Uni-Tübingen

30.06.2021

„Ein gutes Projekt plant man am Anfang, nicht zwischendrin oder am Ende“

Von Lübeck aus hinaus in die Welt: Alumna Sonja Radojicic ist Leiterin der Pressestelle Süd der Deutschen Post DHL Group in Bayern und Baden-Württemberg. Christin Wannagat sprach mit ihr über ihre Auslandsaufenthalte in Japan und den USA, ihr Studium der Japanologie und Politikwissenschaften und ihre Arbeit als Pressesprecherin.

Ein Interview mit Alumna Sonja Radojicic, Leiterin der Pressestelle Süd der Deutsche Post DHL Group

Alumna Sonja Radojicic ist seit Sommer 2020 Leiterin der Pressestelle Süd der Deutsche Post DHL Group in Bayern und Baden-Württemberg. Geboren in der Hansestadt Lübeck, zog es sie schon früh hinaus in die Welt: Nach dem Abitur ging sie zunächst an die Teaneck University in Hackensack, New Jersey – rund 20 Autominuten von New York City entfernt – und lernte dort viele Menschen aus verschiedenen Ländern der Welt kennen. Besonders angetan hatte es ihr Japan. Mit einem Haufen Lehrmaterial kam sie zurück nach Deutschland und fasste den Entschluss, Japanisch zu lernen und auch zu studieren. Bei ihrer Studienfachwahl der Japanologie und Politikwissenschaften entschied sich Radojicic für die Universität Tübingen, insbesondere wegen des engen Austauschs mit der japanischen Partneruniversität Dōshisha in Kyoto und dem dortigen Tübinger Zentrum für Japanstudien. Nach dem Studium (2001-2008) und einem mehrmonatigen Aufenthalt am Zentrum für Deutsche Kultur in Engels, Russland, arbeitete sie in den unterschiedlichsten Branchen und schloss später noch ein berufsbegleitendes MBA-Studium (2012-2015) an – heute kann sie als Generalistin erklären, was „Scrubber“ sind (Abgasreinigungssysteme für Schiffe) oder wie die Fernwartung von Industrieanlagen funktioniert. Auch als Pressesprecherin der Deutsche Post DHL Group muss sie sehr oft komplexe Details verständlich machen, teilweise wird sie aber auch mit skurrilen Anfragen konfrontiert.

Sie haben Japanologie und Politikwissenschaften in Tübingen studiert. Was ist Ihnen aus Ihrer Studienzeit besonders in Erinnerung geblieben?

Vor allem viele tolle Begegnungen mit Studierenden verschiedener Nationalitäten. Einige Kontakte haben sogar noch heute Bestand, beispielsweise mit meiner Gastfamilie in Japan. Aber auch die Nähe zu den Lehrenden. Für sie waren wir in unseren Instituten und Seminaren nicht nur eine Nummer.

Welche Kompetenzen haben Sie rückblickend in Ihrem Studium erworben, auf die Sie heute als Pressesprecherin besonders bauen können?

Einer meiner Professoren hat mal gesagt, wir erlangen mit unserem Studienfach eine Berufsqualifikation und kein klassisches Berufsbild, wie etwa den Arztberuf. Und genauso ist es! Ich kann mich in viele Kulturen und Persönlichkeiten hineinversetzen und in neue Themen einarbeiten. Ich bin zudem sehr strukturiert und prozessorientiert. Ich könnte Ihnen aus meiner Erfahrung in verschiedenen Branchen erklären, was „Scrubber“ sind oder wie die Fernwartung von Industrieanlagen funktioniert. Als Kommunikatoren sind wir ja häufig „Übersetzer“. 

Sie haben auch ein Auslandssemester in Japan verbracht und später noch aufbauend einen MBA der Hochschule Neu-Ulm und der University of Malta erworben. Was hat Sie dort jeweils am meisten beeindruckt bzw. was hat Ihnen wo genau und im Vergleich besonders gut gefallen?

