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27.05.2016

Medikamentöse Destabilisierung eines Proteinkomplexes lässt Lebertumorzellen absterben

Aktuell veröffentlicht in Nature Medicine

Das Leberzellkarzinom stellt weltweit die zweithäufigste Krebstodesursache dar. Während bei vielen anderen Krebserkrankungen die Fortschritte bei der Früherkennung und Behandlung zu einer Senkung der Sterblichkeit geführt haben, ist bei Patienten, die an einem Leberzellkarzinom - auch Hepatozelluläres Karzinom (HCC) genannt - erkrankt sind, weiter eine dramatische Zunahme der Sterblichkeit zu verzeichnen.


Ein Forscherteam um Prof. Lars Zender vom Universitätsklinikum Tübingen konnte nun zeigen, dass das Überleben von Leberzellkarzinomen* von der Intaktheit eines Komplexes aus den beiden Proteinen C-MYC und Aurka abhängt. Die Destabilisierung des Proteinkomplexes wurde in präklinischen Mausmodellen des Leberzellkarzinoms getestet und zeigt herausragende therapeutische Effekte.


Das Protein C-MYC spielt eine zentrale Rolle bei Krebserkrankungen und stand in der Vergangenheit bereits im Fokus der Krebsforschung. Das dazugehörige Gen stellt eines der wichtigsten Krebsgene dar und wird deshalb auch als „onkogener Masterregulator“ bezeichnet. Die Überlebensfähigkeit von mehr als 50 Prozent aller menschlichen Tumore hängt von erhöhten Proteinspiegeln des C-MYC Proteins ab. Deshalb gehen Wissenschaftler davon aus, dass Medikamente, die zu einer Hemmung des C-MYC Proteins führen, einen Durchbruch in der Therapie vieler Krebserkrankungen darstellen könnten. Leider war es jedoch trotz intensiver Forschungsbemühungen bis jetzt nicht möglich, das C-MYC Protein mit Arzneistoffen direkt zu hemmen.


Die jetzt im renommierten Journal Nature Medicine publizierte Arbeit der Tübinger Wissenschaftler beschreibt einen eleganten Ausweg, um die Konzentration des bisher unangreifbaren („undruggable“) C-MYC Proteins in den Krebszellen zu senken. Vereinfacht gesagt wurde dabei der zugänglichere Partner (Aurka) in dem Komplex aus zwei Proteinen so verändert, dass die Verbindung miteinander nicht mehr funktioniert. Der Partner (C-MYC Protein) kann nicht wie bisher andocken, ohne Bindungsmöglichkeit sinkt seine Konzentration in der Tumorzelle, sie stirbt ab.


Im Labor setzt man dazu pharmakologische Hemmstoffe ein, die an das Protein Aurka binden. Dies führt zu einer Konformationsänderung der Proteinstruktur von Aurka und der Komplex zwischen C-MYC und Aurka wird verhindert. Ist das Krebsprotein C-MYC nicht an Aurka gebunden, so kommt es in den Leberkrebszellen zu einem raschen Abfall der C-MYC Proteinlevel und die Tumorzellen sterben.


Die Ergebnisse der Untersuchungen sind positiv: „Unsere Strategie wurde bereits in verschiedenen präklinischen Mausmodellen des Leberzellkarzinoms getestet und zeigte herausragende therapeutische Effekte“, sagt Dr. Daniel Dauch, Erstautor der Studie.


Pharmakologische Hemmstoffe, die Aurka wie oben beschrieben verändern, sollen Patienten mit Leberzellkarzinomen zeitnah am Südwestdeutschen Tumorzentrum des Tübinger Uniklinikums im Rahmen einer klinischen Studie zur Verfügung gestellt werden. Die Überführung der Forschungsergebnisse in eine klinische Anwendung ist in Tübingen besonders effektiv, weil es an der Universität Tübingen ein Zentrum für Akademische Wirkstoffentwicklung (TüCAD2, Tübingen Center for Academic Drug Discovery) gibt. Das Zentrum wird von Prof. Stefan Laufer (Pharmazeutisches Institut) geleitet und beschäftigt sich mit der Entwicklung und Optimierung von Wirkstoffen zur Behandlung von Krebs, Entzündung und anderen Erkrankungen.


