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10.02.2016
Was Fische dazu treibt, die eigenen Eier aufzufressen
Tübinger Forscher untersuchen den Einfluss individueller Eigenschaften von männlichen Strandgrundeln auf ihr Verhalten beim Brutkannibalismus
Viele Tiere unternehmen große Anstrengungen, um ihrem Nachwuchs das Überleben zu sichern. Dennoch fressen bei manchen Arten die Eltern regelmäßig einen Teil oder sogar alle ihrer eigenen Nachkommen auf. Dafür lassen sich nicht immer äußere Faktoren wie etwa eine plötzliche Nahrungsknappheit ausmachen. Brutkannibalismus ist daher ein rätselhaftes Phänomen. Nun sind Martin Vallon und Dr. Katja Heubel vom Institut für Evolution und Ökologie der Universität Tübingen Beobachtungen nachgegangen, wonach Wesensunterschiede zwischen Individuen bei brutkannibalistischen Arten eine Rolle spielen könnten. Sie untersuchten an Strandgrundeln, einem bis zu sechs Zentimeter langen Meeresfisch, wie sich männliche Individuen bei der Brutpflege gegenüber ihren Eiern verhalten: Die in der Fachzeitschrift Ecology and Evolution veröffentlichten Ergebnisse lassen die Vorhersage zu, dass unter gleichen Umweltbedingungen generell aktivere Individuen auch mehr Eier aus ihren Gelegen fraßen. In einer zweiten Studie, die in der Zeitschrift Behavioral Ecology and Sociobiology erschien, stellten Vallon und Heubel fest, dass Strandgrundelmännchen in einem gemischten Gelege mit jüngeren und weiter entwickelten Eiern deutlich mehr jüngere, weniger wertvolle Eier fressen.
Bei den Strandgrundeln (Pomatoschistus microps) sind nach der Eiablage durch die Weibchen die Männchen für die Brutpflege zuständig. Sie wachen teilweise über mehrere ihrer Gelege von verschiedenen Weibchen, reinigen das Nest und fächeln den Eiern zur besseren Versorgung Sauerstoff zu. Immer wieder lässt sich beobachten, dass sie die sorgfältig umhegten Eier teilweise fressen. Brutkannibalismus kommt häufig bei Fischarten vor, bei denen das Männchen die Nachkommen versorgt. In früheren Untersuchungen versuchten Forscher zu klären, welche äußeren Faktoren Einfluss auf den Zeitpunkt und das Ausmaß der Vernichtung eigener Eier haben. „Verschiedene Annahmen besagen, dass durch den widersinnig wirkenden Kannibalismus geschädigte Eier beseitigt werden könnten oder dass durch die Reduzierung der Zahl das Restgelege besser mit Sauerstoff versorgt wird“, sagt Katja Heubel, „oder das Männchen könnte einen eigenen Nahrungs- und Energiemangel ausgleichen.“ Die Ergebnisse seien nicht eindeutig gewesen. „Meistens nahmen die Forscher an, dass sich alle Fische unter gleichen Bedingungen auch ähnlich verhalten. Das wollten wir in unserer Studie hinterfragen.“
Die Tübinger Forscher untersuchten individuelle männliche Strandgrundeln vergleichend im Zusammenhang mit der Brutpflege und ohne Brutgeschäft. „Individuen mit einem hohen allgemeinen Aktivitätslevel betrieben auch deutlich stärker Brutkannibalismus“, berichtet die Wissenschaftlerin. Sie stellte zusammen mit ihren Kollegen die Hypothese auf, dass der Kannibalismus Teil eines generellen Verhaltensmusters der Fische ist, eine Art überschießender Reaktion, die das Männchen nicht optimal steuern kann. „Allerdings hat ein allgemein aktives Tier in anderen Situationen aber vermutlich Vorteile, sodass das Verhaltensmuster in der Evolution erhalten bleibt“, erklärt Heubel.
Dass der Brutkannibalismus bei den Strandgrundeln nicht in allen Aspekten ungesteuert abläuft, legt die zweite Studie nahe. Die häufiger gefressenen jüngeren Eier sind gegenüber den älteren, weiter entwickelten weniger wertvoll, weil die Männchen mit ihnen noch weniger brutpflegerischen Aufwand hatten und theoretisch jeder weitere Tag Entwicklungsprobleme offenbaren könnte. Die Chancen für den Jungfisch stehen also kurz vor dem Schlupf besser. Umgekehrt sind die jüngeren Eier für das erwachsene Männchen nahrhafter. „Die Fischmännchen haben sich nicht wahllos über die Eier im Gelege hergemacht“, sagt die Wissenschaftlerin. Es sieht so aus, dass hinter dem destruktiv und widersprüchlich wirkenden Brutkannibalismus ein angepasstes Verhaltensmuster stehen könnte.
Strandgrundelväter kümmern sich nicht immer um die Eier in ihrem Nest. Manchmal fressen sie die Brut auch auf. Foto: Martin Vallon |
Publikationen:
Martin Vallon, Christina Grom, Nadine Kalb, Dennis Sprenger, Nils Anthes, Kai Lindström und Katja U. Heubel: You eat what you are: personality-dependent filial cannibalism in a fish with paternal care. Ecology and Evolution, DOI: 10.1002/ece3.1966
Martin Vallon und Katja U. Heubel: Old but gold: males preferentially cannibalize young eggs. Behavioral Ecology and Sociobiology, DOI 10.1007/s00265-016-2074-6
Kontakt:
Dr. Katja Heubel
Universität Tübingen
Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät
Institut für Evolution und Ökologie
Telefon +49 7071 29-74603
<link mail window for sending>katja.heubel[at]uni-tuebingen.de
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