Japan… das war ganz klar das Eintauchen in eine komplett andere Kultur, die Sprache, der Austausch mit den Menschen vor Ort. Für mich war es durch und durch eine positive Erfahrung. Durch meinen Einstieg in die Wirtschaft – mein erstes Unternehmen war Mitsubishi Gas Chemical in Düsseldorf – wollte ich mein betriebswirtschaftliches Know-how erweitern. Während des MBA-Studiums habe ich viele Einblicke in die Zahlenwelt, aber auch in die verschiedenen Unternehmensbereiche wie Finanzen, Supply Chain Management, Organisationsentwicklung oder Human Resources gewonnen. Diesen Überblick hätte ich gerne schon in meinem Erststudium gehabt. Im Studium habe ich auch, im Gegensatz zu meiner Schulzeit, das erste Mal verstanden, warum es sinnvoll ist, etwas berechnen zu können – zum Beispiel wenn ich ausrechne, ob sich eine Investition in Sache A mehr lohnt als in Sache B. 

Sie sind nach einem geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Studium in die Industrie gegangen, haben unter anderem im Vertrieb gearbeitet. Wie kam es zu diesem ungewöhnlichen Berufsweg?

Als Geisteswissenschaftlerin sehe ich mich als Generalistin. Wir können unsere Fähigkeiten in verschiedene Bereiche einbringen. Der größte Unterschied zwischen den Funktionen Kommunikation und Vertrieb ist, dass man in der Unternehmenskommunikation weiter weg ist von der Wertschöpfungskette. Ansonsten gibt es viele Gemeinsamkeiten: Man berät und unterstützt Kunden, präsentiert das Produkt sowie das Unternehmen von seiner besten Seite.

Erzählen Sie bitte von Ihrer Arbeit als Pressesprecherin bei der Deutschen Post. Welche Themen sind für Sie tägliche Routine und welche Anfragen waren bislang eher ungewöhnlich?

Es prallen Welten aufeinander. Die Deutsche Post hat eine „Wahnsinns-Change“ hinter sich – von einer Staatsbehörde zum DAX-30-Konzern. Das ist beachtlich. Ich habe Beamte in meinem Team, die schon über 50 Jahre dabei sind, und junge Kolleginnen und Kollegen aus der Social-Media-Welt, dem Journalismus und Agenturen. Gemeinsam als schlagkräftiges Team an einem Strang zu ziehen – daran arbeiten wir jeden Tag gemeinsam.

Bei uns in der Pressestelle schlägt weit mehr als nur Presseanfragen auf, manchmal auch sehr Amüsantes: Eine junge Frau rief mich mal samstagnachts an und fragte, wo sie denn just in diesem Moment Briefmarken kaufen könne – online wollte sie sie nicht erwerben. 

Sie haben bereits in sehr unterschiedlichen Branchen gearbeitet: Was macht den Reiz der Veränderung für Sie aus? Oder ist der Job als Kommunikatorin letztendlich doch immer sehr ähnlich, unabhängig vom Arbeitgeber?

Man nimmt unheimlich viel mit. Jede Branche tickt anders, jedes Unternehmen hat eine eigene Kultur. Konzern ist wiederum anders als Mittelstand. Man gewinnt unheimlich viel an Erfahrung, Reife und erweitert seine Komfortzone. Aber ohne Frage, Veränderung kostet auch Mut und Energie, gerade wenn es mit geographischen Wechseln einhergeht ohne Familie und Freunde in der Umgebung. Dennoch kann ich jedem nur empfehlen, mal die vertraute Umgebung zu verlassen und etwas Neues kennenzulernen. 

Was war während Ihrer Studienzeit Ihr Lieblingsort in Tübingen und an welche Begegnungen erinnern Sie sich besonders gerne?

Da gibt es mehrere: Wir sind unheimlich gern ins Irish Pub gegangen oder zum Alten Fritz in die Gartenstraße. Auch der Österberg, Lustnau oder Bebenhausen waren für mich besondere Orte. Und natürlich die Neckarinsel als Dreh- und Angelpunkt. Die vielen herzlichen internationalen Begegnungen sind mir besonders in Erinnerung geblieben. 

Was möchten Sie den heutigen Studierenden der Universität Tübingen mit auf den Weg geben? 

Es gibt heute so viele Optionen und Studienfächer, die ich früher nicht kannte oder die es noch nicht gab. Das ist toll, kann aber auch überfordern, da man die Qual der Wahl hat. Ich würde jedem raten, einmal in Ruhe in sich zu gehen und gut zu überlegen, was man wirklich will: Denn – ein gutes Projekt plant man am Anfang, nicht zwischendrin oder am Ende.

Das Interview führte Christin Wannagat. 
Ursprünglich veröffentlicht in: Uni Tübingen aktuell Nr. 3/2021: Alumni Tübingen

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