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29.11.2016
Banken bleiben wichtige Partner für Unternehmen
Wirtschaftswissenschaftler der Universität Tübingen untersuchen anhand der US-amerikanischen Marihuana-Industrie, wie wertvoll Transaktionsservices und Kredite von Banken für junge Unternehmen sind
Banken haben für junge Unternehmen immer noch eine hohe Bedeutung und sind nicht vollständig durch alternative Finanzdienstleistungen, sogenannte FinTechs wie Crowdfunding oder Online-Bezahldienste, ersetzbar. Zu diesem Schluss kommen Professor Jan Riepe und Markus Merz von der Universität Tübingen in einer jüngst veröffentlichten Studie. Die Wirtschaftswissenschaftler untersuchten am Beispiel der Marihuana-Industrie in den USA, welchen Wert traditionelle Banken für junge Unternehmen in hochentwickelten Volkswirtschaften haben. Sie konnten zeigen, dass sowohl die Verfügbarkeit von Bankkrediten als auch der Transaktionsservice von Banken nach wie vor wichtig für junge Unternehmen sind.
Die Sondersituation der US-amerikanischen Marihuana-Industrie bot den Wissenschaftlern die Gelegenheit, ihre Fragestellung anhand zweier Ereignisstudien sowie einer Befragung zu überprüfen. Aufgrund einer einzigartigen rechtlichen Konstellation agieren Marihuana-Unternehmen in einigen US-Bundesstaaten legal und dürfen fast vollständig am Wirtschaftsleben teilhaben. 25 Staaten erlauben Anbau, Verkauf und Konsum von Marihuana ganz oder teilweise. Erst in den letzten Wochen legalisierten sieben weitere Bundesstaaten Marihuana. Banken ist es jedoch weiterhin untersagt, mit Marihuana-Unternehmen Geschäfte zu machen, da sie unter die Bundesgesetzgebung fallen, die Marihuana als illegale Droge einstuft. Die Marihuana-Industrie stellt das vor beachtliche Herausforderungen: Unternehmen haben keinen Zugang zu Bankkrediten und müssen Zahlungen an Mitarbeiter, Lieferanten wie auch Steuern bar begleichen. Dies führt zu logistischem und buchhalterischem Aufwand und erhöht die Gefahr von Überfällen.
Zunächst hatten die Forscher eine geringere Bedeutung von traditionellen Banken in den USA vermutet, da es hier eine starke Verbreitung neuartiger FinTechs gibt. In zwei Ereignisstudien untersuchten sie daraufhin die Kapitalmarktreaktionen der 94 börsennotierten Marihuana-Unternehmen in den USA nach weitreichenden politischen beziehungsweise juristischen Entscheidungen im Hinblick auf den Zugang zu Bankdienstleistungen. Bei dieser Methode werden die Aktienkurse der betroffenen Firmen am Tag der Bekanntgabe analysiert. „Daraus konnten wir Rückschlüsse darauf ziehen, wie relevant der Zugang zum Bankensystem für die betrachteten Unternehmen ist“, sagte Markus Merz.
Im ersten Fall kam es am 14 Februar 2014 zu einer gemeinsamen Stellungnahme des amerikanischen Justizministeriums (Department of Justice) und der Abteilung zur Bekämpfung von Finanzkriminalität des amerikanischen Finanzministeriums (Department of the Treasury: Financial Crime Enforcement Network). Darin stellten beide Ministerien klar, dass zwar das Geschäft von Banken mit Marihuana -Unternehmen weiterhin gegen Bundesgesetze verstoße; dass beide Ministerien jedoch grundsätzlich keine Strafverfolgung dieser Banken anstreben. Als Reaktion auf diese Stellungnahme erhöhte sich der Börsenwert der amerikanischen Marihuana-Unternehmen um durchschnittlich zwölf Prozent.
Deutlich anders fiel die Reaktion des Kapitalmarkts nach einer Gerichtsentscheidung am 5. Januar 2016 aus. Trotz der Entscheidung der beiden Bundesministerien im Jahr 2014 hatten sich in der Folgezeit nur wenige Banken gefunden, die zu attraktiven Konditionen mit Marihuana-Unternehmen Geschäfte machen wollten. Deshalb hatte eine Gruppe dieser Firmen eine eigene Bank mit Sitz im US-Bundesstaat Kansas gegründet, die "The Fourth Corner Credit Union". Um jedoch den Betrieb aufnehmen und verlässlich arbeiten zu können, hätte die Bank ein zentrales Konto bei der Federal Reserve Bank of Kansas City benötigt, einer Zweigstelle der amerikanischen Zentralbank.
Da sich die Zentralbank jedoch weigerte, mit "The Fourth Corner Credit Union" zusammenzuarbeiten, zogen die Marihuana-Unternehmen vor Gericht. Zur Überraschung aller Beteiligter wies der zuständige Richter jedoch die Klage ab. Damit erfuhren die Hoffnungen der Marihuana-Unternehmen auf eine eigene Bank und damit auf einen unkomplizierten Zugang zu Bankdienstleistungen einen empfindlichen Rückschlag. Die Aktienkurse der Marihuana Unternehmen nahmen allein in den folgenden zwei Tagen um durchschnittlich 4,3 Prozent ab, „Banken spielen also auch weiterhin eine zentrale Rolle für junge Unternehmen", sagte Merz: „Sie sind durch die Leistungen von FinTechs nicht vollständig zu ersetzen.“
„Zurzeit arbeiten wir daran, noch besser zu verstehen, in welchen Situationen Banken besonders wichtig für Unternehmen sind“, sagte Professor Jan Riepe. Insbesondere wolle man herausfinden, welchen Wert der Zugang zum Zahlungsverkehr wie auch der Zugang zu Finanzierung für junge aufstrebende Unternehmen habe. Zu diesem Zweck führen die Forscher eine detaillierte Befragung von 50 Marihuana-Unternehmern durch. „Daraus erhoffen wir uns auch Rückschlüsse darauf, wann und wie wir in Zukunft Banken retten sollten, und wann darauf eher verzichtet werden kann.“
Arbeitspapier:
Markus Merz and Jan Riepe, Access to Banking and its Value in Developed Countries: Evidence from the U.S. Marijuana Industry, Social Science Research Network (SSRN), <link https: papers.ssrn.com sol3 external-link-new-window external link in new>papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm.
Kontakt:
Prof. Dr. Jan Riepe
Universität Tübingen
Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät
Abteilung Bankwirtschaft
Telefon: +49 7071 29-78207
<link>j.riepe@uni-tuebingen.de
Eberhard Karls Universität Tübingen
Hochschulkommunikation
Dr. Karl Guido Rijkhoek
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Antje Karbe
Pressereferentin
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<link>antje.karbe@uni-tuebingen.de
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