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20.04.2015
Forscher prüfen, ob das Neutrino beim Einfang eines Elektrons sein Gewicht verraten wird
Tübinger Physiker und sein slowakischer Kollege halten nach neuen Berechnungen die Lösung einer großen Frage der Elementarteilchenphysik für möglich
In der Elementarteilchenphysik untersuchen Wissenschaftler, aus welchen kleinsten, nicht weiter in Untereinheiten zerlegbaren Teilchen die Materie besteht und wie diese miteinander wechselwirken. In der Teilchenphysik sind mehr als 60 Arten solcher fundamentalen Bestandteile bekannt. Eines der größten noch offenen Probleme in diesem Bereich ist die Bestimmung der Masse des Neutrinos. Neutrinos sind elektrisch neutral und treten, wie alle Teilchen ihrer Gruppe der Leptonen, stets mit ihrem Gegenstück, dem Antineutrino, auf. Neutrinos werden zum Beispiel bei bestimmten radioaktiven Zerfällen chemischer Elemente zusammen mit einem Elektron ausgesendet. In einer Kooperation mit Heidelberger und Mainzer Wissenschaftlern haben die Professoren Amand Fäßler und Josef Jochum von der Universität Tübingen bereits mit den theoretischen und praktischen Vorbereitungen für ein Experiment begonnen, das die Wissenslücke der Teilchenphysik schließen soll. Daraus ist auch eine Forschergruppe der Deutschen Forschungsgemeinschaft hervorgegangen, die unter Führung der Universität Heidelberg seit April 2015 für drei Jahre mit rund zwei Millionen Euro gefördert wird („Neutrino Mass Determination by Electron Capture in Holmium-163 – ECHo“).
An der Durchführbarkeit der geplanten Messung der Neutrinomasse hatte jedoch kürzlich ein Forscher der Universität in Seattle prinzipielle Zweifel angemeldet. Professor Amand Fäßler vom Institut für Theoretische Physik der Universität Tübingen und sein Kollege Professor Fedor Simkovic von der Comenius Universität im slowakischen Bratislava haben die geplante Massebestimmung des Neutrinos daraufhin in einer theoretischen Untersuchung neu berechnet und halten den eingeschlagenen Weg weiterhin für gangbar. Der Bestimmung der Neutrinomasse sind sie damit wieder ein großes Stück nähergekommen. Ihre Studie wurde kürzlich in der Fachzeitschrift Physical Review veröffentlicht.
Den Forschern ist bereits bekannt, dass die Masse des Neutrinos im Verhältnis zu der anderer Elementarteilchen sehr gering sein muss. Die Forscher wählten daher als Messmodell einen Atomzerfall, der mit einer geringen Übergangsenergie verbunden ist, sodass die Masse des Neutrinos stärker ins Gewicht fällt. Ausgangselement ist Holmium mit der Ladungszahl 67 und der Massenzahl 163 (Anzahl der Protonen und Neutronen im Kern). „Natürliche Vorkommen dieses Holmiumisotops sind längst zerfallen, es wird am Mainzer Institut für Kernchemie aufwendig künstlich hergestellt“, erklärt Professor Amand Fäßler. Im Experiment soll ein positiv geladenes Proton im Kern des Holmiums eines seiner atomaren, negativ geladenen Elektronen einfangen. Dadurch wird es zu einem Neutron neutralisiert, gleichzeitig wird ein Neutrino emittiert. „Die Massenzahl 163 bleibt gleich, da die Summe der Protonen und Neutronen im Kern konstant ist. Doch die Kernladung wird von 67 auf 66 reduziert. Holmium geht in einen angeregten Zustand seines Tochterelements Dysprosium über“, sagt Fäßler.
Bei der Umwandlung ergibt sich eine geringe Massendifferenz und damit nach Einstein frei werdende Energie, die sich auf die Anregung von 163-Dysprosium und das emittierte Neutrino verteilt. „Das Neutrino muss zumindest die Energie wegnehmen, die seiner Ruhemasse entspricht“, erklärt der Physiker. „Die obere Energie des Zerfalls des angeregten Dysprosiums ist daher die Energiedifferenz der Atome Holmium und Dysprosium minus der Ruhemasse des Neutrinos, die sich hierdurch bestimmen lässt.“ Allerdings müssen die Wissenschaftler sehr präzise arbeiten, denn sie erwarten, dass die Neutrinomasse vielleicht nur etwa ein Dreißigtausendstel dieser Massendifferenz ausmacht. Just an dieser Stelle setzte die Kritik von Professor Hamish Robertson von der University Seattle an: Er behauptete, dass eine komplizierte Anregung vom Typ zweier Elektronenlöcher in Dysprosium es unmöglich mache, die Form des Emissionsspektrums am oberen Ende genau genug zu bestimmen.
„Damit wären große Anstrengungen unserer Kooperationsarbeit und der von weiteren Gruppen, zum Beispiel in Genua und Los Alamos in den USA, wertlos geworden“, erklärt Fäßler. In den nun veröffentlichten neuen theoretischen Berechnungen konnten er und sein Kollege Fedor Simkovic jedoch zeigen, dass das obere Ende des Spektrums der Abregung von Dysprosium nicht wesentlich durch die Zwei-Elektronen-Loch-Anregungen beeinflusst wird. Sie halten die Bestimmung der Masse des Neutrinos für möglich.
Publikation:
A. Faessler, F. Simkovic: Improved description of one- and two-hole excitations after electron capture in 163Ho and the determination of the neutrino mass. Phys. Rev. C91, 045505 (April 2015).
Kontakt:
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Universität Tübingen
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