Uni-Tübingen

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16.04.2020

Entwicklung eines Virusvektor-basierten Impfstoffs gegen SARS-CoV-2

Impfstoff könnte auch gegen Mutationen von SARS-CoV-2 und andere Coronaviren eingesetzt werden

PostDoc Melanie Müller (rechts) und Doktorand Felix Pagallies beim Betrachten von ORFV-Rekombinanten am Fluoreszenzmikroskop

Die Tübinger Immunologen Ralf Amann, Ferdinand Salomon und Melanie Müller vom Interfakultären Institut für Zellbiologie (IFIZ) der Universität Tübingen arbeiten mit einer innovativen Plattformtechnologie an der Entwicklung eines Impfstoffs gegen das Coronavirus SARS-CoV-2. Dabei setzen sie in einen für den Menschen unschädlichen Virusvektor Antigene des Coronavirus ein. Maximilian von Platen hat Ralf Amann interviewt.

Bei der Suche nach einem Impfstoff gegen das neuartige Coronavirus setzen Sie auf eine von Ihnen entwickelte Plattformtechnologie und einen Virusvektor. Beschreiben Sie diesen Forschungsansatz.

Wir arbeiten schon seit vielen Jahren an unserer Plattformtechnologie, mit der wir schnell neue Impfstoff-Prototypen konzipieren können. Wir setzen dabei auf einen Virusvektor. Das ist ein modifiziertes Virus, das keine krank machenden Eigenschaften mehr besitzt und sich nur noch in Zellkultur vermehren kann. Er löst aber trotzdem noch eine Immunreaktion im Wirt, in diesem Fall im Menschen, aus. 

In den Virusvektor werden gezielt ausgewählte Antigene aus gefährlichen Erregern eingebracht. Nach Verabreichung des Virusvektors wird eine Immunantwort gegen die eingebrachten Antigene erzeugt und ein sogenanntes immunologisches Gedächtnis gebildet. Wenn der Mensch später mit dem gefährlichen Erreger infiziert wird, ist das Immunsystem vorbereitet, weil es bereits Kontakt mit dem Antigen des Erregers gehabt hat. So kann das Immunsystem den Erreger sehr schnell kontrollieren, eindämmen und letztlich sogar gänzlich eliminieren, ein starker Ausbruch der durch den Erreger verursachten Krankheit wird verhindert.

Der von uns verwendete Virusvektor ist ein bereits in den 1980er-Jahren isolierter Stamm des Orf-Virus, das ursprünglich eine Hauterkrankung bei Schafen und Ziegen ausgelöst hat. Dieses Virus ist attentuiert, d.h. es hat seine krankmachenden Eigenschaften verloren und ist daher für Mensch und Tier ungefährlich.

Was ist das Besondere an Ihrem Ansatz?

Der von uns genutzte, ungefährliche Vektor simuliert eine Infektion und ist daher in der Lage das Immunsystem optimal zu aktivieren. Dies ermöglicht uns auch ohne den Einsatz von Wirkverstärkern (Adjuvantien) sehr starke Immunantworten auszulösen. Zudem ist es uns in den letzten Jahren gelungen den Vektor entscheidend weiterzuentwickeln, sodass wir nun polyvalente, also mehrere Antigene tragende Impfstoffe nach dem Baukastenprinzip designen können. Dies ermöglicht uns den Virusvektor individuell an verschiedenste Anforderungen anzupassen. Für die Bekämpfung von SARS-CoV-2 heißt das konkret: durch die Möglichkeit verschiedener Antigene in den Virusvektor einzubringen, könnte ein zukünftiger Impfstoff auch Mutationen des Coronavirus bekämpfen und somit eine längerfristige Immunität versprechen. Auch eine Immunisierung gegen andere Coronaviren wäre durch unseren Ansatz möglich. 

Wie gehen Sie bei der Entwicklung eines Impfstoffs gegen SARS-CoV-2 weiter vor?

Wir haben in unserem Plattformmodell Antigene des Coronavirus spezifiziert und am Computer designt. Aktuell warten wir darauf, dass ein auf Gensynthesen spezialisierter Dienstleister diese Nukleotid-Sequenzen herstellt. Anschließend werden wir die Antigene in unseren Virusvektor einbauen, das wird voraussichtlich vier Wochen dauern. Es folgen in vitro-Charakterisierungen, hier kann man bereits von einem Prototyp eines möglichen Impfstoffes sprechen. Für weitere Testreihen in vivo werden wir mit externen Kooperationspartnern zusammenarbeiten und hoffen, diese in sechs Monaten abschließen zu können. 

Die klinische Erprobung und Zulassung neuer Impfstoffe dauert unter Normalbedingung mindestens sechs Jahre. Wir gehen aber beim Coronavirus SARS-CoV-2 von einem beschleunigten Zulassungsverfahren aus, sodass eine Zulassung nach sechs bis zwölf Monaten grundsätzlich denkbar ist. Aber nur wenn bis dahin ausreichend Daten zur Wirksamkeit und zur Sicherheit des Impfstoffes vorliegen.

Förderung durch EXIST-Forschungstransfer und Ausgründung

Die Tübinger Immunologen Ralf Amann, Ferdinand Salomon und Melanie Müller vom Interfakultären Institut für Zellbiologie (IFIZ) der Universität Tübingen werden für die Entwicklung eines Impfstoffs gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 bis Ende 2021 vom Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) mit 1,3 Millionen Euro sowie von der Carl-Zeiss-Stiftung mit weiteren 150.000 Euro gefördert. Die Förderung des BMWi für dieses Projekt ist eine Aufstockung der seit Sommer 2018 bestehenden Förderung der drei Wissenschaftler über das EXIST Forschungstransfer-Programm des BMWi. Diese Fördermaßnahme wurde gleichzeitig um sechs Monate bis Ende 2021 verlängert. 

Bereits im Oktober 2019 gründeten Ralf Amann, Ferdinand Salomon und Melanie Müller ihre Firma Prime Vector Technologies GmbH, obwohl der ursprüngliche Förderzeitraum des EXIST Forschungstransfer-Programms bis Sommer 2021 gelaufen wäre. Alle drei arbeiten jedoch bis zum Ende der Förderung weiter in Vollzeit für die Universität, da die Projektförderung an die Universität gebunden ist. 

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