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10.12.2019
Drei Consolidator Grants für Universität Tübingen
Europäischer Forschungsrat fördert Projekte zur Untersuchung von Verschwörungstheorien, der neuronalen Grundlagen unseres Denkens und zum Koran als Quelle für die Geschichte der Christen und Juden Arabiens
Drei Wissenschaftler der Universität Tübingen haben erfolgreich einen Consolidator Grant des Europäischen Forschungsrats eingeworben. Professor Michael Butter (Englisches Seminar) wird im Projekt „Populism and Conspiracy Theory(PACT)“ das Zusammenwirken von populistischen Be-wegungen und Verschwörungstheorien untersuchen. Professor Markus Siegel (Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften und Hertie Institut für Klinische Hirnforschung) erforscht im Projekt „Neuronal Information through Neuronal Interactions (NINI)“ die neuronalen Grundlagen unseres Denkens und Handelns. Professor Holger Zellentin (Seminar für Religionswissenschaft und Judaistik) untersucht im Projekt „The Qur’an as a Source for Late Antiquity (QaSLA)“ die Bedeutung des Korans für die Geschichte der Juden und Christen der Spätantike. Alles Forschungsvorhaben werden mit rund zwei Millionen Euro über fünf Jahre finanziert.
Mit dem ERC Consolidator Grant werden Wissenschaftler mit mehrjähriger Forschungserfahrung beim Aufbau einer Karriere und ihres eigenen Forschungsteams unterstützt. Die Kreativität junger, vielversprechender Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler soll gefördert, neue Ideen in die Forschungsfelder getragen werden. Die Ausschreibung erfolgt themenoffen und über alle Bereiche der Wissenschaft hinweg.
Wie populistische Bewegungen Verschwörungstheorien nutzen
Der Aufstieg populistischer Bewegungen weltweit und die zunehmende Präsens von Verschwörungstheorien stehen in engem Zusammenhang. Der Amerikanist Michael Butter und sein Team werden im ERC-Projekt „Populism and Conspiracy Theory (PACT)“ diese Verschränkung detailliert untersuchen: Wie und zu welchen Zwecken formulieren Populisten Verschwörungstheorien? Gibt es je nach politischer Ausrichtung Unterschiede und was verändert sich, wenn eine Partei an die Macht kommt?
Im Projekt arbeitet ein interdisziplinäres Team aus Politikwissenschaft, Medienwissenschaft, Soziologie, Anthropologie und Regionalwissenschaften zusammen. Zunächst wird es die Geschichte aktuell erfolgreicher populistischer Parteien und Bewegungen aufarbeiten, in Europa (Österreich, Italien, Ungarn, Polen), den USA und Südamerika (Brasilien). Im Blick stehen hier unter anderem Reden, Manifeste und die Rolle der Sozialen Medien, beispielsweise im Wahlkampf. Herzstück wird jedoch Feldforschung vor Ort sein: Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verbringen jeweils längere Zeit in den Untersuchungsländern, um dort anstehende Präsidentschafts- oder Parlamentswahlen beobachtend zu begleiten.
Der Zusammenhang zwischen Verschwörungstheorien und Populismus sei bislang kaum untersucht, sagt Butter, insbesondere für Südamerika gebe es noch keine Erkenntnisse zu Verschwörungstheorien. Die Ergebnisse könnten über die Wissenschaft hinaus interessant sein, um sich besser auf die Herausforderungen einzustellen, vor denen Demokratien weltweit derzeit stehen.
PACT ist ein Anschlussprojekt des Forschungsnetzwerks „COST Action – Comparative Analysis of Conspiracy Theory“, in dem Wissenschaftler aus über 40 Ländern seit 2016 gemeinsam Ursachen und Wirkmechanismen von Verschwörungstheorien auf den Grund gehen.
Foto: Christoph Jäckle
Wie berechnen Netzwerke von Nervenzellen Informationen?
Unser Denken und Handeln entsteht durch die Aktivität spezialisierter Neuronen (Nervenzellen) im Gehirn. Es ist bereits viel bekannt darüber, welche Neuronen und Hirnregionen sensorische, kognitive oder motorische Informationen in Form von elektrischen Aktivitätsmustern kodieren. Vergleichsweise wenig bekannt ist jedoch, wie diese Informationen überhaupt entstehen und inwiefern daran die Wechselwirkungen sogenannter Gehirnnetzwerke beteiligt sind. Bislang werden solche neuronalen Interaktionen und die Informationskodierung in weitgehend getrennten Forschungsbereichen untersucht. Der Neurowissenschaftler Markus Siegel will diese Felder in seinem Projekt „Neuronal Information through Neuronal Interactions“ verknüpfen.
Sein Team kombiniert hierfür neueste elektrophysiologische und analytische Techniken. Mit Magnetoenzephalographie (MEG) wird die Gehirnaktivität von Menschen gemessen, während diese sich zwischen verschiedenen Handlungsalternativen entscheiden. So lässt sich untersuchen, welche Gehirnareale während der Entscheidungsfindung kommunizieren und welche dieser Interaktionen den getroffenen Entscheidungen, und somit der neuronalen Kodierung bestimmter Informationen, zugrunde liegt. Durch vergleichbare Untersuchungen im Tiermodell werden dann die Schaltkreisinteraktionen auf der Ebene einzelner Neuronen erforscht.
Von dieser Herangehensweise und der Verknüpfung zwei weitgehend getrennter Felder verspricht sich Markus Siegel wichtige neue Erkenntnisse über die neuronalen Grundlagen unseres Denkens und Handelns.
Was vermittelt der Koran über die Geschichten der Juden und Christen Arabiens?
Die Botschaft des Korans an die Bevölkerungen Mekkas und Medinas kann nur im Kontext der anhaltenden und kritischen frühislamischen Auseinandersetzung mit den jüdischen und christlichen Traditionen vollständig verstanden werden. In seinem Projekt „The Qur’an as a Source for Late Antiquity (QaSLA)“ werden der Religionswissenschaftler Holger Zellentin und sein Team diesen Ansatz von Grund auf neu entwickeln, indem es den Koran Disziplinenübergreifend als Zeugnis für die Geschichte des Judentums und des Christentums verwendet. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchen dabei den Koran als historische Primärquelle. Dies ermöglicht es zum einen, die religiöse Landschaft der Arabischen Halbinsel in der Zeit der Wende des siebten Jahrhunderts zu skizzieren, für die es keine vergleichbaren lokalen zeitgenössischen Schriften gibt. Zum anderen wollen sie durch das Zeugnis des Korans die Entwicklung jüdischer und christlicher Traditionen der gesamten Spätantike aus einer neuen Perspektive betrachten, die wiederum Rückschlüsse auf die Entwicklung des rabbinischen Judentums und besonders des arabisch-, aramäisch- und äthiopischsprachigen Christentums erlaubt.
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