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17.04.2015

Das Gehirn das Fürchten lehren

Tübinger Wissenschaftler untersuchen Mechanismen der Furcht im Gehirn

„Jemanden das Fürchten lehren“ – das ist keine leere Ausdrucksweise, wie Tübinger Neurowissenschaftler immer klarer erkennen. Eine Forschergruppe um Dr. Ingrid Ehrlich (Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften der Universität Tübingen [CIN] / Hertie-Institut für klinische Hirnforschung [HIH]) studiert Mechanismen des bedingten Lernens auf Zellebene, besonders des emotionalen Gedächtnisses. Nun haben die Wissenschaftler einen großen Schritt hin zum besseren Verständnis von erlernten Furchtreaktionen gemacht. Sie untersuchten bisher wenig erforschte Nervenzellcluster im Gehirn von Mäusen, die ganz ähnlich auch im menschlichen Gehirn vorkommen. Diese Cluster haben beim Erlernen und Verlernen von Furcht eine Art Türsteherfunktion inne. Ihre Ergebnisse veröffentlichen die Tübinger Wissenschaftler kürzlich im renommierten Fachmagazin „Neuron“.

Emotionale Reaktionen, soviel ist schon länger klar, werden vom Gehirn in vielen Fällen erst gelernt. Das geschieht über Konditionierung: Eine Reaktion wird mit einem Reiz verknüpft, der diese Reaktion normalerweise nicht auslösen würde. Bei Pawlows berühmtem Hund etwa wurde immer eine Glocke geläutet, wenn er Futter bekam. Bald begann dem Hund der Speichel zu tropfen, wenn er nur die Glocke hörte. Ähnlich lernt das Gehirn, auf bestimmte Reize hin Furchtreaktionen zu produzieren. Dieser Mechanismus ist speziesübergreifend gleich, was darauf beruht, dass er sich evolutionär als nützlich erwiesen hat: Tiere haben gelernt, vor bestimmten Dingen auf der Hut zu sein, sich davor zu erschrecken und instinktiv das Richtige zu tun: Abstand halten.

Weniger hilfreich ist der Automatismus der Furcht dagegen für Menschen, die unter posttraumatischen Belastungsstörungen oder anderen Angststörungen leiden. Schweißausbrüche, Panikattacken, Schlaflosigkeit – diese Symptome zerstören Lebensqualität. Neurowissenschaftler versuchen daher, ein tieferes Verständnis dafür zu gewinnen, was im Gehirn passiert, wenn es das Fürchten lernt. Denn einmal antrainierte Furcht kann modifiziert und abgeschwächt werden – „Extinktionslernen“ nennen das Psychologen.


Im menschlichen Gehirn ist ein vergleichsweise winziger Bereich für die emotionale Bewertung von Sinneseindrücken verantwortlich: Diesen „emotional tag“ bekommt die Wahrnehmung von der Amygdala verpasst, einer Region des Temporallappens, die wegen ihrer Größe und Form auf Deutsch „Mandelkern“ heißt. Innerhalb der Amygdala wird auch Furcht erlernt – und Furchtgedächtnis modifiziert. Wenn bestimmte Kombinationen von Sinnesreizen die Amygdala erreichen, werden exzitatorische Neuronen (Nervenzellen, die viele andere Nervenzellen erregen) in der Basolateralen Amygdala (BLA) angeregt. Diese senden einen Impuls in die Zentrale Amygdala, von wo die Angstreaktion in andere Hirnbereiche geschickt wird. Geschieht das oft hintereinander, verstärkt sich die Erregbarkeit und Vernetzung dieser Neuronen.

Die Tübinger Wissenschaftler um Ingrid Ehrlich untersuchten nun bestimmte an die BLA angelagerte Nervenzellcluster, die sogenannten medial-paracapsularen intercalierten Zellen (mpITCs). Sie konnten erstmals nachweisen, dass die mpITCs nicht nur exzitatorische Reize aus der BLA, sondern auch direkt Sinnesreize empfangen. Die mpITCs senden daraufhin je nach eintreffendem Sinnesreiz einen inhibitorischen (hemmenden) Impuls an die exzitatorischen Zellen in der BLA und gleichzeitig an die Zentrale Amygdala. Mehr noch: Je nachdem, wie die eintreffenden Sinnesreize beschaffen sind, kann die Inhibition durch die mpITCs verschieden ausfallen. Sie sind damit eine Art Relaisstation, die positives oder negatives Feedback gibt – eine Instanz, die auf die Unmittelbarkeit und Stärke einer erlernten Angstreaktion großen Einfluss ausüben kann. Kurz gesagt: Die mpITCs sind die Türsteher der Furcht.

Was bedeutet das nun für Angsthasen? „Wie bei allen Lernprozessen sind auch das Furcht-Lernen und die Extinktion sehr kompliziert“, so Ehrlich. „Hätten wir nur einen simplen Mechanismus, könnte man bei der Entwicklung zukünftiger Behandlungsmethoden genau dort ansetzen. Aber so einfach ist es eben nicht.“ Doch die Wissenschaftlerin ist zuversichtlich: „Wir fangen gerade an, sehr viel zu verstehen, das bis vor Kurzem noch völlig unklar war.“ Dementsprechend schlägt das Thema in der Fachwelt gerade Wellen. Fast zeitgleich mit der Tübinger Arbeitsgruppe hat auch ein Forscherteam in Australien eine ähnliche Studie abgeschlossen. „Es ist fast ein bisschen ein Wettlauf“, meint Ehrlich, „aber ich freue mich richtig darüber!“

Publikation:

Douglas Asede, Daniel Bosch, Andreas Lüthi, Francesco Ferraguti, Ingrid Ehrlich: Sensory Inputs to Intercalated Cells Provide Fear-Learning Modulated Inhibition to the Basolateral Amygdala. Neuron (2015), 2. April 2015 (online-Publikation), 22. April 2015 (Print-Publikation).
<link http: dx.doi.org j.neuron.2015.03.008>dx.doi.org/10.1016/j.neuron.2015.03.008

Pressekontakt CIN:

Dr. Paul Töbelmann, Wissenschaftskommunikation
Werner-Reichardt-Centrum für Integrative Neurowissenschaften (CIN)
Tel.: +49 7071 29-89108
<link>paul.toebelmann[at]cin.uni-tuebingen.de
<link http: www.cin.uni-tuebingen.de>www.cin.uni-tuebingen.de

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Leiterin Kommunikation
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Telefon +49 7071 29-88800
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<link>silke.jakobi[at]medizin.uni-tuebingen.de
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Hochschulkommunikation
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Pressereferentin
Telefon +49 7071 29-76789
Telefax +49 7071 29-5566
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