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03.09.2020
Drei neue Starting Grants des Europäischen Forschungsrats
Projekte aus der Medizin, Biochemie sowie der Zell- und Molekularbiologie ausgezeichnet
Eine Wissenschaftlerin und zwei Wissenschaftler haben für ihre Projekte an der Universität und dem Universitätsklinikum Tübingen Starting Grants des Europäischen Forschungsrats (ERC, European Research Council) eingeworben. Die Förderung von in der Regel bis zu 1,5 Millionen Euro ist jeweils auf einen Zeitraum von fünf Jahren angelegt. Dr. Judith Feucht, die vom Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York, USA, an das Universitätsklinikum Tübingen wechselt, will in dem Projekt „CARsen“ Krebsimmuntherapien weiterentwickeln. Dr. Christoph Ratzke vom Exzellenzcluster „Kontrolle von Mikroorganismen zur Bekämpfung von Infektionen“ erforscht in dem Projekt „BugDrug“ den Einsatz von Bakterien als Medikamente. Dr. Suayb Üstün vom Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen wird im Projekt „DIVERSIPHAGY“ die Rolle geregelter Abbau- und Recyclingprozesse in der Interaktion von Pflanzen und krankheitserregenden Mikroben untersuchen.
Der ERC, die Forschungsfördereinrichtung der Europäischen Union, vergibt Starting Grants an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit mehrjähriger Erfahrung nach der Promotion. Auswahlkriterien sind exzellente wissenschaftliche Erfolge und das innovative Potenzial der Forschungsidee.
Verbesserte Krebsimmuntherapien
In dem ERC-Projekt „CARsen – Senolytic CAR T cells as novel therapeutic concept for solid tumors and senescence-associated diseases“ will die Medizinerin Judith Feucht erforschen, wie sich Krebsimmuntherapien vor allem gegen solide Tumore im Kindesalter weiterentwickeln lassen. Sie erhält für das Projekt eine Förderung von 1,8 Millionen Euro. Bei der CAR-T-Zell-Therapie werden T-Zellen des Immunsystems aus dem Blut des Patienten gentechnisch mit einem künstlichen Rezeptor versehen, der spezifisch die Krebszellen erkennt. Dadurch soll das Immunsystem des Patienten in die Lage versetzt werden, selbst gegen die Tumore vorzugehen und diese zu zerstören. „Die Methode wird bereits bei bestimmten B-Zell-Blutkrebsarten mit großem Erfolg eingesetzt. Doch stößt sie insbesondere bei soliden Tumoren an Grenzen, unter anderem weil die Krebszellen uneinheitliche Merkmale aufweisen, das Tumormikromilieu das Immunsystem unterdrückt oder die Funktion der T-Zellen eingeschränkt ist“, sagt Judith Feucht. Umgekehrt könnten bei einer starken Immunantwort unter einer CAR-T-Zell-Therapie durch die Freisetzung von Zytokinen schwere Nebenwirkungen auftreten.
Feucht will daher in ihrem neuen Projekt CAR-T-Zellen mit Therapien kombinieren, durch die Tumorzellen in eine Art Ruhezustand versetzt werden, die sogenannte Seneszenz. An Mäusen überprüft sie, ob dieses Konzept einer Krebsimmuntherapie effektiv und sicher ist. „Dieses Konzept soll vor allem für solide Tumore weiterentwickelt werden, für die es bisher kaum Behandlungsmöglichkeiten gibt“, sagt die Medizinerin. Doch sei der Ansatz zur Vernichtung geschädigter Zellen durch eine CAR-T-Zell-Therapie auch vielversprechend bei schweren Entzündungen und Erkrankungen wie Leber- oder Lungenfibrose.
Judith Feucht studierte Medizin an der Universität Tübingen und wurde dort auch 2011 promoviert. Als Assistenzärztin und Forscherin in der Medizin arbeitete sie anschließend in der Abteilung Allgemeine Pädiatrie, Hämatologie und Onkologie der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin der Universität Tübingen. 2015 ging sie als Postdoktorandin an das Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York, USA. Im September 2020 wechselt sie nun zurück an das Universitätsklinikum Tübingen. Als Forscherin wird sie eine eigene Arbeitsgruppe leiten zu zellulären Immuntherapien am Exzellenzcluster „Individualisierung von Tumortherapien durch molekulare Bildgebung und funktionelle Identifizierung therapeutischer Zielstrukturen (iFIT)“. Als Ärztin arbeitet sie an der Tübinger Kinderklinik.
Kontakt:
Dr. Judith Feucht
Universitätsklinikum Tübingen
Exzellenzcluster Individualisierung von Tumortherapien durch molekulare Bildgebung und funktionelle Identifizierung therapeutischer Zielstrukturen (iFIT)
Klinik für Kinder- und Jugendmedizin
judith.feuchtspam prevention@gmail.com
Bakterien als lebende Medikamente
Christoph Ratzke will mit seinem ausgezeichneten ERC-Projekt „BugDrug – Bugs as Drugs: Understanding Microbial Interaction Networks to Prevent and Treat Infections“ die Wechselwirkungen innerhalb von Mikrobengemeinschaften und deren Netzwerkstrukturen untersuchen. Solche Gemeinschaften unzähliger Mikroben – auch als Mikrobiota bezeichnet – kommen zum Beispiel im gesunden menschlichen Darm vor und helfen bei der Verdauung der Nahrung. Bestimmte Mikroorganismen, vielfach Bakterien, können bei einer Infektion jedoch Krankheiten auslösen. Ratzke erforscht, wie solche Krankheitserreger vom bestehenden mikrobiellen Netzwerk zurückgedrängt werden könnten. Dafür stehen ihm aus dem ERC-Grant 1,49 Millionen Euro zur Verfügung.
