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30.07.2015
Die Venus vom Hohle Fels bekommt Gesellschaft
Tübinger Archäologen entdecken ein Elfenbeinfragment, das sie für den Teil einer zweiten Frauenstatuette halten
Zwischen 45.000 und 35.000 Jahren vor heute ließen sich anatomisch moderne Menschen in Europa nieder und verdrängten den Neandertaler. Aus dieser Kulturphase des sogenannten Aurignacien stammt auch die älteste menschliche Darstellung, die nahezu komplett erhaltene „Venus vom Hohle Fels“. Im Jahr 2008 war das Grabungsteam von Professor Dr. Nicholas Conard aus der Abteilung für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie der Universität Tübingen auf den Sensationsfund, der vor rund 40.000 Jahren in der Höhle nahe Schelklingen abgelegt worden war, gestoßen .
Doch bei einer Elfenbeinstatuette sollte es nicht bleiben: Nur etwa 2 Meter davon entfernt entdeckten die Tübinger Archäologen in derselben Höhle nun ein Fragment, das sie für den Teil einer ungefähr gleich alten, zweiten Frauenfigur halten. Anders als die ebenfalls im Hohle Fels gefundenen Tierfiguren und Löwenmenschen zeichnen sich die Venus und das aus zwei Bruchstücken bestehende Fragment durch ein eingeritztes Rillenmuster aus.
„Man erkennt in diesem kleinen Stück ein Universum an Details“, freut sich Nicholas Conard über den Fund. Aufgrund von Muster und Form könnte es sich um einen seitlichen Teil der Brust und des Oberbauches einer Frauenfigur handeln. Darunter sind Rillen zu sehen, die wie bei der ersten Frauendarstellung als Hand interpretiert werden könnten. Es lassen sich aber auch Unterschiede zur ersten Venus erkennen: Das Fragment ist stärker verwittert und in unmittelbarer Nähe befanden sich keine weiteren Teile der Figur. „Wahrscheinlich wurde sie bereits beschädigt abgelegt“, nimmt die Grabungstechnikerin Maria Malina an.
Ob beide Figuren von ein und demselben Künstler gefertigt wurden, lässt sich bisher weder beweisen noch widerlegen. „Das wäre reine Spekulation“, betont Conard. Auch wenn das Fragment ebenfalls auf rund 40.000 Jahre vor heute geschätzt wird – genauer als bis in den 1000er-Bereich ist eine Datierung im Augenblick nicht möglich. Weitere Stücke, die die Figur vervollständigen würden, könnten eher aufgrund der Rillenführung neue Hinweise ergeben. Dass im Hohle Fels noch weitere Fragmente der „Schwestern“ der Venus verborgen liegen, ist nicht ausgeschlossen. „Es würde mich nicht überraschen“, sagt Conard. Denn bisher wurde erst ein kleiner Teil der Höhle ausgegraben.
Über die Interpretation der Venus streiten sich die Fachleute. Besonders ihre stark hervorgehobenen Geschlechtsmerkmale waren Gegenstand zahlreicher Theorien: Manche vermuten, dass es eine Selbstdarstellung aus der Perspektive des Hinabschauens am eigenen Körper ist, andere halten sie für einen Talisman während der Schwangerschaft oder ein Fruchtbarkeitssymbol. Aber genau diese Mehrdeutigkeit zeichne die Kunst eben aus, erläutert Conard.
Wer nun das Fragment mit eigenen Augen sehen möchte: Es wird zusammen mit der Original-Venus noch bis zum 11. Oktober 2015 im Urgeschichtlichen Museum Blaubeuren präsentiert.
Mareike Manzke