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13.10.2015
Wie wir fühlen, was wir fühlen
Tübinger Neurowissenschaftler erforschen, wie wir Berührungen wahrnehmen
Wissenschaftler aus Tübingen und Triest (Italien) haben einen wichtigen Beitrag zum Verständnis des Tastsinnes und der Schmerzleitung geleistet. Ein Team um Dr. Jing Hu (Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften – CIN, Universität Tübingen) fand heraus, dass zwei Substanzen in der Membran von Nervenzellen entscheidenden Einfluss darauf haben, ob eine Berührung wahrgenommen wird oder nicht. Sie konnten zeigen, wie das Zusammenwirken der beiden Stoffe so gestört werden kann, dass Berührungsreize nicht weitergeleitet und andauernde Schmerzen gelindert werden.
Wie wir fühlen, was wir fühlen: Diese Frage beschäftigt die Neurowissenschaft schon lange. Die Frage ist nicht nur grundsätzlich interessant, wissen wir doch ausgerechnet über den Tastsinn von allen fünf Sinnen am wenigsten – und das, obwohl das zugehörige Sinnesorgan, die Haut, unsere gesamte Körperoberfläche bedeckt. Auch Millionen Schmerzpatienten weltweit könnten wir vielleicht wirksamer helfen, wenn wir mehr über die Entstehung von Berührungsempfindungen wüssten.
Ein Druck, ein Ziehen, ein Stechen, ein Reiben – so kann man Empfindungen des Tastsinns beschreiben, aber in gesteigerter Form sind dies stets auch Quellen des Schmerzes. In der Zellmembran eines Neurons, das Berührungsreize weiterleitet, einem sogenannten Mechanorezeptor, bewirkt eine mechanische Berührung einen elektrischen Impuls ans Gehirn. Wie dies aber genau geschieht, und welche biochemischen und biophysikalischen Mechanismen dabei wirken, das konnte bis vor kurzer Zeit niemand beantworten. Seit den 1980er Jahren ist zumindest bekannt, dass Ionenkanäle dabei eine große Rolle spielen: Die Verformung der Nervenzelle regt zugleich bestimmte Proteine an, die wie ein Kanal quer durch die Zellmembran verlaufen. Die Verformung öffnet diesen Kanal für eine bestimmte Ionensorte, die in die Nervenzelle gelangt und dort einen elektrischen Impuls auslöst.
Dr. Hu und ihr Team konnten nun zeigen, dass dies nicht alles ist: Ebenso wichtig wie die Ionenkanäle ist die umgebende Zellmembran selbst. Ist diese weich, gibt sie einem Druck leicht nach, und kein Impuls wird ausgelöst. Ist sie dagegen steifer, dann reagieren die umgebenden Ionenkanäle stark auf Verformung.
Das Verhalten der Zellmembran wird von zwei Substanzen kontrolliert. Das übel beleumundete Molekül Cholesterin war schon lange bekannt; dass aber auch das „Stomatin-artige Protein-3“, kurz STOML3 – zumindest in Mäusen – eine entscheidende Rolle spielt, konnten Hu und ihre Kollegen nun zeigen. Erst das Zusammenwirken von Cholesterin und STOML3 nämlich erzeugt bei Berührungen der Zellmembran eine Versteifung, die eine Aktivierung der umgebenden Ionenkanäle ermöglicht. Fällt eines der beiden Puzzleteile weg, oder wird ihre Reaktion gestört, dann gibt es auch keinen Reiz.
Dass dieser Mechanismus auch bei Schmerzpatienten greifen könnte, zeigten die Forscher in Verhaltensstudien an Mäusen. Wenn die Medikamentenentwicklung hier angreift, könnten sogar Patienten mit Allodynie künftig davon profitieren: Selbst leichteste Berührungen verursachen bei ihnen starke Schmerzen.
Publikation:
Yanmei Qi, Laura Andolfi, Flavia Frattini, Florian Mayer, Marco Lazzarino & Jing Hu:
“Membrane stiffening by STOML3 facilitates mechanosensation in sensory neurons”. Nature Communications 6: 8512, 07. Oktober 2015.
<link http: www.nature.com ncomms ncomms9512 full ncomms9512.html>www.nature.com/ncomms/2015/151007/ncomms9512/full/ncomms9512.html
<link http: dx.doi.org ncomms9512>dx.doi.org/10.1038/ncomms9512
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