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21.03.2016
Neue Wiesen sollten aus Saatgut der gleichen Region entstehen
Forscherteam unter Beteiligung der Universität Tübingen stellt fest, dass Pflanzen aus Samen von lokalen Blumen und Gräsern ortsfremden Artgenossen überlegen sind
Bunte, weniger intensiv genutzte Wiesen sind attraktiv und bieten einen wertvollen Lebensraum für viele Pflanzen und Tiere. Doch vielerorts sind sie selten geworden. Um wieder mehr solcher Gras- und Kräuterwelten zu schaffen, muss man die entsprechenden Pflanzen meist aussäen. Doch mit welchen Samen? Viele Wissenschaftler und Naturschützer plädieren für Saatgut aus der gleichen Region, in der die künftige Wiese liegt. Die Arbeitsgruppe von Professor Oliver Bossdorf vom Institut für Evolution und Ökologie der Universität Tübingen hat nun zusammen mit Kollegen der Universität Münster, der TU München und des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) in Halle untersucht, wie sinnvoll dieser Ansatz ist. Zwei von den Wissenschaftlern in der Fachzeitschrift Journal of Applied Ecology veröffentlichte Studien belegen, dass das Regio-Saatgut tatsächlich Vorteile hat.
Im Forstbereich wird vielfach genau festgelegt, aus welcher Region das für eine bestimmte Baumpflanzung vorgesehene Saatgut stammen muss. Damit tragen Förster der Erkenntnis Rechnung, dass es innerhalb jeder Art Varianten gibt, die sich an die speziellen Herausforderungen ihrer Lebensräume angepasst haben. Für Wiesenpflanzen gab es solche Regelungen bisher nicht. Allerdings darf in Deutschland von 2020 an für die Rekultivierung von Wiesen in der freien Landschaft nur noch Regio-Saatgut verwendet werden. Wissenschaftler der Universität Hannover haben deshalb ein Konzept entwickelt, das Deutschland anhand verschiedener geografischer Kriterien in 22 Herkunftsgebiete einteilt. Etliche Firmen bieten bereits Saatgut aus diesen definierten Regionen an. In der Praxis hat sich das Regio-Saatgut aber noch nicht durchgesetzt. Im Gegenteil: die meisten Saatgutmischungen verwenden Samen, die günstig im Ausland produziert wurden. Allein in den Jahren 2007 und 2008 hat Deutschland 13.000 Tonnen Gras- und 280 Tonnen Kräutersamen importiert. „Diese Pflanzen sind dann aber vielleicht an die Umweltbedingungen in Kanada oder Neuseeland angepasst und nicht an die in Baden-Württemberg“, erklärt Oliver Bossdorf.
Das Wissenschaftlerteam wollte genauer wissen, wie groß die genetischen Unterschiede zwischen Artgenossen aus unterschiedlichen Herkunftsgebieten sind. Sie haben sieben häufige Wiesenpflanzen untersucht, die aus acht der 22 deutschen Herkunftsgebiete stammten. „Bei allen Arten haben wir genetische Unterschiede zwischen den Regionen gefunden“, resümiert Dr. Walter Durka vom UFZ. Wie groß diese sind, hängt allerdings von der Biologie der jeweiligen Pflanze ab. Gräser, die vom Wind bestäubt werden, tauschen ihre Erbinformationen oft über relativ große Entfernungen aus. Daher haben die Forscher beim weit verbreiteten Glatthafer die geringsten genetischen Unterschiede zwischen den Regionen gefunden. Anders bei der Kuckucks-Lichtnelke: Diese Art lässt ihren Pollen von Insekten verteilen – mitunter sogar zwischen Blüten der gleichen Pflanze. Zudem ist sie deutlich seltener als der Glatthafer. „Das alles führt zu einem geringen Genfluss und damit zu großen genetischen Unterschieden zwischen den Populationen“, erklärt Durka. Bei einigen Arten wie etwa dem Weißen Labkraut gelte: Je größer die Entfernung und je unterschiedlicher das Klima zwischen zwei Herkunftsregionen ist, umso deutlicher fallen auch die genetischen Unterschiede aus. Durka hält dies für ein deutliches Indiz, dass diese Pflanzen regional angepasst sind.
