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07.07.2021
Neue Forschungsgruppe zur sakralen Bedeutungszuschreibung von Texten
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Tübingen untersuchen mit Fördermitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft, wie literarische, politische, juristische und religiöse Schriften Merkmale des Religiösen erhalten – oder auch wieder verlieren
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) richtet an der Universität Tübingen eine neue Forschungsgruppe ein, die auch jenseits offensichtlich sakraler Schriften wie Bibel und Koran die Sakralisierung von Texten aus Literatur, Recht und Politik untersuchen will. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Sakralisierung, die Zuweisung religiöser Merkmale, dem praktischen Gebrauch und der über die Zeiten wechselnden Auslegung der Texte unterliegt. In dieser Dynamik können Texte auch desakralisiert werden. Beteiligt an der stark interdisziplinären DFG-Forschungsgruppe „De/Sakralisierung von Texten“ (FOR 2828) sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Evangelischen Theologie, der Japanologie, der englischen und lateinischen Philologie, der Juristischen Fakultät, der Politikwissenschaft, dem Zentrum für Islamische Theologie sowie dem Heidelberg Center for American Studies an der Universität Heidelberg. Die Forschungsgruppe soll ihre Arbeit demnächst aufnehmen. Die Laufzeit liegt zunächst bei drei Jahren mit der Option auf Verlängerung um drei weitere Jahre. Sprecherin der Forschungsgruppe ist Professorin Birgit Weyel, Praktische Theologin an der Evangelisch-Theologischen Fakultät.
Mit dem Titel der Forschungsgruppe verbinden sich durchaus praktische Fragen. „Was sollen Schülerinnen und Schüler in der Schule lesen? Unter welchen Bedingungen stiften Zitate aus Bibel und Koran Frieden und Versöhnung oder rufen zu Hass und Gewalt auf? Und wie wirkt sich die Thematisierung von Menschenrechten in einer globalen Weltgesellschaft auf lokale Diskurse zur Gerechtigkeit aus?“, nennt Birgit Weyel einige Beispiele. Gegenstand der Forschung sollen die heiligen Schriften von Religionsgemeinschaften sein, aber auch humanistische Klassiker oder die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. „Solche Texte sind mit besonderen Geltungsansprüchen versehen“, erklärt Weyel. „Sie tragen auch außerhalb von Religionsgemeinschaften Merkmale des Religiösen, weil sie mit unbedingter Autorität und nicht verhandelbaren Wahrheitsansprüchen verknüpft werden.“
Im Rahmen der Forschungsgruppe soll untersucht werden, wie Texten durch ihren Gebrauch besondere Qualitäten zugeschrieben werden, wie diese Qualitäten zu beschreiben sind und wie Texte Bedeutungszuschreibungen auch verlieren. „Unser Ziel ist es nicht, die Texte den beiden starren Kategorien ‚religiös‘ oder ‚säkular‘ zuzuordnen“, sagt die Wissenschaftlerin. „Wir wollen vielmehr vielfältige Beschreibungen, Differenzierung und Abstufungen zulassen.“ Zum anderen stehe die Frage nach den Praktiken im Mittelpunkt, also wie Sakralisierung und Desakralisierung gemacht werden. „Wie wichtig diese Fragestellung ist, wird deutlich, wenn durch unterschiedliche Texte verschiedene Normen absolut gesetzt werden und Autoritätskonflikte entstehen. Wenn die Texte in Konkurrenz zueinander treten, werden religionspolitische Spannungen erzeugt“, sagt Weyel. Daher ziele der Erkenntnisgewinn der Forschungsgruppe auf den entscheidenden Unterschied in der Autorität, aufgrund dessen manche Texte in kulturellen, sozialen und politischen Routinen des Gebrauchs über andere Texte gestellt werden.
Prof. Dr. Birgit Weyel, Evangelische Theologie/Janna Eberhardt, Hochschulkommunikation
Kontakt:
Prof. Dr. Birgit Weyel
Universität Tübingen
Evangelisch-Theologische Fakultät
Praktische Theologie III
Telefon +49 7071 29-77485
birgit.weyelspam prevention@uni-tuebingen.de
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