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13.11.2019
Schadstoffkatastrophe an der Jagst liefert Erkenntnisse für die Wissenschaft
Forscherinnen der Universität Tübingen untersuchen anhand des Unfalls von 2015 Folgen von hohen Stickstoffeinträgen in Gewässer
Beim Brand einer Mühle im baden-württembergischen Lobenhausen gelangten im August 2015 größere Mengen mit Kunstdünger verunreinigten Löschwassers in die Jagst, einen Zufluss des Neckars. Dadurch verendeten Tausende von Fischen. Gleichzeitig bewirkte die in den Düngemitteln enthaltene Stickstoffverbindung Ammoniumnitrat eine massenhafte Vermehrung der Algen. Nun haben Dr. Julia Kleinteich und Professorin Christiane Zarfl vom Zentrum für Angewandte Geowissenschaften der Universität Tübingen eine Untersuchung zu den zeitlichen Abläufen dieser Algenblüte wie auch den Auswirkungen dieses Ereignisses auf die Kleinstlebewesen im Wasser abgeschlossen.
Sie arbeiteten mit Dr. Sabine Hilt vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin sowie Andreas Hoppe von der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg zusammen. Ihre Ergebnisse machen deutlich, dass auch in einem ohnehin sehr nährstoffreichen Fluss wie der Jagst zusätzlicher Stickstoff eine Massenvermehrung von Algen bewirken kann. Die Untersuchung wurde in der Fachzeitschrift Limnology and Oceanography veröffentlicht.
Algenblüten in Meeren, Seen und Flüssen, die das Wasser in beeindruckenden Farbspielen rot, blau oder grün leuchten lassen können, stellen in mehrfacher Hinsicht eine Bedrohung dar: Teilweise produzieren die massenhaft auftretenden Arten von Algen oder Cyanobakterien Stoffe, die auf andere Lebewesen – auch den Menschen – giftig wirken. Außerdem wird dem Wasser bei der Zersetzung der immensen Biomasse aus der Algenblüte Sauerstoff entzogen, was Flora und Fauna der Gewässer zusätzlich schädigt.
Klimaerwärmung macht Algenblüten wahrscheinlicher
Die Häufigkeit von Algenblüten steigt mit höheren Wassertemperaturen und der höheren Verfügbarkeit von Nährstoffen. Bei diesen Faktoren spielen der Einfluss des Menschen und die Klimaerwärmung eine Rolle. Nach Einschätzung der Wissenschaftlerinnen könnte der pulsartige Eintrag großer Mengen von Nährstoffen in Gewässer künftig häufiger auftreten – auch ohne Unfall. „Extreme Wetterereignisse nehmen zu. So kann etwa ein Starkregen die Böden in kurzer Zeit auswaschen“, erklärt Julia Kleinteich. Wenn landwirtschaftlich genutzte Flächen mit Gülle aus intensiver Viehhaltung gedüngt werden, könnten die umliegenden Gewässer plötzlich mit großen Mengen Stickstoff belastet werden. Daher nutzt die Forscherin die Daten aus dem Jagstunfall wie ein Experiment in natürlicher Umgebung.
Christiane Zarfl und Julia Kleinteich nahmen nach dem Jagstunfall im September 2015 Wasserproben sowohl vor als auch in sowie hinter der Ammoniumnitratfahne, die flussabwärts gespült wurde. Dabei diente die Konzentration des Chlorophylls, des grünen Farbstoffs, der die Algen zur Fotosynthese befähigt, als Indikator für ihre Biomasse. „Das Wasser war grasgrün“, erinnert sich Kleinteich. „Die Algenblüte hat sich mit dem Düngemittel flussabwärts verlagert, bis die Ammoniumnitratfahne an der Mündung der Jagst durch den Neckar stark verdünnt wurde.“
Starke Vermehrung
Die Forscherinnen untersuchten in den Proben die Menge wie auch die Zusammensetzung des Mikroplanktons. Dazu zählen Bakterien, einzellige Algen und andere Kleinstlebewesen. Sie setzten dabei Methoden der genetischen Hochdurchsatzsequenzierung ein, um die Arten und relative Individuenzahlen zu bestimmen. Gesteuert werden die Vermehrung und das Wachstum der Organismen durch ein Zusammenspiel vieler Faktoren, eine Hauptrolle spielt dabei die Verfügbarkeit von Nährstoffen. „Der massive Eintrag von Ammoniumnitrat in die Jagst hatte zur Folge, dass sich die Artengemeinschaft, wie sie sich normalerweise im Sommer herausbildet, stark verschoben hat“, fasst Kleinteich zusammen. „Wenige Arten vermehrten sich stark und dominierten die Gemeinschaft.“ Insgesamt habe der Dünger die Menge des pflanzlichen Planktons deutlich gesteigert. „Die Jagst war von vornherein ein sehr nährstoffreiches Gewässer. Wir hatten nicht erwartet, dass zusätzliche Nährstoffe aus den Düngemitteln das Algenwachstum so stark fördern“, sagt die Wissenschaftlerin.
Bisher wurde die Massenvermehrung von Algen im Süßwasser in vielen Fällen durch das verfügbare Phosphat begrenzt. Seit den 1970er Jahren seien Kläranlagen im großen Maßstab gebaut worden, die Nährstoffe und insbesondere das Phosphat zurückhalten können, berichtet Kleinteich. Vor allem beim Phosphor habe man punktuelle Einträge durch verbesserte Kläranlagen deutlich verringern können. Dadurch verschiebe sich aber nun das Verhältnis in der Umwelt zu anderen Nährstoffen, insbesondere dem Stickstoff. „Der Jagstunfall, bei dem nur zusätzlicher Stickstoff, nicht aber Phosphor ins Wasser gelangte, macht deutlich, dass möglicherweise auch der Stickstoffeintrag begrenzt werden muss, um problematische Algenblüten zu vermeiden“, sagt Kleinteich.
Aufgrund der erfolgreichen Studienergebnisse beteiligt sich das Land Baden-Württemberg auch an einem Folgeprojekt an der Jagst. Der Fluss wurde 2019 weiter beprobt, um die natürliche Nährstoffdynamik und Biodiversität genauer zu untersuchen. Ziel ist unter anderem, die langfristigen Folgen der Schadstoffkatastrophe besser zu verstehen.
Informationen zum Renaturierungsprogramm der Jagst:
https://um.baden-wuerttemberg.de/de/umwelt-natur/schutz-natuerlicher-lebensgrundlagen/wasser/jagst/
Publikation:
Julia Kleinteich, Sabine Hilt, Andreas Hoppe, Christiane Zarfl: Structural changes of the microplankton community following a pulse of inorganic nitrogen in a eutrophic river. Limnology and Oceanography, https://doi.org/10.1002/lno.11352
Kontakt:
Dr. Julia Kleinteich
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