB 1070 RessourcenKulturen unter der Leitung von Professor Pfälzner führte in der Region in den Jahren 2013 und 2014 einen breit angelegten archäologischen Survey auf einer Fläche von 4400 Quadratkilometern durch, bei dem bereits 92 Siedlungen verschiedener historischer Perioden kartiert werden konnten. Die genauere Einordnung der Siedlungsfunde erfolgt durch die Datierung von Scherbenfunden. Bei der Überfliegung der Fundstätten mit einer Kamera-Drone können Geländereliefs erstellt werden, die in modernste 3D-Modelle umgewandelt werden. Diese Kartierungsdaten werden der Verwaltung der Region für die Struktur-und Bauplanung zur Verfügung gestellt. Ein Beispiel dieser Zusammenarbeit ist der Schutz der bronzezeitlichen Siedlung von Bassetki, die vor allem durch den in den 1970er Jahren gemachten Fund einer Bronzestatue des akkadischen Gottkönigs Naram-Sin bekannt ist. Diese befindet sich heute im Nationalmuseum von Bagdad. Die neue Kartierung des Siedlungshügels durch den SFB brachte eine weitläufige Unterstadt zutage. Um weitere archäologische Forschungen zu ermöglichen, wurde zugesichert, die Erweiterung der Hauptverkehrsstraße von Bagdad nach Istanbul auf eine sechsspurige Autobahn einstweilig zu stoppen und den Verlauf der Trasse zu verändern. Der geplante Straßenverlauf hätte die unteren Stadtgebiete unwiederbringlich zerstört.
Projektleiter Pfälzner betont die Möglichkeiten neuer Erkenntnisse, die sich aus den Forschungen in Dohuk ergeben: „Durch das Forschungsabkommen bietet sich uns erstmals die Gelegenheit, eine Region zu erkunden, die bislang zu den weißen Flecken auf der archäologischen Landkarte gehört hat. Der Fund der Unterstadt von Bassetki wirft interessante Fragen auf. Bislang war unklar, warum die Statue eines bedeutenden Herrschers wie Naram-Sin in der Peripherie seines Reiches gefunden wurde. Wir vermuten, dass die Siedlung ein bedeutendes Verwaltungszentrum gewesen sein könnte.“
Einen weiteren Schwerpunkt der Untersuchungen stellt das Neuassyrische Großreich vom 10. bis 7. Jahrhundert v. Chr. dar, das als eines der ersten Weltreiche der Geschichte gilt. Diese Periode ist durch ihre Keilschriftfunde bekannt, deren reiche Textquellen der Schlüssel zum Verständnis der neuassyrischen Eroberungen liefern können. Das aus der Periode stammende Felsrelief von Mila Mergi wurde bereits in den 1940er Jahren entdeckt und zeigt den assyrischen König Tiglat-Pileser III. In der ersten Survey-Kampagne 2013 entdeckten die Tübinger Archäologen die teilweise Zerstörung des Felsreliefs, vermutlich durch moderne Schatzräuber, und sammelten die Bruchstücke der assyrischen Keilschrift ein. Die Rekonstruktion und Übersetzung der Tafel wird nun durch Alexander Edmonds, Doktorand im SFB 1070, vorgenommen. Die Inschrift erzählt von der Eroberung des Landes Ulluba durch die Assyrer und listet 20 eroberte Städte auf. Die Suche nach diesen Städten gehört ebenso zu dem Forschungsvorhaben des SFB 1070. Bislang ging man davon aus, dass die Expansion des assyrischen Reiches vor allem durch die Jagd nach Rohstoffen motiviert war. Inwieweit auch kulturelle Ressourcen ‒ wie eine Auffassung von Königtum, die auf Expansion beruhte ‒ und religiöse Ressourcen ‒ wie die Kontrolle über heilige Stätten ‒ eine Rolle spielten, wollen die Wissenschaftler in der weiteren Forschungsarbeit klären.
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