attempto online Forschung
18.01.2023
Von Steuerhinterziehung zu den „Rechten der Natur“
Das RISC-Programm des Wissenschaftsministeriums fördert vier Tübinger Projekte mit ungewöhnlichen Ansätzen
Vier Tübinger Forschungsprojekte werden künftig durch das RISC-Programm des Wissenschaftsministeriums Baden-Württemberg gefördert: Postdocs und JuniorprofessorInnen, die noch am Anfang ihrer Karriere stehen, erhalten hier die Möglichkeit, neue Ideen zu verfolgen. Sogenannte „riskante“ Projekte (Blue Sky Research) oder Vorarbeiten für spätere innovative Drittmittelanträge werden mit bis zu 100.000 Euro „Seed-Capital für die Forschung“ für maximal zwei Jahre gefördert. Die Hälfte des Budgets übernimmt das Ministerium, die andere Hälfte übernimmt die Universität Tübingen mit Mitteln der Exzellenzstrategie.
Für den Zeitraum 2023/2024 haben Dr. Giacomo Brusco (Wirtschaftswissenschaften), Juniorprofessorin Riccarda Flemmer (Politikwissenschaft), Dr. Ramona-Elena Irimia (Pflanzenbiologie) sowie Dr. Khaled Selim (Mikrobiologie) den Zuschlag erhalten.
Die Projekte im Einzelnen:
Giacomo Brusco: The Incidence of Tax Evasion: Experimental Evidence from Italy
Wer profitiert von Steuerhinterziehung, und wie wird die ökonomische Rendite zwischen Käufern und Verkäufern aufgeteilt? Wieviel der „eingesparten“ Steuer wird vom Käufer an die Konsumenten weitergegeben, und wovon hängt dies ab? Obwohl die allgemeinen Verteilungswirkungen von Steuern (Inzidenz) ausführlich erforscht wurden, gibt es wenige Anhaltspunkte dazu, wie sich die Inzidenz bei Steuerhinterziehung verhält.
Dieses Projekt will durch eine innovative Umfrage in Italien die Inzidenz von Steuerhinterziehung quantifizieren. Geschultes Fragepersonal wird in verschiedenen Verkaufssituationen Angebote erfragen und dabei vorab randomisierte Hinweise zur bevorzugten Zahlungsmethode (Karte oder Bar) geben. Durch ein statistisches Design und eine große Stichprobe erhält Giacomo Brusco anhand der beobachteten Preisunterschiede zwischen den Zahlungsmethoden Rückschlüsse darüber, wieviel der hinterzogenen Steuer an die Verbraucher weitergereicht wird.
Kontakt Giacomo Brusco: https://uni-tuebingen.de/de/206103
Riccarda Flemmer: The Transformative Potential of Rights of Nature? Struggling for Alternatives to Destructive Anthropocentric Development
Derzeit wird eine rechtliche Innovation diskutiert: Sind der Natur eigene Rechte auf Existenz und Entfaltung zuzusprechen, sogenannte „Rights of Nature“ (RoN)? Inspiriert von den Mensch-Natur-Beziehungen (relationalen Ontologien) indigener Völker haben RoN von Lateinamerika bis zu den ehemaligen britischen Kolonien die Anerkennung von Flüssen, Bergen und Wäldern als Lebewesen bewirkt und eine wachsende globale Bewegung ausgelöst.“ Das Versprechen von RoN ist eine neue Denkweise, die sowohl menschliche als auch nicht-menschliche Lebewesen als Akteure respektiert.
Riccarda Flemmer untersucht, wie RoN die asymmetrischen Beziehungen zwischen Menschen und Natur verändern können, um rechtliche und institutionelle Modelle für eine nachhaltigere und gerechtere Entwicklung zu schaffen. Im Sinne der Dekolonialisierung der Wissenschaft und unter Einbeziehung indigener und nicht-indigener WissenschaftlerInnen und AktivistInnen konzentriert sich das Projekt auf die Rekonstruktion von Bedeutungen, die im Ringen um Alternativen zur zerstörerischen anthropozentrischen Entwicklung eine Rolle spielen. Ergebnisse werden in jährlichen Workshops auch mit einem nicht-akademischen Publikum diskutiert und regelmäßig veröffentlicht.
Kontakt Riccarda Flemmer: https://uni-tuebingen.de/de/233660
Ramona-Elena Irimia: Uncovering the genetic basis of an iconic plant invasion through museomics (HERBARIOMICS)
Das Projekt von Ramona-Elena Irimia untersucht die räumlich-zeitlichen Mechanismen von Pflanzenkolonisation, sowie die Ausbreitung und den Invasionserfolg des Japanischen Staudenknöterichs, eines weltweit schädlichen Unkrauts. Sie verwendet historische DNA von Pflanzen aus Herbarien, um die Invasionsdynamik zu rekonstruieren und die zugrundeliegenden ökoevolutionären Veränderungen und ihre Rolle im Invasionsprozess zu verstehen.
Dabei sollen unter anderem auch die Herkunft der eingeführten Pflanzen und ihre Invasionswege identifiziert werden sowie genetischen Vermischungen und Mutationen der Knöterich-Populationen. Die vorgeschlagene Arbeit kombiniert neuartige und bewährte Ansätze wie Next Generation Sequencing, Museumsgenomik und Bioinformatik, um die Invasion dieser gebietsfremden Pflanzen in Europa und den USA zu untersuchen und besser zu verstehen.
Kontakt Ramona-Elena Irimia: https://uni-tuebingen.de/en/208432
Khaled Selim: Mechanistic understanding of cyanobacterial carbon concentrating mechanisms: Toward enhancing plant photosynthetic power
Das Leben auf der Erde hängt von der photosynthetischen CO2-Fixierung in organisches Material durch den Calvin-Benson-Bassham-Zyklus (CBB) ab, bei dem Cyanobakterien durch einen Kohlenstoff-Konzentrationsmechanismus (CCM) wesentlich zur globalen Produktion beitragen. 95 Prozent unserer Landpflanzen (sogenannte C3-Pflanzen) haben eine geringe photosynthetische Effizienz, darunter wirtschaftlich wichtige Pflanzen wie Reis, Weizen, Kartoffeln, Gerste und Sojabohnen. Dies gilt als größtes Hindernis, um Ernteerträgen für eine wachsende Bevölkerung zu steigern.
Jüngste Fortschritte zeigen, dass sich die Photosyntheseleistung verbessern lässt, wenn der cyanobakterielle CCM in die Chloroplasten von C3-Pflanzen eingebracht wird. Allerdings ist es bislang eine Herausforderung, die nötigen Gene und Proteine in die Organellen (C3-Chloroplasten) einzubringen – auch wissen wir noch wenig über die molekularen Prinzipien des cyanobakteriellen CCM.
Khaled Selim kombiniert in seinem Projekt biochemische und strukturbiolo¬gische Ansätze (hauptsächlich Röntgenkristallographie und Kryo-Elektronenmikros¬kopie (Kryo-EM), um die Regulierung und den Aufbau wichtiger Komponenten des cyanobakteriellen CCM verstehen. Die Erkenntnisse könnten entscheidend für eine künftige nachhaltige Weiterentwicklung der Nahrungsmittelproduktion sein.
Kontakt Khaled Selim: https://uni-tuebingen.de/en/233048
Sonja Großmann/Antje Karbe
Kontakt
Sonja Großmann
Universität Tübingen
Zentrale Verwaltung - Forschungsförderung
Telefon: +49-7071-29-76489
sonja.grossmannspam prevention@uni-tuebingen.de