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15.06.2016

Plädoyer für neuen Freiheitsbegriff

Professor Claus Dierksmeier für Besinnung auf qualitative Aspekte von Freiheit – Selbstbestimmung als zentrale Größe

Professor Claus Dierksmeier. Foto: Universität Tübingen / Friedhelm Albrecht

Der Tübinger Philosoph Professor Claus Dierksmeier hat eine Neudefinition des Freiheitsbegriffs in der philosophischen und politischen Debatte gefordert. „Globale Krisen und Probleme treiben die Menschen dazu, nach gemeinsamen Lösungen zu suchen. Die Durchsetzung jener Lösungen erfordert jedoch oftmals globale Institutionen; und diese Institutionen können ihrerseits häufig nur effizient arbeiten, wenn sie auf einem Fundament geteilter Werte aufruhen“, erklärt Dierksmeier in seinem neuen Buch „Qualitative Freiheit – Selbstbestimmung in weltbürgerlicher Verantwortung“.

Notwendig sei für die Zukunft eine globale Ethik und für diese sei die Idee der Freiheit zentral: „Im Reigen aller global vertretenen Werte kommt der Freiheit eine Sonderrolle zu“, betont Dierksmeier, der auch Direktor des Tübinger Weltethos-Instituts ist. Zwar gebe es Kulturen, die sich ihrem expliziten Selbstverständnis nach nicht auf die Idee der Freiheit stützten. „Doch als Selbstbestimmung nehmen Freiheit implizit alle in Anspruch; sogar und gerade dann, wenn sie Freizügigkeit in der eigenen Lebensführung ablehnen.“ Auch Individuen und Gruppen, die sich gänzlich illiberalen Lebensmodellen verschrieben, legten Wert darauf, dies autonom zu tun.

Dierksmeier plädiert für den Begriff einer „qualitativen Freiheit“, die er der rein „quantitativen Freiheit“ gegenüberstellt. „Die moderne Welt ist gekennzeichnet durch einen sprunghaften Anstieg von Freiheitsoptionen“, erklärt Dierksmeier: „Die globalisierte und zunehmend digitalisierte Welt bietet nahezu unbegrenzte Informations-, Konsum- und Reisemöglichkeiten. Dennoch stoßen wir vielerorts auf ein großes Unbehagen angesichts der Folgen und Begleiterscheinungen dieser primär quantitativen Zunahme von Freiheit.“ Die Frage nach der Qualität von Freiheit müsse neu gestellt werden: „Freiheit kann nicht schlicht mit der schieren Anzahl von Wahlmöglichkeiten identifiziert werden.“ Während es quantitativ gedachter Freiheit auf ein „je mehr, desto besser“ an Freiheitsoptionen ankomme, setze qualitativ ausgerichtete Freiheit ihren Akzent auf ein „je besser, desto mehr“.

„Quantitative Freiheit umschreibt ein maximierendes Grundanliegen, dem es um die höchstmögliche Anzahl oder die größtmögliche Ausdehnung individueller Wahlmöglichkeiten geht“, sagt Dierksmeier, den die Universität Tübingen vor kurzem auf eine Professur für Globalisierungs- und Wirtschaftsethik berufen hat. „Die Idee der qualitativen Freiheit will uns demgegenüber für das notwendige Bewerten, Schaffen und Verändern jener Möglichkeiten sensibilisieren: einige sollten wir besonders fördern, andere weniger.“ Die Selbstbestimmung aller Menschen – auch weit entfernt lebender sowie zukünftiger Generationen – sei dabei „Grund und Ziel der Idee der qualitativen Freiheit“.

Der Direktor des Weltethos-Instituts macht die einseitige Fixierung des Freiheitsbegriffs auf rein quantitative Wahlmöglichkeiten für die Krise des politischen Liberalismus in vielen Staaten mitverantwortlich: „Nicht nur hinsichtlich liberaler Politik besteht derzeit eine wachsende Skepsis“, erklärt Dierksmeier. „Auch an der Philosophie der Freiheit selbst werden Zweifel angemeldet. Das politische und das philosophische Problem hängen zusammen.“ Die Unfähigkeit des politischen Liberalismus, sich zu drängenden sozialen und ökologischen Herausforderungen klar zu positionieren, habe auch mit der Verwirrung über den eigentlichen Gehalt der Freiheitsidee zu tun. „Kritische Stimmen inmitten unserer offenen Gesellschaften und extremere Stimmen von außen vertreten, dass ohne anspruchsvolle normative Ziele das Säurebecken kapitalistischer Kulturen das liberale Ideal zu einer Vielzahl hedonistischer Idole zersetzt: Freiheit verdampft zur Konsumfreiheit.“

Dem setzt Dierksmeier ein an nachhaltiger Freiheit orientiertes Ideal entgegen: „Freiheit verpflichtet – Verantwortung befreit; denn nur wo Freiheit sich bewährt, wird sie bewahrt.“ Darum stellt er klar: „Soziale Gerechtigkeit ist liberal, wo sie Voraussetzungen schafft, dass Menschen ihre Autonomie in menschenwürdiger Weise ausüben können. Nachhaltigkeit ist liberal, wann immer sie dazu beiträgt, dass alle Menschen – auch zukünftige – reale Lebenschancen erhalten. Und auch das konservative Eintreten für Werte und Tugenden ist liberal, wo es die Bereitschaft zur Selbstbeschränkung stärkt sowie unsere Fähigkeit, in Teams, Gruppen und Gesellschaften mit Differenzen friedlich umzugehen, sich und die eigenen Ansprüche zu mäßigen, tolerant, kooperativ und höflich zu sein.“

Publikation:

Claus Dierksmeier: „Qualitative Freiheit. Selbstbestimmung in weltbürgerlicher Verantwortung.“ Bielefeld 2016.

Kontakt:

Prof. Dr. Claus Dierksmeier
Weltethos-Institut
An-Institut der Universität Tübingen
Hintere Grabenstrasse 26
D-72070 Tübingen
Telefon: +49 7071/5 49 40 30
<link>clausdierksmeier[at]gmail.com

<link http: www.weltethos-institut.org institut>www.weltethos-institut.org/institut/
<link https: www.facebook.com cdierksmeier>www.facebook.com/cdierksmeier/

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