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09.12.2020
eROSITA findet riesige Blasen im Halo der Milchstraße
Großräumige Strukturen aus heißem Gas über- und unterhalb der galaktischen Scheibe sind wahrscheinlich auf Schockwellen zurückzuführen, die von früheren, energiereichen Ausbrüchen im Innern unserer Milchstraße stammen.
Die erste vollständige Himmelsdurchmusterung mit dem Röntgenteleskop eROSITA an Bord des SRG-Observatoriums hat eine große Struktur in der Milchstraße aufgezeigt, die wie eine gigantische Sanduhr aussieht. Diese "eROSITA-Blasen" zeigen eine verblüffende Ähnlichkeit mit den Fermi-Blasen, die vor einem Jahrzehnt bei noch höheren Energien entdeckt wurden. Die wahrscheinlichste Erklärung für diese Gasblasen ist, dass vor langer Zeit aus dem galaktischen Zentrum ein massiver Energieeintrag in die heiße Gashülle um unsere Galaxie stattfand, der zu riesigen Schockwellen führte.
Astronomen haben in der ersten vollständigen Himmelskarte des Röntgenteleskops eROSITA an Bord des SRG-Observatoriums eine auffallende Entdeckung gemacht: eine riesige kreisrunde Struktur aus heißem Gas unterhalb der Milchstraßenebene, die den größten Teil des südlichen Himmels einnimmt. Eine ähnliche Struktur am Nordhimmel, der sogenannte Nordpolar-Sporn, ist seit langem bekannt und man nahm an, dass er von einer frühen Supernova-Explosion stammte. Zusammengenommen scheinen die nördliche und die südliche Struktur stattdessen beide aus dem galaktischen Zentrum auszutreten und erinnern in ihrer Form an eine Sanduhr.
„Dank seiner Empfindlichkeit sowie Energie- und Winkelauflösung kann eROSITA den gesamten Röntgenhimmel mit bisher unerreichter Tiefe kartieren und so auch die südliche Blase eindeutig nachweisen“, erklärt Michael Freyberg, der als Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE) schon viele Jahre an eROSITA arbeitet. Das Röntgenteleskop durchmustert alle sechs Monate den gesamten Himmel, und die Daten ermöglichen es den Wissenschaftlern, nach großräumigen Strukturen zu suchen.
Scharfe Grenzflächen
Die Röntgenemission, die von eROSITA in seinem mittleren Energieband (0,6-1,0 keV) beobachtet wird, zeigt, dass die Blasen eine Ausdehnung von mehreren Kiloparsec (oder bis zu 50.000 Lichtjahren) im Durchmesser haben, und damit fast so groß sind wie die Milchstraße selbst. Diese ‚eROSITA-Blasen‘ zeigen auffallende morphologische Ähnlichkeiten mit den bereits bekannten ‚Fermi-Blasen', die das Fermi-Teleskop im Bereich der Gammastrahlen entdeckte, sie sind aber größer und energiereicher.
„Die scharfen Grenzflächen dieser Blasen laufen höchstwahrscheinlich entlang von Schockwellen, die durch einen massiven Energieeintrag aus dem Innern unserer Galaxie in den galaktischen Halo verursacht wurden“, führt Peter Predehl aus, der Erstautor des Nature-Artikels. „Solch eine Erklärung wurde bereits früher für die Fermi-Blasen vorgeschlagen; mit eROSITA ist jetzt ihr volles Ausmaß und ihre Morphologie offensichtlich geworden.“
Diese Entdeckung wird den Astronomen helfen, den kosmischen Kreislauf der Materie in und um die Milchstraße und andere Galaxien zu verstehen. Der größte Teil der gewöhnlichen (baryonischen) Materie im Universum ist für unsere Augen unsichtbar; alle Sterne und Galaxien, die wir mit optischen Teleskopen beobachten, machen weniger als zehn Prozent ihrer Gesamtmasse aus. Man nimmt an, dass sich riesige Mengen unbeobachteter baryonischer Materie in den Halos mit geringer Dichte befinden, die die Galaxien und die Filamente im kosmischen Netz wie Kokons umgeben. Diese Halos sind heiß, mit einer Temperatur von Millionen von Grad, und daher nur für Teleskope sichtbar, die energiereiche Strahlung nachweisen können.
Enorme Energiefreisetzung
Die Blasen, die eROSITA jetzt gefunden hat, zeigen Störungen in dieser heißen Gashülle um unsere Milchstraße auf, die entweder durch eine Periode intensiver Sternentstehung oder durch einen Ausbruch aus dem supermassereichen Schwarzen Loch im galaktischen Zentrum verursacht wurden. Auch wenn das Schwarze Loch sich jetzt ruhig verhält, könnte es in der Vergangenheit durchaus aktiv gewesen sein, ähnlich wie man es bei aktiven Galaxienkernen (AGN) mit stark wachsenden Schwarzen Löchern in fernen Galaxien beobachten kann. In beiden Fällen muss die Energie, die für die Entstehung dieser riesigen Blasen nötig ist, enorm gewesen sein, mit 10^56 erg entspricht dies in etwa der Energie, die bei 100.000 Supernovae freigesetzt wird, und ist damit in einer ähnlichen Größenordnung wie Schätzungen anderer AGN-Ausbrüche.
„Die Narben, die solche Ausbrüche hinterlassen, brauchen sehr lange, um in diesen Halos zu heilen“, fügt eROSITA-Projektwissenschaftler Andrea Merloni hinzu. „Die Wissenschaftler haben lange und bei vielen Galaxien nach den gigantischen Signaturen solch gewalttätiger Aktivitäten in der Vergangenheit gesucht.“ Die eROSITA-Blasen liefern jetzt ein starkes Indiz für großräumige Wechselwirkungen zwischen dem Galaxienkern und dem Halo um die Galaxie. Diese Prozesse sind dabei energiereich genug, um die Struktur, den Energiegehalt und die chemische Anreicherung des zirkumgalaktischen Mediums der Milchstraße zu stören.
