Institut für Medienwissenschaft

13.11.2013

3. Fotowettbewerb, Institut für Medienwissenschaft

Würdigung der Jury: Moritz Krüger: „Tokyo“

Moritz Krüger (Preis der Jury): Tokyo

Moritz Krüger ist mit seiner Fotografie „Tokyo“ Preisträger des 3. Fotowettbewerbs am Institut für Medienwissenschaft. Eine lobende Erwähnung bekommt Tom Besenfelder für seine abstrakt gehaltene Fotografie Großstadt 2. Die Beteiligung des zehnjährigen Schülers vom Uhland-Gymnasium war außer Konkurrenz.

Preisträger Moritz Krüger hat das Thema „Großstadt“ in dreierlei Hinsicht vorbildlich umgesetzt. Zunächst überzeugt die Arbeit ästhetisch: Wir sehen eine Großstadtlandschaft in der Stunde der Dämmerung – die Sonnenstrahlen reflektieren sich in zarten Rottönen am Himmel über dem Horizont. Die Stadt selbst hat ihre Lichter angeknipst oder sie noch nicht gelöscht: es könnte früh am Abend sein oder morgens in der Frühe. Pastelltöne liegen wie ein Schleier über dem Bild. Die ganze Szenerie wirkt unwirklich, wie im Zauberland. Die Stadt selbst scheint endlos zu sein. Jedenfalls reichen die Hochhäuser bis zum Horizont. Lediglich rechts im Hintergrund ist ein dünner Bergstreifen zu sehen, der die Stadtlandschaft offenbar in großer Entfernung begrenzt. Das Bild besitzt eine ästhetische Kraft, die in einer geheimnisvollen Weise beruhigend auf den Betrachter wirkt. Eigentlich wünschte man sich das Bild in einem viel größeren Format – sagen wir: ein auf zwei Meter!


Moritz Krügers Fotografie überzeugt auch formal. Die Bildarchitektur ist klar gegliedert: Die Stadtlandschaft befindet sich im Vordergrund. Die Horizontlinie zieht sich in gleichmäßigem Abstand von links nach rechts und markiert den Übergang zur Bildfläche des Himmels. Verglichen mit der Fläche der Stadt ist die Fläche des Himmels nur geringfügig größer. Allerdings verleiht dieser kleine Unterschied der Fotografie ihre bildarchitektonische Spannung. Die formale Spannung unterstützen zwei parallel zueinander und fast diagonal verlaufende dunkle Wolkenbänder – so, als ob sie direkt aus der im Horizont versunkenen Sonne herauswachsen. Spiegelbildlich kehrt die Diagonale in einer Straße wieder, die sich durch die zerklüftete Stadtlandschaft zieht und sich mit der Wolkendiagonale in einem außerhalb des Bildes liegenden imaginären Punkt zu vereinen scheint.


Das milde Licht und die fast weich gezeichnete Farbigkeit werden durch eine geradezu unheimliche Schärfe kontrastiert, mit der Moritz Krüger sein Bild festgehalten hat. Die technisch brillant ausgeführte Aufnahme gibt in der Nahsicht ungeahnte Details preis: Dachaufbauten, Stromleitungen – in manchen Hochhäusern meint man am Licht in den Fenstern zu erkennen, ob der jeweilige Bewohner zuhause ist. Ansonsten wirkt die Fotografie seltsam entleert: Dass wir eine Metropole mit über neun Millionen Einwohnern vor uns haben, glauben wir nicht, denn so sehr man sich anstrengt: keine Menschenseele in Sicht!


Moritz Krüger greift mit der Fotografie „Tokyo“ die Arbeitsweise von keinem geringeren als Eugène Atget wieder auf, dem zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts merkwürdig entrückte Aufnahmen von der Großstadt Paris gelungen sind. In den zwanziger Jahren dienten seine Bilder als Vorbild für die Surrealisten um Brassaï, Luis Buñuel und Eli Lotar. Insofern besitzt auch die messerscharf aufgenommene Fotografie der japanischen Millionenmetropole ihre surrealen Momente – ein perfekter Anachronismus. Damit visualisiert Moritz Krüger das Spannungsfeld von Gegenwart und Vergangenheit, von Präsenz und Verschwinden, von Sein und Vergehen. Die Metropole steht bekanntlich nie still und Stadt bedeutet Wandel. Aber gerade in der hier dennoch stillgestellten Zeit, im Moment der Dämmerung, dem Augenblick zwischen Tag und Nacht, wird die Eigendynamik der Fotografie als Dokument, Artefakt und Kunstwerk thematisch fassbar.

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