„Krankheitserreger müssen sich bei einer Neuinfektion mit den Mikrobengemeinschaften auseinandersetzen, die den Wirt bereits besiedeln“, erklärt Ratzke. „Die schon vorhandenen Mikroben können den Krankheitserreger unterdrücken oder unterstützen. So wird der Mensch als Wirt möglicherweise vor Krankheiten besser geschützt, er kann aber auch anfälliger dafür werden.“ Bisher könne man die Mikrobiota, die den menschlichen Körper besiedeln, kaum zu therapeutischen Zwecken steuern. Ratzke möchte in dem ERC-Projekt eine Mikroskopiemethode entwickeln, mit der sich in den komplexen Mikrobengemeinschaften die wechselwirkenden Netzwerke darstellen lassen. Sein Forschungsobjekt ist der Fadenwurm Caenorhabditis elegans, dessen Darm eine eigene Mikrobengemeinschaft beherbergt. Der Forscher möchte Mikroben identifizieren, die Krankheitserreger matt setzen können. „Beim Menschen könnten solche Mikroben als sogenannte Probiotika gegen mikrobielle Infektionen dienen“, sagt er. „Dieser Ansatz könnte ganz neue Wege zur Bekämpfung von Infektionen eröffnen. Die brauchen wir dringend, weil immer mehr Krankheitserreger resistent gegen Antibiotika werden.“
Christoph Ratzke studierte Biochemie an der Universität Regensburg und der TU München. Dort wurde er 2013 auch mit einer Arbeit über die Biophysik von Einzelmolekülen promoviert. Zunächst als Postdoktorand, später als wissenschaftlicher Mitarbeiter wechselte er anschließend in die USA an das Massachusetts Institute of Techonology (MIT) in den Bereich Physik lebender Systeme. Seit Anfang 2020 forscht er als unabhängiger Nachwuchsgruppenleiter am Exzellenzcluster „Kontrolle von Mikroorganismen zur Bekämpfung von Infektionen“ im Interfakultären Institut für Mikrobiologie und Infektionsmedizin der Universität Tübingen.
Kontakt:
Dr. Christoph Ratzke
Universität Tübingen
Exzellenzcluster Kontrolle von Mikroorganismen zur Bekämpfung von Infektionen
Systembiologie mikrobieller Gemeinschaften
+49 7071 29-84103
christoph.ratzkespam prevention@cmfi.uni-tuebingen.de
www.cratzke.de
twitter: @cratzke1 (https://twitter.com/cratzke1)
Rolle der Autophagie bei Pflanzen und ihren Krankheitserregern
Dr. Suayb Üstün erforscht, wie bakterielle Krankheitserreger in die geregelten Abbau- und Recycling-Prozesse von Pflanzen eingreifen. Unter anderem über solche Prozesse, die auch als Autophagie – wörtlich das Selbstverdauen – bezeichnet werden, steuert die Pflanze ihre Immunität: Durch Angriffe von Krankheitserregern geschädigte Proteine werden so entsorgt und ihr Material wiederverwendet. Doch können sich bestimmte Krankheitserreger diese Fähigkeit der Pflanze zunutze machen und deren Autophagie-Prozesse für ihre eigenen Zwecke umlenken. In dem ERC-Projekt „Utilizing diversity to decipher the role of autophagy in plant-microbe interactions“ (DIVERSIPHAGY) will Üstün die Rolle der Autophagie in der Interaktion zwischen Pflanzen und krankheitserregenden Mikroben aufklären. Er erhält dafür eine Förderung von 1,49 Millionen Euro.
„Pflanzen sind ständig ganz unterschiedlichen Krankheitserregern ausgesetzt. Um ein umfassendes Bild von der Rolle der Autophagie zu erhalten, muss man deren Vielfalt in die Untersuchungen einbeziehen“, erklärt Üstün. Noch komplexer werde das Bild bei Betrachtung der Zelldiversität auf der Seite der Wirte, also der Pflanzen. Er will in seine Untersuchungen alle Organismen, Prozesse und Faktoren, die Einfluss auf die Autophagie in der Pflanzen-Mikroben-Interaktion nehmen, einbeziehen. Dafür nutzt er modernste Technologien wie die Analyse des gesamten Proteinbestands der Zellen, der sogenannten Proteome, aller Stoffwechselprodukte, der Metabolome, oder auch die Einzel-Zell-RNA-Sequenzierungstechnologie. Die Ergebnisse will Üstün auf Nutzpflanzen übertragen, um Resistenzen gegen bakterielle Krankheitserreger zu erzeugen.
Suayib Üstün studierte an der Universität Erlangen-Nürnberg Zell- und Molekularbiologie und wurde 2013 dort promoviert. Als Postdoktorand forschte er an der Universität Erlangen-Nürnberg und am Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau in Brandenburg. Anschließend ging er mit einem Stipendium der Federation of European Biochemical Societies (FEBS) an die Schwedische Universität für Agrarwissenschaften in Uppsala. Seit September 2018 leitet er an der Universität Tübingen die Emmy Noether-Nachwuchsgruppe „Proteolytische Abbauwege und ihre Rolle in der pflanzlichen Abwehr“ am Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen (ZMBP).
Kontakt:
Dr. Suayb Üstün
Universität Tübingen
Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen
Emmy Noether-Gruppenleiter
+49 7071 29-76149
suayib.uestuenspam prevention@zmbp.uni-tuebingen.de
theustunlab.com
https://uni-tuebingen.de/fakultaeten/mathematisch-naturwissenschaftliche-fakultaet/fachbereiche/zentren/zmbp/res/general-genetics/research-groups/uestuen/
twitter: @SuayibUestuen (https://twitter.com/SuayibUestuen)