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05.09.2022

Was Fossilien über die Kreuzung früher Menschen verraten

Forscherinnen vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen und der Universität Kapstadt analysieren, wie sich Hybridisierung auf das Skelett auswirkte

Früher anatomisch moderner Mensch (links) und Neandertaler.

Viele heutige Menschen tragen einen kleinen Anteil an Neandertaler-DNA in ihren Genen, was darauf hindeutet, dass die Vermischung mit anderen Abstammungslinien früherer Menschenformen eine wichtige Rolle in der Evolution unserer Spezies spielte. Paläogenetische Beweise legen nahe, dass es mehrfach zu Kreuzungen mit Neandertalern und anderen früheren Gruppen kam: Die Geschichte unserer Art ähnelt eher einem Netzwerk oder vielverzweigtem Strom als einem Baum. Der Ursprung der Menschheit war komplexer als bisher angenommen.

Um die Auswirkung von Hybridisierungen zu untersuchen, müssen mehrere Beweislinien einbezogen werden. Alte DNA aus Fossilien ist selten gut erhalten, daher muss man in der Forschung Hybride anhand ihres Skeletts erkennen. Das sei entscheidend, um unsere komplexe Vergangenheit zu verstehen und was uns zu Menschen macht, sagen Professorin Katerina Harvati vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen und Professorin Rebecca R. Ackermann vom Human Evolution Research Institute der Universität Kapstadt, Südafrika. Sie haben den Einfluss der Hybridisierung an fossilen Schädeln untersucht und einzelne potenzielle Hybride aus der Vergangenheit identifiziert. Ihre Arbeit wurde in der Zeitschrift Nature Ecology and Evolution veröffentlicht.

Sorgfältige Analyse der Daten

Die Forscherinnen untersuchten eine große Anzahl fossiler Überreste früherer Menschen aus dem späten Paläolithikum Eurasiens, die auf die Zeit vor ungefähr 40.000 bis 20.000 Jahren datiert werden. Bei mehreren dieser Individuen wurde alte DNA gefunden, in die Neandertalervorfahren einen kleinen Anteil eingebracht hatten. Dies deutet auf eine Vermischung mit dieser Gruppe vor vergleichsweise kurzer Zeit hin. Die Schädelknochen dieser Individuen wurden mit denen von – unvermischten – Neandertalern sowie mit frühen und jüngeren Individuen des Homo sapiens aus Afrika verglichen. Die Forscherinnen untersuchten drei Schädelregionen, den Unterkiefer, die Hirnschale und das Gesicht, auf Anzeichen von Hybridisierung. „Dazu gehören zum Beispiel Übergangsformen zwischen Neandertalern und anatomisch modernen Menschen in der Morphologie, Zahnanomalien oder ungewöhnliche Größen. Dies sind Merkmale, wie sie bei Hybriden verschiedener Säugetiere, einschließlich der Primaten, zu finden sind“, erklären Harvati und Ackermann. Ihre Studie zeigte, dass Anzeichen der Hybridisierung in der Hirnschale und im Unterkiefer erkennbar sind, nicht aber in den Gesichtern.

Bei den Individuen mit bekanntem genetischem Hintergrund untersuchten die Forscherinnen auch, ob das Ausmaß der Hybridisierungsmerkmale am Skelett mit dem Prozentsatz der Neandertalerverwandtschaft übereinstimmte. Das war nicht der Fall. „Wahrscheinlich ist es entscheidender, ob bestimmte genetische Varianten vorhanden sind, als der Anteil der Neandertalerverwandtschaft insgesamt“, sagen die Forscherinnen.

Harvati und Ackermann identifizierten einige der untersuchten Individuen als potenzielle Hybride, darunter welche aus dem Nahen Osten – einer Region, in der die Gruppen bekanntermaßen aufeinandertrafen, – aber auch einige aus West- und Osteuropa. „Wenn möglich, sollte der Hybridstatus eines Individuums anhand genetischer Daten bestätigt werden, weshalb wir unsere Ergebnisse als zu prüfende Hypothesen betrachten“, sagt Harvati. Dies sei die erste Studie dieser Art, sagt sie: „Wir hoffen, dass sie auch andere Forscher ermutigt, diese Fossilien genauer zu untersuchen und mehrere Beweislinien zu kombinieren, um Hybridisierungen zu erkennen.“

Wegbereiter der Evolution

Bei anderen Organismen – von Pflanzen bis hin zu großen Säugetieren – ist bekannt, dass Hybridisierung vielfältige und ungewöhnliche evolutive Innovationen erzeugt. „Man schätzt, dass etwa zehn Prozent der Tierarten Hybride hervorbringen, darunter zum Beispiel Rinder, Bären, Katzen und Hundeartige“, sagt Ackermann. Auch bei Primaten, unseren nahen Verwandten, seien Hybride bekannt, etwa bei den Pavianen. „Da die Hybridisierung neue Variationen einführt und neue Kombinationen von Varianten schafft, kann dies eine besonders schnelle Evolution ermöglichen, insbesondere wenn neue oder sich verändernde Umweltbedingungen herrschen“, sagt sie. 

Daher könnten frühe Menschen durch Hybridisierung genetische und anatomische Merkmale erlangt haben, die ihnen bei der Ausbreitung von Afrika aus über die ganze Welt wichtige Vorteile verschafften und zu unserer heutigen physisch vielfältigen und evolutionär widerstandsfähigen Art führten, erklären die Autorinnen.

Publikation:
Harvati K., Ackermann R.R.: Merging morphological and genetic evidence to assess hybrid-ization in Western Eurasian Late Pleistocene hominins. Nature Ecology & Evolution,
https://doi.org/10.1038/s41559-022-01875-z  

Kontakt:

Prof. Dr. Katerina Harvati
Universität Tübingen
Institut für Naturwissenschaftliche Archäologie
Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment
+49 7071 29-76516
katerina.harvatispam prevention@ifu.uni-tuebingen.de 

Prof. Rebecca R. Ackermann
University of Cape Town
Human Evolution Research Institute
Department of Archaeology
 +27 21 650 2356
becky.ackermannspam prevention@uct.ac.za 

Pressekontakt:

Eberhard Karls Universität Tübingen
Hochschulkommunikation
Dr. Karl Guido Rijkhoek
Leitung

Janna Eberhardt
Forschungsredakteurin
Telefon +49 7071 29-77853
 Telefax +49 7071 29-5566
janna.eberhardtspam prevention@uni-tuebingen.de

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