Die Annahme hat das Team im Rahmen einer zweiten Studie getestet. Dazu haben die Forscher die sieben Arten aus den acht Regionen in Freising, Tübingen, Halle und Münster angepflanzt und beobachtet, wie gut sie sich entwickelten und wann sie blühten. „Bei vielen der untersuchten Wiesenarten war es tatsächlich so, dass nach der entsprechenden regionalen Herkunft ausgewählte Pflanzen besser wuchsen“, berichten Bossdorf und Dr. Anna Bucharova von der Universität Tübingen. So produzierten die der Region angepassten Gewächse im Schnitt sieben Prozent mehr Biomasse und zehn Prozent mehr Blütenstände als Artgenossen, die aus anderen Gegenden stammten. Auch die ungewöhnlich warmen Temperaturen im Versuchssommer 2013 änderten daran nichts. Obwohl sie in den Versuchsgärten im Jahr 2013 um 1,5 bis zwei Grad über dem langjährigen Mittel lagen, hatten die Gewächse aus wärmeren Regionen keinen Vorteil. „Wir haben kein Indiz dafür gefunden, dass es sinnvoll sein könnte, im Vorgriff auf den Klimawandel generell Saatgut aus wärmeren Regionen zu verwenden“, sagt Bossdorf. Neben der Temperatur könnten zum Beispiel auch die Tageslänge oder die Zusammensetzung der Mikrobengemeinschaften am Standort eine wichtige Rolle spielen.
Doch nicht nur die Pflanze selbst profitiert von ihrer regionalen Anpassung. Die Forscher stellten fest, dass zum Beispiel bei Wiesen-Flockenblumen verschiedener Herkunft bis zu 17 Tage zwischen den Blühterminen lagen, beim Weißen Labkraut sogar bis zu 23 Tage. „Das ist aus ökologischer Sicht sehr viel“, sagt Anna Bucharova. Schließlich haben sich zahlreiche Tierarten von den Bestäubern über die Bewohner der Blütenköpfe bis zu den Samenfressern auf den regional üblichen Zeitplan eingerichtet. „Es kann durchaus sein, dass ganze Lebensgemeinschaften in Schwierigkeiten kommen, wenn gebietsfremde Pflanzen zur falschen Zeit blühen“, befürchtet sie. Die Wissenschaftler befürworten daher generell den Einsatz von regionalem Saatgut bei Wiesenpflanzen.
Publikationen
Durka W, Michalski SG, Berendzen KW, Bossdorf O, Bucharova A, Hermann JM, Hölzel N, Kollmann J (2016): Genetic differentiation within multiple common grassland plants supports seed transfer zones for ecological restoration. Journal of Applied Ecology, DOI: 10.1111/1365-2664.12636.
Bucharova A, Michalski SG, Hermann JM, Heveling K, Durka W, Hölzel N, Kollmann J, Bossdorf O (2016): Genetic differentiation and regional adaptation among seed origins used for grassland restoration: lessons from a multispecies transplant experiment. Journal of Applied Ecology, DOI: 10.1111/1365-2664.12645
Das Weiße Labkraut (Galium album). Foto: Walter Durka |
Kontakt:
Dr. Anna Lampei-Bucharova & Prof. Dr. Oliver Bossdorf
Universität Tübingen
Institut für Evolution & Ökologie
Telefon: + 49 7071 29-72610
E-Mail: oliver.bossdorf[at]uni-tuebingen.de
<link http: www.uni-tuebingen.de plantevoeco>www.uni-tuebingen.de/plantevoeco
Dr. Walter Durka
UFZ-Department Biozönoseforschung
Telefon: + 49 345 5585-314
E-Mail: walter.durka[at]ufz.de
<link http: www.ufz.de>www.ufz.de/index.php
Weiterführende Links:
Einführung in das Regio-Saatgut-Konzept und Karte der Herkunftsgebiete:
<link http: www.regionalisierte-pflanzenproduktion.de>www.regionalisierte-pflanzenproduktion.de
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