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10.09.2015

Alzheimer-Entstehung: Neue Erkenntnisse zu Inkubationszeiten und Krankheitsentwicklung

Ablagerungen des fehlgefalteten Eiweißes Abeta im Gehirn sind charakteristisch für die Alzheimer-Krankheit. Von der ersten Fehlfaltung bis zum Ausbruch der Erkrankung können mehrere Jahrzehnte vergehen. Das gilt auch für Prionen-Erkrankungen, wie Creutzfeldt-Jakob. Beiden liegt offenbar dasselbe Prinzip zugrunde: Die schablonenartige Vervielfältigung fehlgefalteter Eiweiße, die zum Ausbruch der Krankheit führen. Aktuelle Arbeiten und eine Experteneinschätzung in Nature und Nature Neuroscience bringen jetzt neue Erkenntnisse. Einzelne Menschen, die mit von Prionen verunreinigten Wachstumshormonen (vor 1985) behandelt wurden und an der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit verstarben, entwickelten im Gehirn auch charakteristischen Merkmale der Alzheimer-Krankheit (Nature). Daher ist anzunehmen, dass die aus den Hirnanhangsdrüsen Verstorbener gewonnenen Wachstumshormone zusätzlich auch mit Aggregationskeimen von fehlgefaltetem Abeta verunreinigt waren. In „News & Views“ (Nature) geht der Tübinger Neurobiologe Mathias Jucker der Frage nach, ob damit auch der erste Übertragungsweg von Mensch zu Mensch belegt wurde. Darüber hinaus zeigen Jucker und Mitarbeiter in Nature Neuroscience, dass Alzheimer-Aggregationskeime noch resistenter sind als die Prionen. Diese Erkenntnisse lassen den Rückschluss zu, dass kleinste, noch nicht detektierbare Mengen dieser Keime ausreichen, um noch viel früher als angenommen, die Erkrankung auszulösen.

Auslöser der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJK) sind infektiöse Prionen. Seit Mitte der 80er Jahre ist bekannt, dass Menschen, die mit Prionen verunreinigte Wachstumshormone bekamen, die CJK entwickelten. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden Wachstumshormone noch aus den Hirnanhangsdrüsen Verstorbener gewonnenen. Auch heute erkranken die Empfänger solcher verunreinigter Wachstumshormone noch an CJK.

Überraschend sind nun die Befunde, dass einige der an CJK Verstorbenen, zusätzlich auch die für die Alzheimer-Krankheit charakteristischen Merkmale im Gehirn zeigen: In einer Arbeit des University College London berichten nun Forscher, die die Gehirne von acht dieser Patienten im Alter zwischen 36 und 51 Jahren untersuchten, dass diese Abeta-Ablagerungen (kurz: Aß-Ablagerungen) im Gehirn hatten. Die schädlichen Ablagerungen waren sowohl in Form von Alzheimer-Plaques als auch als Ablagerungen in den Hirnarterien anzutreffen. Die Arbeit erscheint diese Woche in Nature.

„Derartige Alzheimer-ähnliche Veränderungen sind, vor allem in einem so jungen Alter, extrem selten“, kommentiert Professor Mathias Jucker vom Hertie-Institut für klinische Hirnforschung an der Universität Tübingen und dem Tübinger Standort des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen, in seinen in der gleichen Nature-Ausgabe erscheinenden News & View Artikel, die Arbeit. Bei den untersuchten Probanden lagen keine der bekannten genetischen Risikofaktoren für Alzheimer vor, so der Forscher weiter. Auch war ein für die Alzheimer-Erkrankung typisches Merkmal im Gehirn der Toten nicht zu finden: Die sogenannten Tau-Fibrillen, die aus unauflöslichen, gedrehten Fasern bestehen, die sich im Innern von Hirnzellen finden. Die Vermutung liegt trotzdem nahe, dass die damals verabreichten Wachstumshormone auch mit fehlgefalteten Abeta-Bruchstücken (kurz: Aβ-Seeds/Aβ-Keime) verunreinigt waren. „Diese Hypothese wird dadurch gestützt, dass die Ablagerungen auch in der Hirnanhangsdrüse von Alzheimer-Patienten zu finden sind“, erläutert Jucker. Darüber hinaus gibt er allerdings zu bedenken, dass eine Beobachtungsstudie, wie die der britischen Forscher, noch nicht eindeutig beweisen kann, dass eine Übertragung von Mensch zu Mensch erfolgt ist. Stimmt die Hypothese, erhielten die Betroffenen nicht nur Gewebe von CJK-Kranken, sondern auch von Alzheimer-Patienten. „Im nächsten Schritt müssen unter kontrollierten Bedingungen die zum Teil noch vorhandenen Wachstumshormon-Chargen im Labor analysiert werden“, fordert Jucker.