* Untersucht wurden Karzinome, die einen Gendefekt im P53 Gen zeigen. P53 ist ein wichtiges Zellprotein, das als Wächter des Genoms bezeichnet wird. In mehr als 50 Prozent aller menschlichen Tumore ist es nicht mehr funktionsfähig.


Titel der Originalpublikation, veröffentlicht in Nature Medicine


A MYC–Aurora kinase A protein complex represents an actionable drug target in p53-altered liver cancer


Daniel Dauch, Ramona Rudalska, Giacomo Cossa, Jean-Charles Nault, Tae-Won Kang, Torsten Wuestefeld, Anja Hohmeyer, Sandrine Imbeaud, Tetyana Yevsa, Lisa Hoenicke, Tatu Pantsar, Przemyslaw Bozko, Nisar P Malek, Thomas Longerich, Stefan Laufer, Antti Poso, Jessica Zucman-Rossi, Martin Eilers & Lars Zender


doi:10.1038/nm.4107


Hintergrund

Leberkrebs ist schwierig zu bekämpfen. Nicht alle Tumoren können durch eine Operation oder die Zerstörung, beispielsweise durch Hitze, behandelt werden. Kann der Leberkrebs weder operativ entfernt noch anderweitig vollständig zerstört werden, sind die Patienten auf eine medikamentöse Therapie angewiesen.


Das Leberzellkarzinom (HCC-Hepatozelluläres Karzinom) stellt weltweit die zweithäufigste Krebstodesursache dar, die Therapiemöglichkeiten sind bis heute eingeschränkt. Die Arbeitsgruppe um Lars Zender sucht in Mausmodellen und an Proben aus menschlichen Tumoren nach neuen therapeutischen Zielstrukturen zur Behandlung des Leberzellkarzinoms. Mit der sogenannten RNA-Interferenz können neue Verwundbarkeiten im Genom der Leberkrebszellen schnell aufgespürt werden. Nach Identifizierung einer neuen Zielstruktur kann durch diese Technik zudem effizient getestet werden, welche Auswirkung die Hemmung des Zielgens auf das Tumorwachstum hat. Ziel der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist es, lebenswichtige zelluläre Prozesse in Tumorzellen zu identifizieren, die für eine innovative Therapie genutzt werden können.


Zur Person


Lars Zender, geboren 1975 in Hannover, war nach Medizinstudium in Hannover und Tätigkeit als Assistenzarzt in der Abteilung für Gastroenterologie Postdoktorand am Cold Spring Harbor Laboratory in New York. Danach leitete er eine Arbeitsgruppe am Helmholtzzentrum für Infektionsforschung in Braunschweig und an der Medizinischen Hochschule Hannover und wurde 2009 auf eine Juniorprofessur für Gastrointestinale Onkologie in Hannover berufen. Seit 2012 hat er eine W3-Professur in Tübingen inne und ist als Oberarzt und Sektionsleiter für Gastrointestinale Onkologie an der Tübinger Medizinischen Universitätsklinik für Gastroenterologie, Hepatologie, Infektionskrankheiten tätig. Er forscht dort an der Entwicklung neuer Methoden zur Behandlung von Tumorerkrankungen des Magen-Darmtraktes und des Leberversagens. Ein besonderer Schwerpunkt dieser Forschung besteht in der Identifizierung neuer Krebsgene, welche an der Entstehung von Tumoren des Magen-Darm-Trakts beteiligt sind und zur Entwicklung effektiver neuer Tumortherapien genutzt werden können. Zender wurde im März 2013 mit dem Deutschen Krebspreis der Deutschen Krebsgesellschaft ausgezeichnet. 2014 erhielt er den mit 2,5 Millionen Euro dotierten Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Damit zählt der Tübinger Gastroenterologe zur deutschen Forschungs-Elite.


Medienkontakt:

Universitätsklinikum Tübingen
Medizinische Klinik, Abt. Innere Medizin I
Univ.-Prof. Dr. med. Lars Zender
Leiter der Sektion für Gastrointestinale Onkologie
Otfried-Müller-Strasse 10, 72076 Tübingen
<link>Lars.Zender[at]med.uni-tuebingen.de

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Hochschulkommunikation
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Leitung
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Pressereferentin
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