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22.05.2020

Internationale Zusammenarbeit als Schlüssel zur Bewältigung der Corona-Krise

Von Hans-Jochen Schiewer, Vorsitzender der German U15, und Sir Anton Muscatelli, Vorsitzender der britischen Russell Group

Internationale Zusammenarbeit war nie wichtiger als heute. Die Corona-Pandemie stellt uns weltweit vor die gleichen Herausforderungen – mit drastischen Folgen für das gesellschaftliche Leben in Staaten und Kommunen rund um den Globus. Auch die grenzüberschreitende Mobilität von Studierenden und der internationale Austausch zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sind davon betroffen. 

Die Zivilgesellschaften haben durchaus gemeinsame Antworten gefunden: Schutz der Risikogruppen und deren Unterstützung, weitgehende Solidarität in der Einhaltung einschneidender Hygienemaßnahmen und große Anerkennung für systemrelevante Berufsgruppen lassen sich weltweit beobachten. Demgegenüber kommen multilaterale Ansätze in der politischen Diskussion bislang zu kurz, da diese noch zu stark in einem Denken in Landesgrenzen verhaftet ist.

Der Kontrast zu Wissenschaft und Forschung könnte kaum stärker sein: Überall auf der Welt haben sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler frühzeitig an die Arbeit gemacht, haben das Virus analysiert und ihre Erkenntnisse geteilt – lange bevor der COVID-19-Ausbruch zur Pandemie erklärt wurde. Gemeinsame Forschungsarbeiten, Publikationen und Projekte werden in einem Tempo und einer Größenordnung vorangetrieben, wie wir es noch nicht erlebt haben.

Als Vorsitzende der Russell Group und der German U15 sind wir stolz auf die Rolle der international vernetzten Wissenschaft bei der Bewältigung der Pandemie. Unsere Universitäten arbeiten mit Hochdruck – von der Forschung zu Impfstoffen und Medikamenten beispielsweise in Oxford oder am Imperial College bis zur wegweisenden Arbeit in biomedizinischen Ausgründungen wie CureVac in Tübingen und BioNTech in Mainz. Der Einsatz unserer Universitäten reicht von der Krankenversorgung an den Universitätskliniken bis zur Entwicklung und Durchführung neuartiger Testverfahren etwa im Glasgow Lighthouse Lab oder im Freiburger Spin-off Spindiag; er reicht von wirtschafts-, sozial- und geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen über Wissenschaftskommunikation und Politikberatung bis hin zum beeindruckenden freiwilligen Engagement unserer Studierenden in Kliniken, Testlaboren oder bei der Betreuungsarbeit.

Die globale Forschungsgemeinschaft hat klar erkannt: Nur durch internationale Zusammenarbeit können wir unsere Gesellschaften schützen und die Grundlage für eine wirtschaftliche Erholung schaffen. Wir werden COVID-19 bezwingen, wenn wir eng und vertrauensvoll kooperieren. Was für die Wissenschaft gilt, sollte auch für die Staatengemeinschaft gelten.

Den Wissenschaftsbeziehungen zwischen Großbritannien und Deutschland kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Innerhalb des EU-Forschungsrahmenprogramms Horizon 2020 ist keine Zusammenarbeit zwischen zwei Ländern vergleichbar intensiv wie die zwischen Deutschland und Großbritannien. In den letzten Jahren haben allein Forscherinnen und Forscher von Russell Group und German U15-Universitäten in vielen hundert Einzelprojekten gemeinsam gearbeitet. Noch wichtiger als die Anzahl der Kooperationen ist ihre Qualität. Und hier zeigt sich: Wenn britische und deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammenarbeiten, dann entfalten die gemeinsamen Publikationen eine erheblich stärkere Wirkung als Publikationen, die nicht aus deutsch-britischer Zusammenarbeit hervorgehen. 

Doch die Zukunft der britisch-deutschen Wissenschaftsbeziehungen hängt von einer Bedingung ab: von grenzüberschreitender Forschungsförderung. Gegenwärtig verhandeln Großbritannien und die Europäische Union über ihre künftigen Beziehungen – das Ergebnis ist offen. Zugleich berät die Europäische Union darüber, wie sie künftig die Teilnahme von Drittstaaten, zu denen nun auch Großbritannien zählt, an ihrem Forschungsrahmenprogramm gestalten will. Russell Group und German U15 haben von Anfang an für eine frühe und vollumfängliche Assoziierung Großbritanniens zum neuen Rahmenprogramm Horizon Europe plädiert. Sollte dies nicht realisierbar sein, brauchen wir ein Überbrückungsprogramm, um die wegbrechende EU-Förderung aufzufangen und die hervorragende und erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Ländern fortsetzen zu können. 