Die Alzheimer-Erkrankung beginnt, wenn sich ein einzelnes oder wenige Abeta-Proteine falsch falten. In seiner nächsten Umgebung bringt das verformte Eiweiß andere Eiweiße des gleichen Typs ebenfalls dazu sich fehlzufalten. Es wird zum Aggregationskeim, der weitere Keime erzeugt. Am Ende bilden sich unter anderem Ablagerungen aus Abeta, die man im Gehirn von Alzheimerpatienten findet. Experten nennen diesen Mechanismus Prion-Prinzip. Denn auf diesem Mechanismus basieren Prionen-Erkrankungen, wie auch beispielsweise Creutzfeldt-Jakob. Dieser Nachweis gelang bereits vor einigen Jahren im Labor an genetisch veränderten Mäusen. Bisher gab es keinen Nachweis des Prion-Prinzips bei Alzheimer im Menschen. „Auch wenn die Ergebnisse aus dem Labor darauf gedeutet haben. Die Arbeit des University College London könnte nun den ersten Beleg dafür geliefert haben“, so Jucker.

Wie langlebig und resistent diese Alzheimer-Aggregationskeime sind, zeigt Jucker und seine Mitarbeiter in einer aktuellen Arbeit in Nature Neuroscience, die zusammen mit den Nature Arbeiten publiziert wird. Die Publikation könnte außerdem eine erste mechanistische Erklärung für die Befunde der Londoner Forscher liefern. Die Erstautoren der Studie, Lan Ye und Sarah Fritschi, haben dazu Aβ-Aggregationskeime Mäusen ohne Abeta verabreicht. Grund dafür: Die Aβ-Aggregationskeime konnten somit keine Fehlfaltung anstoßen. „Ziel war es herauszufinden, wie lange das sogenannte Alzheimer-Eiweiß im Hirn überlebt. Denn normalerweise werden Proteine nach einer relativ kurzen Zeitspanne vom Körper und Hirn abgebaut“, erläutert Jucker den Versuch. Doch selbst nach sechs Monaten waren Aβ-Aggregationskeime immer noch im Hirn vorhanden. „Auch wenn die Mengen so gering waren, dass sie biochemisch nicht mehr nachweisbar waren, erzeugten Hirnextrakte von diesen Mäusen immer noch die krankmachende Kettenreaktion“, beschreibt Jucker die überraschenden Studienergebnisse. Sechs Monate entsprechen einem Viertel der Maus-Lebensspanne. Auf den Menschen übertragen würde das bedeuten, dass Aβ-Aggregationskeime im Gehirn viele Jahre wenn nicht Jahrzehnte bereits vorhanden sind bevor, sie die eigentliche Erkrankung auslösen.

Originalpublikationen

Evidence for human transmission of amyloid-β pathology and cerebral amyloid angiopathy
Jaunmuktane Z. et al. Nature 525, 247–250 (2015)

Persistence of Aβ seeds in APP null mouse brain
Ye, L. et al. Nature Neurosci. <link http: dx.doi.org nn.4117>dx.doi.org/10.1038/nn.4117 (2015).

Amyloid-β pathology induced in humans
Jucker M. and Walker L. Nature 525, 193-194 (2015)

Dies ist eine gemeinsame Pressemitteilung des Hertie-Instituts für klinische Hirnforschung (HIH), des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), des Universitätsklinikums Tübingen und der Universität Tübingen.

Kontakt:

Hertie-Institut für klinische
Hirnforschung
Silke Jakobi
Leiterin Kommunikation
Telefon +49 7071 29-88800
Telefax +49 7071 29--4796
<link>silke.jakobi[at]medizin.uni-tuebingen.de

<link http: www.hih-tuebingen.de>www.hih-tuebingen.de

Eberhard Karls Universität Tübingen
Hochschulkommunikation
Dr. Karl Guido Rijkhoek
Leitung
Antje Karbe
Pressereferentin
Telefon +49 7071 29-76789
Telefax +49 7071 29-5566
antje.karbe[at]uni-tuebingen.de

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