attempto online Forschung
08.12.2023
Entwicklung des CO2-Gehalts der Atmosphäre über die letzten 66 Millionen Jahre gibt wenig Hoffnung für die Zukunft auf der Erde
Eine umfangreiche Studie schärft den Blick auf Treibhausgase und das Klima
Eine umfangreiche neue Rückschau auf den Kohlendioxidgehalt in der früheren Atmosphäre und entsprechende Temperaturen zeichnet ein beunruhigendes Bild des künftigen Erdklimas. Die Studie umfasst geologische Aufzeichnungen über die letzten 66 Millionen Jahre, die eine Einordnung heutiger Gaskonzentrationen zulassen. Das letzte Mal, als die Atmosphäre die heutigen menschengemachten Kohlendioxidlevel erreichte, war vor rund 14 Millionen Jahren – vor viel längerer Zeit, als einige andere Untersuchungen ergeben hatten. Das Klima reagiert langfristig hochempfindlich auf Treibhausgase, so auch mit Kaskadeneffekten, die sich über Jahrtausende entwickeln können.
Die Studie entstand in mehr als sieben Jahren durch ein Konsortium aus mehr als 80 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 16 Nationen. Sie wurde in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht. Das Konsortium fand sich auf Initiative der Geochemikerin Professorin Bärbel Hönisch vom Lamont-Doherty Earth Observatory der Columbia University in New York zusammen, um einen verlässlichen Überblick über die Veränderungen des Kohlendioxidgehalts der Atmosphäre während des Känozoikums (Erdneuzeit) zu erhalten, das vor 66 Millionen Jahren begann. Mitglieder des Konsortiums von der Universität Tübingen waren PD Dr. Dr. Wilfried Konrad und PD Dr. Anita Roth-Nebelsick (Staatliches Museum für Naturkunde Stuttgart) aus der Arbeitsgruppe von Professor James H. Nebelsick im Fachbereich Geowissenschaften.
„Wir wissen seit langem, dass zusätzliches CO2 in unserer Atmosphäre die Temperatur steigen lässt“, sagt Bärbel Hönisch, die das Konsortium koordiniert. „Diese Studie gibt uns eine belastbare Vorstellung davon, wie empfindlich das Klima über lange Zeiträume ist.“
Generelle Schätzungen über Jahrzehnte bis zu Jahrhunderten besagen, dass jede Verdoppelung des CO2-Gehalts der Atmosphäre die globalen Temperaturen um 1,5 bis 4,5 Grad Celsius steigen lässt. Jedoch legt mindestens eine jüngere und weithin wahrgenommene Studie nahe, dass eher eine Erwärmung von 3,6 bis 6 Grad Celsius zu erwarten sei. Alle Schätzungen sehen die Erwärmung des Planeten bei den aktuellen Entwicklungen gefährlich nah oder über einer Erwärmung um zwei Grad, die noch in diesem Jahrhundert erreicht werden könnte. Die sollten wir – da sind sich viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einig – wenn irgend möglich vermeiden.
Standardisierung der Messungen
Seit dem späten 18. Jahrhundert stieg der CO2-Gehalt der Luft um ungefähr 50 Prozent, von 280 ppm (Teilen pro Million) auf aktuell 420 ppm. Bis zum Ende dieses Jahrhunderts könnten wir 600 ppm oder mehr erreichen. Damit im Zusammenhang steht eine Erwärmung von ungefähr 1,2 Grad Celsius seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Den meisten Schätzungen der künftigen Erderwärmung liegen Informationen aus Studien über die Temperaturentwicklung in Abhängigkeit von CO2 in der Vergangenheit zugrunde. Dafür analysieren Forscherinnen und Forscher in Eiskernen eingeschlossene Luftblasen, die Chemie früherer Böden und von Ozeansedimenten sowie die Anatomie fossiler Pflanzenblätter. Wilfried Konrad und Anita Roth-Nebelsick von der Universität Tübingen trugen mit einem mathematischen Modell zur Rekonstruktion des CO2-Gehalts der Paläoatmosphäre aus Pflanzenfossilien bei. Es wurde von verschiedenen Arbeitsgruppen verwendet, deren Daten in die neue Studie einflossen.
Die Mitglieder des Konsortiums erhoben keine neuen Daten, sie erfassten vielmehr die Zuverlässigkeit bereits publizierter Studien auf der Grundlage des aktuellen Wissenstands. Ziel war eine Kalibrierung der Daten in Anpassung an neue Analysetechniken, um einen vergleichbaren Standard zu setzen. Sie berechneten für die vergangenen 66 Millionen Jahre den Kurvenverlauf der Erdtemperatur in Abhängigkeit vom CO2-Gehalt der Atmosphäre. Bei einer Verdoppelung des CO2-Gehalts ergibt sich eine vorhergesagte gewaltige Erwärmung des Planeten von fünf bis acht Grad.
