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26.04.2019
Studie an der Universität Tübingen: Angriff auf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
Ein Forschungsbericht von Professor Dr. Rüdiger Wulf
Eine zentrale rechtliche und ethische Voraussetzung für Forschung und Lehre ist, dass Wissenschaftler unbeeinflusst arbeiten können. Dies ist nicht mehr gewährleistet, wenn sie wegen ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit in Forschung oder Lehre angegriffen, also beleidigt, bedroht, psychisch unter Druck gesetzt oder gar körperlich attackiert werden.
Der Kriminologe Professor Dr. Rüdiger Wulf hat jetzt in einer Studie untersucht, ob sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Tübingen angegriffen und dadurch in ihrer Arbeit eingeschränkt fühlen. Konkret verwendet Wulf für seine Studie folgende Begriffsdefinition: „Der Schlüsselbegriff ‚Angriff‘ umfasst hier Beleidigungen und Bedrohungen aller Art, einschließlich der Ausübung psychischen Drucks und körperliche Angriffe. Der Angriff kann dabei in der realen Welt oder im Internet erfolgen.“
Im Rahmen der Studie hat Wulf im Oktober 2018 eine Online-Befragung bei 828 aktiven Professorinnen und Professoren der Universität durchgeführt. Das Ergebnis kurz zusammengefasst: Insgesamt können Professorinnen und Professoren an der Universität Tübingen unbeeinflusst forschen und lehren.
Wenn man die Antworten genauer anschaut, ist zu erkennen, dass es Angriffe auf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sehr vereinzelt auch an der Universität Tübingen gibt.
Zehn der befragten Wissenschaftler halten darüber hinaus einen Angriff auf sich für wahrscheinlich, vierzehn sehen Risiken für einen Angriff auf andere Wissenschaftler.
Als mögliche Gründe für einen Angriff wurden genannt:
- der Forschungsgegenstand, insbesondere Forschung und Lehre zu ethisch-religiösen Grenzfragen,
- die Forschungsmethoden, z.B. mit Versuchstieren und Genforschung, und
- der Forschungszweck, z.B. eine Nähe zur Rüstungsindustrie.
Dreizehn Befragte halten einen Angriff aus politischen Gründen für denkbar. Materielle Gründe und Karrieregründe spielen dagegen bei der Gefährdungseinschätzung offenbar keine Rolle.
Die Rücklaufquote bei der Online-Umfrage betrug sieben Prozent, die Anzahl der auswertbaren Antworten – also weitgehend vollständig ausgefüllte Fragebögen – betrug 29 (n=29).
Vorgeschlagene Maßnahmen
Als vorbeugende Maßnahmen wurden seitens der Befragten kompetente Ansprechpartner aus dem Kreis der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und in der Verwaltung der Universität gewünscht. Beim Punkt „Interventionen“ wurden die Beiordnung eines Rechtsbeistandes/Verteidigers/Anwalts/ bzw. einer Verteidigerin/Anwältin und eine Strafanzeige der Universität genannt. Nachsorgende Maßnahmen wie Psychotherapie in schweren Fällen, Supervision und kollegiale Beratung wurden in unterschiedlicher Priorität für wünschenswert gehalten. Wichtig erscheint für fast alle Befragten die Kommunikation des Themas in der Universitätsleitung und in den Selbstverwaltungsgremien der Universität und der Fakultäten.
Maximilian von Platen