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25.07.2024
Zuwachs im Elfenbeintierpark
Außergewöhnliche eiszeitliche Figur aus Welterbehöhle repräsentiert womöglich die Wassertiere – Tübinger Archäologen mit neuem Fund im Urgeschichtlichen Museum Blaubeuren
Mammut, Wisent, Wildpferd, Höhlenlöwe und Höhlenbär – mehr als 30 figürliche Kunstobjekte aus der Jüngeren Altsteinzeit wurden in den Höhlen der Schwäbischen Alb bei archäologischen Ausgrabungen schon entdeckt. Die Mehrheit bildet imposante Tiere ab, die für die eiszeitliche Steppenlandschaft typisch sind. Jetzt haben Archäologen aus der Welterbehöhle Hohle Fels nahe Schelklingen den Körper einer Figurine aus Mammutelfenbein geborgen, die die Annahme bestätigt, dass die eiszeitliche Elfenbeinkunst vielfältiger war als lange vermutet. Das Team von Professor Nicholas Conard der Abteilung Ältere Urgeschichte und Quartärökologie der Universität Tübingen interpretiert den Fund als Otter und präsentierte die Figur als „Fund des Jahres“ am Donnerstag bei einer Pressekonferenz im Urgeschichtlichen Museum Blaubeuren (urmu). „Unter den eiszeitlichen Kunstfunden der Region gibt es bereits die Figuren zweier Fische und die eines Wasservogels“, sagt Professor Conard, „das neue Stück zeigt, dass sich die Menschen damals viel stärker mit Wassertieren auseinandergesetzt haben, als wir bislang dachten. Schließlich erfordert das Schnitzen eines solchen Stückes aus Elfenbein viel Arbeit sowie detaillierte Kenntnisse des Aussehens und der Eigenschaften des dargestellten Tieres.“
Die Elfenbeinfigurine ist in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg, herausgegeben vom Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg, wissenschaftlich beschrieben. Die Figur wurde in tieferen Schichten der altsteinzeitlichen Kulturstufe des sogenannten Aurignacien geborgen. Somit stammt sie aus dem gleichen Zeithorizont wie die berühmte Venus-Figur und die Flöte aus dem Hohle Fels und ist fast 40.000 Jahre alt, entstanden also in einer Zeit, als die ersten anatomisch modernen Menschen in Europa ankamen. Der aktuelle Fund ist im Gegensatz zu anderen Figurinen nicht mit verzierenden Ritzmustern versehen. Er hat mit 5,9 Zentimetern Länge, 1,5 Zentimetern Höhe und einem halben Zentimeter Breite eine längliche, aber gedrungene Form und einen kurzen, spitz zulaufenden Schwanz. Die Beine des Tiers sind sehr kurz, der Hals dagegen sehr lang. Der Kopf ist abgebrochen und fehlt. „In den vergangenen Jahren ist es uns immer wieder gelungen, nach aufmerksamer Suche Bruchstücke von Funden zu ihrem ursprünglichen Erscheinungsbild zusammenzufügen“, beschreibt Professor Conard die Hoffnung, dass der Kopf noch gefunden werden kann: „Solch fehlende Teile schüren in uns die Erwartung, diese noch irgendwo im Sediment der Höhle auszugraben oder sie unter den geborgenen und noch nicht ausgelesen Funden auszumachen. So könnten wir die Figur ergänzen und verbindlich bestimmen.“
Die Gestalt der kopflosen Elfenbeinfigur aber ist so einzigartig, dass sie die Wissenschaftler darin bestätigt, von der ehemals populären Deutung abzurücken, dass nur große oder gefährliche Tiere in eiszeitlichen Jäger- und Sammlergesellschaften der künstlerischen Darstellung für würdig befunden worden waren. „Wir wissen heute nicht, was die Menschen damals an einem Otter fasziniert haben könnte, aber mit Sicherheit haben sie beobachtet, wie wendig er sich im Wasser bewegt, wie fürsorglich er seinen Nachwuchs aufzieht und welch ein raffinierter Fischjäger er ist“, meint Dr. Stefanie Kölbl, geschäftsführende Direktorin des urmu, wo der Fund nun für die Öffentlichkeit ausgestellt wird. „Dass das Ensemble der Elfenbeintiere jetzt um eine neue, offensichtlich kleinere Tierart angewachsen ist, gibt Raum für neue Überlegungen über den symbolischen Gehalt der Eiszeitkunst.“
Das urmu liegt inmitten der Steinzeithöhlen, die von der UNESCO 2017 zum Welterbe „Höhlen und Eiszeitkunst der Schwäbischen Alb“ ernannt wurden. Das Museum für altsteinzeitliche Kunst und Musik in Baden-Württemberg und Forschungsmuseum der Universität Tübingen erklärt das eiszeitliche Leben der Jäger und Sammler am Rand der Schwäbischen Alb vor 40.000 Jahren. Prominentestes Exponat ist das Original der „Venus vom Hohle Fels“.
Öffnungszeiten: Di bis So und feiertags, 10 bis 17 Uhr – www.urmu.de
Publikationen:
Nicholas J. Conard, Alexander Janas: Funde aus dem Mittelpaläolithikum und eine neue Elfenbeinfigurine aus dem Aurignacien vom Hohle Fels.
In: Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 2023, Juli 2024, S. 58-63
Kontakt:
Prof. Nicholas Conard PhD
Universität Tübingen, Abteilung für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie
Wissenschaftlicher Direktor Urgeschichtliches Museum Blaubeuren
Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment
Telefon +49 7071 29-72416
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Dr. Stefanie Kölbl
Geschäftsführende Direktorin Urgeschichtliches Museum Blaubeuren
Telefon +49 7344 9669 911
koelblspam prevention@urmu.de
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