Aktuelles
16.05.2017
Auf der Suche nach neuen Wirkstoffen gegen Krebs
Ungewöhnliche Hemmstoffe des Proteasoms: Bauplan entschlüsselt
Forscherinnen und Forscher aus der Pharmazeutischen Biologie und des Interfakultären Instituts für Mikrobiologie und Infektionsmedizin der Universität Tübingen sowie der Universität Bielefeld haben eine neue Klasse von medizinisch interessanten Proteasominhibitoren untersucht: Die Ergebnisse zur Herstellung β-Lacton-haltiger Verbindungen könnten die Suche nach neuen Wirkstoffen für die Krebsbehandlung aus bakteriellen Quellen wesentlich beschleunigen, berichtet die Arbeitsgruppe von Juniorprofessor Leonard Kaysser. Die Studie wurde kürzlich im Fachmagazin Angewandte Chemie Internationale Edition veröffentlicht.
Proteasominhibitoren
Das Proteasom ist ein überlebenswichtiger Proteinkomplex in menschlichen und pflanzlichen Zellen. Als zelluläre „Müllentsorgungsanlage“ ist es dafür zuständig falsch gefaltete oder nicht mehr benötigte Proteine abzubauen. In vielen Zellprozessen besitzt das Proteasom eine Schlüsselrolle in dem es den Gehalt wichtiger Schaltermoleküle reguliert. Wird es gehemmt, führt dies vor allem bei schnell wachsenden Zellen zu deren Tod – diese Wirkung wird bei der Entwicklung von Proteasominhibitoren für die Krebsbehandlung genutzt.
Krebsmedikamente aus Naturstoffen
In Deutschland stehen derzeit zwei Arzneistoffe aus der Klasse der Proteasominhibitoren zur Verfügung, Bortezomib und Carfilzomib. Beide werden für die Therapie des Multiplen Myeloms eingesetzt, einer bösartigen Erkrankung des Knochenmarks. Die meisten Hemmstoffe des Proteasoms wirken, indem sie fest an die aktiven Untereinheiten binden und diese damit ausschalten. Diese feste Bindung wird in der Regel durch reaktive chemische Gruppen in der Struktur der Inhibitoren vermittelt. Die Untersuchung solcher Gruppen ist von großem Interesse, da sich damit die Hoffnung verbindet, neue Leitstrukturen für die Krebstherapie zu entdecken.
Eine Vielzahl von klinisch angewendeten Krebsmedikamenten wurde aus Naturstoffen entwickelt, also aus niedermolekularen chemischen Verbindungen die von Pilzen, Bakterien oder Pflanzen produziert werden. Die Arbeitsgruppe von Leonard Kaysser beschäftigt sich am Pharmazeutischen Institut seit einigen Jahren mit bakteriellen Naturstoffen deren inhibitorische Wirkung auf reaktive chemische Gruppen zurückzuführen ist. Unter anderem konnten sie zeigen, wie Epoxomicin, auf dessen Grundlage Carfilzomib entwickelt wurde, durch Bakterien gebildet wird.
Über Umwege den Bauplan des Genoms untersucht
In der aktuellen Studie hatten sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit einer weiteren Klasse medizinisch interessanter Proteasominhibitoren befasst. Dabei handelt es sich um bakteriell hergestellte Peptide die eine ungewöhnliche β-Lacton-Gruppe aufweisen. Um die Bildung dieser Verbindungen in den Bakterien untersuchen zu können musste das Forscherteam Umwege gehen. Doktorand und Erstautor Felix Wolf: „Wir haben als erstes die Genome der Produzentenstämme sequenziert und waren ziemlich erstaunt: Auch ausgefeilte Genomanalyse- und Annotierungsalgorithmen, wie das in Tübingen mitentwickelte AntiSMASH, konnten keinen Hinweis darauf geben, welche Gene in den Bakterien für die Herstellung der Proteasominhibitoren verantwortlich sind. Aber das hat es für uns nur interessanter gemacht.“
Durch Fütterungsexperimente mit markierten Vorstufen konnten die Forscher ein Modell zur Biosynthese der Verbindungen aufstellen, das Ähnlichkeiten zum Stoffwechselweg der Aminosäure Leucin aufwies. Mit diesem wurde schließlich der Bauplan der Moleküle im jeweiligen Genom gefunden und durch Mutationen sowie biochemische Experimente untersucht. Tatsächlich zeigte sich, dass die peptidische Grundstruktur der Proteasominhibitoren nicht wie üblich vom Ribosom oder von nicht-ribosomalen Peptidsynthetasen gebildet wird, sondern von ungewöhnlichen diskreten Enzymen, sogenannten Amidsynthetasen.
Mit den Ergebnissen zur Herstellung β-Lacton-haltiger Proteasominhibitoren lässt sich die Suche nach neuen Wirkstoffen für die Krebsbehandlung in bakteriellen Quellen wesentlich beschleunigen, so die Hoffnung der Wissenschaftler.
Antje Karbe
Publikation:
Felix Wolf, Judith S. Bauer, Theresa M. Bendel, Andreas Kulik, Jörn Kalinowski, Harald Gross, Leonard Kaysser: Biosynthesis of the β-Lactone Proteasome Inhibitors Belactosin and Cystargolide. Angewandte Chemie Internationale Edition, 28. April 2017 (doi: 10.1002/anie.201612076), <link http: www.onlinelibrary.wiley.com doi anie.201612076 full>www.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/anie.201612076/full.
Kontakt:
Prof. Leonard Kaysser
Universität Tübingen
Pharmazeutische Biologie
Telefon +49 7071 29-77671
<link>leonard.kaysser@pharm.uni-tuebingen.de