Grundlage für Entscheidungen in der Klimapolitik
Allerdings schränkt das Konsortium seine Berechnungen zur Empfindlichkeit des Erdsystems ein: Es beschreibe die Klimaveränderungen über Zeiträume von Hunderttausenden von Jahren, nicht für Jahrzehnte und Jahrhunderte, die für Menschen eine unmittelbare Rolle spielen. Die Autorinnen und Autoren erklären, dass bei der Betrachtung langer Zeiträume Temperatursteigerungen aus miteinander verwobenen Prozessen entstehen könnten, die über den unmittelbaren Treibhauseffekt des CO2 in der Luft hinausgehen. So reduziere zum Beispiel das Schmelzen der polaren Eisdecken die Reflexion des Sonnenlichts. Einfluss haben außerdem Änderungen der Pflanzenbedeckung auf der Erde sowie die Veränderung der Wolken und atmosphärischen Aerosole, die die Temperaturen sowohl steigern als auch absenken könnten.
„Wir können aus unserer Studie nicht vorhersagen, welche Temperaturen im Jahr 2100 herrschen werden, aber unsere Ergebnisse haben Bedeutung für die heutige Klimapolitik“, sagt der Ko-Autor und Paläoklimatologe Dana Royer von der Wesleyan University. Sie machten unter anderem deutlich, dass es neben den unmittelbaren Auswirkungen steigender CO2-Werte auch eher schleppend verlaufende Kaskadeneffekte geben kann, die Tausende von Jahren andauern.
Hönisch sagte, dass die Studienergebnisse in die Klimamodellierung einfließen kann bei Vorhersagen für die kommenden Jahrzehnte. Die neuen, gut abgesicherten Beobachtungen könnten helfen, Prozesse unterschiedlicher Zeitskalen zu entflechten. Alle Daten aus dem Projekt würden über eine offene Datenbank verfügbar gemacht, die fortlaufend aktualisiert wird.
Der Mensch setzt neue Bedingungen
Die Forscherinnen und Forscher bekräftigten mit den neuen Ergebnissen die lange gehegte Annahme, dass die Erde ihre heißeste Periode vor etwa 50 Millionen Jahren erlebte, als das CO2 bei 1.600 ppm lag und die Temperaturen mehr als zwölf Grad Celsius über den heutigen lagen. Vor rund 34 Millionen Jahren war die CO2-Konzentration so weit abgesunken, dass sich die heutige Eisschicht in der Antarktis ausbilden konnte. Nach einigen Höhen und Tiefen folgte darauf eine weitere langfristige CO2-Abnahme, während der sich die Vorfahren vieler heutiger Pflanzen und Tiere entwickelten. Daraus schließen die Studienautorinnen und -autoren, dass Änderungen der CO2-Konzentration nicht nur das Klima, sondern auch Ökosysteme beeinflussen.
Die neue Untersuchung ergab, dass zuletzt vor rund 16 Millionen Jahren das CO2 dauerhaft höher lag als heute, bei rund 480 ppm. Vor 14 Millionen Jahren war es auf einen Wert wie den heute durch den Menschen verursachten Level von 420 ppm gesunken. Die Abnahme setzte sich fort, vor rund 2,5 Millionen Jahren erreichte das CO2 ungefähr 270 bis 280 ppm, und leitete eine Reihe von Eiszeiten ein. Es war etwa in dieser Höhe oder etwas darunter, als die modernen Menschen vor rund 400.000 Jahren entstanden, und blieb auf dem Niveau, bevor wir Menschen selbst vor rund 250 Jahren die Atmosphäre im großen Maßstab veränderten.
„Unabhängig davon, um wie viel Grad die Temperaturen nun auf der Erde steigen werden, ist schon jetzt deutlich, dass wir den Planeten in eine Reihe von Bedingungen gebracht haben, wie unsere Art sie bisher nicht erlebt hat“, sagt der Ko-Autor der Studie und Professor an der University of Utah Gabriel Bowen. „Das sollte uns zum Innehalten bringen und zur Überlegung, was der richtige Weg für die Zukunft ist.“
Das Konsortium hat sich zu einem größeren Projekt entwickelt, das sich zum Ziel gesetzt hat zu vermessen, wie CO2 und das Klima sich über das gesamte Phanerozoikum entwickelt haben, dieser Zeitraum begann vor 540 Millionen Jahren und dauert bis heute an.
Nach einer Pressemitteilung der Columbia University von Kevin Krajick/Columbia Climate School
Weitere Informationen:
Website des Konsortiums – The Cenozoic CO2 Proxy Integration Project (CenCO2PIP) Consortium: https://www.paleo-co2.org/
Publikation:
Bärbel Hönisch et al.: Towards a Cenozoic History of Atmospheric CO2. Science, Vol 382, Issue 6675 (2023): DOI: 10.1126/science.adi5177
Kontakt:
PD Dr. Dr. Wilfried Konrad
Universität Tübingen
Fachbereich Geowissenschaften
+49 7071 29-73073
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