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09.06.2015

Schule oder Schülerlabor? Lernort für guten naturwissenschaftlichen Unterricht nicht entscheidend

Studie der Tübinger Bildungsforschung untersucht, wie sich Schülerlabore auf die Motivation und Kompetenzen auswirken

Schülerlabore steigern nicht unbedingt die Leistung von Schülern in Fächern wie Physik oder Chemie ‒ aber sie können bei Schülern das Interesse an naturwissenschaftlichen Themen zu wecken. Zu diesem Ergebnis kommt eine gemeinsame Untersuchung des Hector-Instituts für Empirische Bildungsforschung der Universität Tübingen und der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. Sie belegt die Annahme, dass Schüler sich leichter begeistern lassen, wenn sie sich aktiv mit naturwissenschaftlichen Inhalten auseinandersetzen. Der Lernort ist dafür allerdings nicht von ganz so großer Bedeutung wie oft vermutet. Problembasiertes Lernen und guter Unterricht lassen sich ähnlich erfolgreich wie im Schülerlabor auch in der Schule umsetzen.

In ihrer Studie verglichen die Wissenschaftler um Dr. Heike Itzek-Greulich und Professor Ulrich Trautwein die Effekte dreier Lernumgebungen: dem Schülerlabor, der Schule und einer Kombination aus beidem. Zentrale Ergebnisse der Studie zu den Schülerleistungen wurden nun in der internationalen Fachzeitschrift „Learning and Instruction“ veröffentlicht.

Ziel war, herauszufinden, ob es der Besuch im Schülerlabor an sich ist, der sich positiv auf Leistung und Motivation der Schüler auswirkt, oder die Möglichkeit, aktiv zu experimentieren. Dazu wurde eine praktisch orientierte Unterrichtseinheit zum Thema Stärke entwickelt, die anschließend in den drei Lernumgebungen über acht Schulstunden unterrichtet wurde. Einer weiteren so genannten Kontrollgruppe wurde die eigens für die Studie konzipierte Unterrichtseinheit nicht erteilt. An der Studie nahmen 68 Realschulklassen der neunten Jahrgangsstufe aus Baden-Württemberg teil. Kompetenzen und Motivation der rund 1800 Schüler wurden zu Beginn und am Ende der Studie mit Leistungstests und Fragebögen erfasst.

Die Ergebnisse zeigen, dass der Lernort selbst keine entscheidende Auswirkung auf den Lernerfolg hatte. Vielmehr kommt es darauf an, wie Unterrichtsinhalte vermittelt werden. Die Leistungen der Versuchsgruppen unterschieden sich nicht signifikant – gleich, ob die Schüler sowohl im Labor als auch in der Schule unterrichtet wurden oder nur im Schülerlabor oder nur in der Schule. Allerdings lernten alle drei Gruppen mehr als diejenigen Klassen, bei denen die Unterrichtseinheit „Starke Stärke“ gar nicht durchgeführt wurde. Können sich Schüler selbstständig mit einem Thema auseinandersetzen und praktisch arbeiten, wie in der Unterrichtseinheit der Fall, lässt sich ein Großteil der Ziele des Schülerlabors auch im regulären Unterricht realisieren.

Unterschiede zwischen den drei Lernumgebungen stellten die Bildungsforscher jedoch im Hinblick auf die Motivation fest. Praktisch orientierter Unterricht weckt sowohl im Schülerlabor als auch in der Schule die Neugier der Jugendlichen und regt sie zum selbstständigen Entdecken an. Die Ergebnisse deuten aber darauf hin, dass ein Besuch im Schülerlabor die Motivation auch nachhaltig fördert. Schüler, die im Schülerlabor oder in Schule und Schülerlabor unterrichtet wurden, veränderten langfristig ihre Sicht auf das Fach Chemie und zeigten eine erhöhte Anstrengungsbereitschaft. Im Kontext der MINT-Förderung könnten Schülerlabore also bei richtiger Einbindung in den Schulunterricht helfen, akademische Entscheidungen von Jugendlichen zugunsten der naturwissenschaftlichen Fächer zu beeinflussen.

Schülerlabore wurden in den vergangenen Jahren verstärkt in Forschungsinstitutionen oder Industriebetrieben eingerichtet. Diese außerschulischen Lernorte sollen Schülern die selbstständige Auseinandersetzung mit moderner Wissenschaft ermöglichen und Labore mit aufwändiger Ausrüstung zur Verfügung stellen. Da sich Laborarbeit generell positiv auf Interesse und Leistung auswirkt, so der Befund bisheriger Studien, geht man davon aus, dass auch durch einen Besuch im Schülerlabor Motivation und Lernerfolg ansteigen. Bisher gab es seitens der Forschung aber überraschend wenige oder nur begrenzt belastbare Belege für die positiven Effekte von Schülerlaboren im Vergleich zu „normalem“ Schulunterricht.

„Unsere Untersuchung macht deutlich, dass Angebote zur MINT-Förderung stets kritisch untersucht werden sollten“, so Dr. Heike Itzek-Greulich, die mit der Studie im Rahmen des Kooperativen Promotionskollegs der Universität Tübingen und der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg promovierte. „Schülerlabore haben großes Potenzial – aber man muss ihre Einbindung in den regulären Unterricht besser überdenken.“

„Effektive naturwissenschaftliche Lernarrangements sind tendenziell lernortunabhängig“, ergänzt Dr. Barbara Flunger, Mitautorin der Studie. „Unsere Studie deutet darauf hin, dass es für Schüler nicht so wichtig ist, wo sie lernen. Zentral für den Lernerfolg ist vielmehr die Qualität des Unterrichts, wobei die Durchführung von Experimenten eine wichtige Rolle spielt.“

„Leider wird bei der MINT-Förderung oft mehr versprochen als gehalten“, sagt Professor Ulrich Trautwein, Direktor des Hector-Instituts für Empirische Bildungsforschung. „Wissenschaftler können dabei helfen, aus einem Laborbesuch mit reinem Ausflugscharakter ein wirklich sinnvolles pädagogisches Angebot zu machen.“

Originalpublikation:

Itzek-Greulich, H., Flunger, B., Vollmer, C., Nagengast, B., Rehm, M. & Trautwein, U. (2015). Effects of a science center outreach lab on school students' achievement – Are student lab visits needed when they teach what students can learn at school? Learning and Instruction, 38, 43-52. doi:10.1016/j.learninstruc.2015.03.003

Kontakt:

Prof. Dr. Ulrich Trautwein
Universität Tübingen
Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung
Exzellenz-Graduiertenschule LEAD
Telefon +49 7071 29-73931
<link mail ein fenster zum versenden der>ulrich.trautwein[at]uni-tuebingen.de

<link http: www.hib.uni-tuebingen.de>www.hib.uni-tuebingen.de
<link http: www.lead.uni-tuebingen.de>www.lead.uni-tuebingen.de

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Hochschulkommunikation
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