Dies ist umso wichtiger, als unsere Universitäten gemeinsam eine zentrale Rolle für den bevorstehenden Neustart und den Ausweg aus der Corona-Krise spielen können. Insbesondere mit Blick auf drei Ziele möchten wir unsere Kräfte bündeln und damit zur weiteren Entwicklung in unseren beiden Ländern substanziell beitragen: die Erholung der Wirtschaft, die Bewältigung der sozialen Folgen und die Stärkung der Resilienz unserer kritischen Systeme.

Zunächst zur Erholung der Wirtschaft: Selbst optimistische Prognosen gehen von einem längeren Prozess aus, bis die Wirtschaft nach dem COVID-19-Schock wieder Wachstumsraten verzeichnen kann. Universitäten können die Erholung der Wirtschaft voranbringen, indem sie neue, zukunftsweisende Ideen, Dienstleistungen und Technologien entwickeln. Wir schlagen eine neue Allianz zwischen Forschungsuniversitäten und politischen Akteuren vor – auf nationaler und europäischer Ebene –, um das Wirtschaftswachstum zu befeuern, indem wir exzellente Grundlagenforschung, Forschung und Entwicklung in Unternehmen, Innovation und Entrepreneurship noch enger zusammenbringen. Denn diese Kombination ist der perfekte Nährboden für vielversprechende Start-ups und Ausgründungen, die ihrerseits zukunftsfeste Arbeitsplätze schaffen. 

Zweitens möchten wir die Bewältigung der sozialen Corona-Folgen unterstützen. Schon jetzt ist klar, dass wir die Folgen von COVID-19 noch lange spüren werden – noch lange nachdem wir die Krankheit selbst und die Pandemie in den Griff bekommen haben. Ein Beispiel dafür ist die besorgniserregende Zunahme von Ungleichheit. Starke Universitäten sind ein Schlüssel zur Bekämpfung sozialer Ungleichheit: Wir gewährleisten die bestmögliche Bildung für künftige Generationen und statten junge Menschen mit den erforderlichen Kompetenzen aus, damit sie ihr Potenzial in einer sich wandelnden Lebens- und Arbeitswelt entfalten können. Wir machen berufserfahrenen Menschen forschungsorientierte Angebote für das lebenslange Lernen, so dass sie sich auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich behaupten können. Darüber hinaus kommt den Universitäten als Heimat der Geistes-, Kultur-, Sozial- und Rechtswissenschaften eine besondere Verantwortung für sachliche und zukunftsgerichtete gesellschaftliche Debatten zu: Sie ordnen aktuelle Entwicklungen in größere Zusammenhänge ein, wirken mit ihren Fragen, Themen und Erkenntnissen den einfachen Wahrheiten entgegen und gehen beispielsweise den Ursachen von Wissenschaftsfeindlichkeit und Verschwörungsmythen auf den Grund. So tragen sie wesentlich zur Widerstandskraft von Demokratie und politischer Kultur bei. 

Und drittens müssen wir die Resilienz unserer Systeme und Institutionen stärken. Die Corona-Krise hat uns deren Verwundbarkeit unmissverständlich vor Augen geführt. Wir müssen deshalb grundsätzlich darüber nachdenken, wie wir unsere Gesundheits-, Sozial- und Politiksysteme bestmöglich für die Zukunft mit ihren bekannten und noch unbekannten Herausforderungen vorbereiten. Forschung ist entscheidend, um diese Resilienz zu stärken und die Politik auf dem Weg dorthin zu beraten. Angesichts großer Herausforderungen wie dem Klimawandel, der Migration, der Digitalisierung oder der alternden Gesellschaften, die uns in Zukunft immer stärker fordern werden, gilt dies umso dringlicher. 

Keine der hier skizzierten Herausforderungen und Problemstellungen kann von einem nationalen Wissenschaftssystem oder einer einzelnen Wissenschaftseinrichtung allein erfolgreich bearbeitet werden. Zusammenarbeit lautet die Devise. Deshalb werden die Universitäten, für die wir sprechen, alles dafür tun, die enge deutsch-britische Partnerschaft weiter zu stärken. Die globale Forschungsgemeinschaft hat uns gezeigt, dass die Corona-Pandemie nur durch gemeinsam erarbeitete Lösungen überwunden werden kann. Nach diesem Modell müssen wir nun den Ausweg aus der Corona-Krise gestalten – gemeinsam und für uns alle. 

Hans-Jochen Schiewer, Rektor der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg und Vorsitzender von German U15 

Sir Anton Muscatelli, Principal der University of Glasgow und Vorsitzender der britischen Russell Group
 

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