„eROSITA schließt derzeit die zweite Durchmusterung des gesamten Himmels ab und verdoppelt damit die Anzahl der Röntgenphotonen, die von den entdeckten Blasen kommen“, betont Rashid Sunyaev, wissenschaftlicher Leiter des SRG-Observatoriums in Russland. „Wir haben noch enorm viel Arbeit vor uns, denn die eROSITA-Daten ermöglichen es uns, viele Röntgen-Spektrallinien zu identifizieren, die von dem hoch ionisierten Gas emittiert werden. Das bedeutet, dass wir nicht nur die Fülle der chemischen Elemente, den Grad ihrer Ionisierung, die Dichte und Temperatur des emittierenden Gases in den Blasen untersuchen können, sondern wir können auch die Orte der Schockwellen identifizieren und charakteristische Zeitskalen abschätzen.“
Beteiligung der Universität Tübingen
Das Institut für Astronomie und Astrophysik (IAAT) der Universität Tübingen ist eine der Kerneinrichtungen des deutschen eRosita-Konsortiums; es war an der Entwicklung der sieben Kameras des Teleskops beteiligt sowie an wissenschaftlichen Aktivitäten vor dem Start der Mission. Dazu gehörten die Einschätzung des Hintergrunds der Umlaufbahn und Simulationen des aktiven Teleskopbetriebs. Seit dem Start der Himmelsdurchmusterung haben Tübinger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Analyse der eintreffenden Daten mitgearbeitet. Sie konzentrierten sich dabei auf Objekte der Milchstraße wie Neutronensterne, Schwarze Löcher, Supernova-Überreste und natürlich auch die neu entdeckten eRosita-Blasen.
„Wir stehen bei der detaillierten Erforschung dieser riesigen Strukturen erst ganz am Anfang, und jeder Tag, an dem die Himmelsdurchmusterung weiter geht, liefert uns neue Informationen. Bald werden wir die physikalischen Bedingungen in verschiedenen Teilen der Blasen untersuchen können. Das ist nur durch eRosita möglich und wird uns hoffentlich helfen, die Gegenwart und Vergangenheit unserer eigenen Galaxie sowie anderer Galaxien besser zu verstehen“, sagt der Wissenschaftler am IAAT Victor Doroshenko. „Was mich an den neu entdeckten Strukturen am meisten überrascht ist, wie immens groß sie sind und dass sie so lange unbemerkt blieben.“ Das liege daran, dass nur ein Röntgenteleskop, das den ganzen Himmel absucht, eine solch riesige Struktur habe sichtbar machen können. „Wir stehen vor enormen technischen Herausforderungen, die erst seit Kurzem überwindbar sind. Doch selbst jetzt erfordern Projekte dieser Größenordnung gemeinsame Anstrengungen vieler Einrichtungen und Nationen“, sagt Doroshenko und setzt hinzu: „Ich bin froh, dass das Tübinger IAAT ganz vorne mit dabei ist.“
Weitere Informationen:
Das Röntgenteleskop eROSITA ist am 13. Juli 2019 an Bord der Mission Spektr-RG ins All gestartet. Seine große Sammelfläche und sein weites Sichtfeld sind für eine tiefe Durchmusterung des gesamten Himmels im Röntgenbereich ausgelegt. Über sechs Monate hinweg (Dezember 2019 – Juni 2020) hat SRG/eROSITA die erste Durchmusterung des gesamten Himmels bei Energien von 0,2-8 keV abgeschlossen. Dies ist deutlich tiefer als die einzige bisher existierende Durchmusterung des gesamten Himmels mit einem Röntgenteleskop, die 1990 von ROSAT bei Energien von 0,1-2,4 keV durchgeführt wurde.
Bei einer vorläufigen Analyse der Himmelskarte der ersten eROSITA-Durchmusterung wurden mehr als eine Million Röntgenpunktquellen und etwa 20.000 ausgedehnte Quellen nachgewiesen. Dies ist vergleichbar mit der Gesamtzahl der vor eROSITA bekannten Röntgenquellen und könnte diese sogar übertreffen. Etwa 80 Prozent der Punktquellen sind weit entfernte Aktive Galaktische Kerne (AGN), aber es gibt auch etwa 20 Prozent Sterne mit einer heißen Corona in der Milchstraße, darunter etwa 150 Sterne, um die Planeten kreisen.
Publikation:
P. Predehl et al. and the eROSITA collaboration: Detection of large-scale X-ray bubbles in the Milky Way halo. Nature, 9. Dezember 2020, https://doi.org/10.1038/s41586-020-2979-0
Kontakt:
Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik
Dr. Andrea Merloni
Telefon +49 89 30000-3893
amspam prevention@mpe.mpg.de
Dr. Peter Predehl
Telefon +49 89 30000-3505
ppredehlspam prevention@mpe.mpg.de
Dr. Michael Freyberg
Telefon +49 89 30000-3849
mjfspam prevention@mpe.mpg.de
Dr. Kirpal Nandra
Telefon +49 89 30000-3401
knandraspam prevention@mpe.mpg.de
Universität Tübingen
Dr. Victor Doroshenko
Institut für Astronomie and Astrophysik
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doroshvspam prevention@astro.uni-tuebingen.de
Pressekontakt:
Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik, Garching
Öffentlichkeitsarbeit
Dr. Hannelore Hämmerle
Telefon +49 89 30000-3980
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Eberhard Karls Universität Tübingen
Hochschulkommunikation
Dr. Karl Guido Rijkhoek
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