Pressemitteilungen
08.12.2016
Tierversuche an Affen sind für die biomedizinische Forschung unverzichtbar
Stellungnahme der Universität
An den Instituten der Universität Tübingen sowie an Partnerinstituten am Standort werden weiterhin Tierversuche durchgeführt. Diese Versuche dienen in ihrer überwiegenden Mehrheit der biomedizinischen Grundlagenforschung. Das Bemühen um ein tieferes Verständnis biologischer Prozesse ist ein unverzichtbares Fundament, auf dem weiterführende Forschung zu Anwendungen, Medikamenten, Heil- und Behandlungsmethoden fußt. In weiten Bereichen ist zur Errichtung dieses Fundaments ein Verständnis systemischer Körperfunktionen notwendig, das nicht an Zellkulturen erworben werden kann. Die Erforschung von Kreislauf, Immunsystem, Hirnfunktionen etc. erfordert den lebenden Organismus, in den die sogenannten bildgebenden Untersuchungen des Menschen wie die Kernspintomographie in den wenigsten Fällen einen ausreichend präzisen und verlässlichen Einblick erlauben.
Unter den Versuchstieren, die in Tübingen gehalten werden, sind auch einige wenige nichthumane Primaten. Sie werden eingesetzt, wenn ein besonders hohes Maß an Ähnlichkeit zu den Verhältnissen beim Menschen erforderlich ist. Das gilt nicht zuletzt für viele Anliegen der modernen Neurowissenschaften. Hier ist es die Verfügbarkeit eines Modellorganismus, des „Primatenmodells“, dessen Hirnfunktionen denen des Menschen in vielen Aspekten gleichen, die viele entscheidende Durchbrüche, wie etwa die Tiefenhirnstimulation („Hirnschrittmacher“) zur wirksamen Behandlung der Parkinsonschen Krankheit möglich gemacht hat. Die Erkenntnisse, die zur Entwicklung der Tiefenhirnstimulation führten, wurden in den Achtziger Jahren durch Tierversuche errungen. Die Technik wurde 1997 in den USA erstmals als Therapie zugelassen. Bis heute wurden mit ihr weltweit über 100.000 Patienten erfolgreich behandelt.
Die Universität Tübingen folgt der ethischen Verpflichtung, größte Anstrengungen zu unternehmen, die vergleichbare Erfolge mit Blick auf viele andere, bislang nicht gelöste Probleme versprechen. Solche Fortschritte werden von Millionen Patienten ersehnt, die an den Folgen von Parkinson, Alzheimer, Depressionen, Ataxien, Schlaganfällen, Multipler Sklerose etc. leiden. Auch abseits neurologischer Funktionsstörungen sind Versuche mit nichthumanen Primaten ein zurzeit noch notwendiges Werkzeug des Erkenntnisgewinns, der eines Tages die wirksame Bekämpfung von Ebola, Malaria, HIV, Zika und diversen Krebsformen ermöglichen mag.
Am 7. Dezember kritisierte Dr. Jane Goodall in ihrem Vortrag in Tübingen die hier durchgeführten Tierversuche, insbesondere die Versuche mit nichthumanen Primaten. Die Leitung und das wissenschaftliche Personal der Universität Tübingen empfinden tiefsten Respekt für die Person und das Lebenswerk von Dr. Goodall, ihre wissenschaftlichen Verdienste und ihre Leistungen auf dem Gebiet des Arten- und Tierschutzes.
Nicht zuletzt ihre Verdienste um den Artenschutz hat Dr. Goodall unter anderem deshalb erbringen können, weil sie sich wie wenige andere den von ihr erforschten Tieren widmet. Eine der größten Bedrohungen der dezimierten Restpopulationen der Menschenaffen sind dieselben tödlichen Seuchen, die – wie Ebola, Zika, Poliomyelitis u.v.a.m. – Menschen bedrohen. Eine Seuche, die wie Ebola bis zu 90% der Betroffenen tötet, würde z.B. mit großer Wahrscheinlichkeit die wenigen 100 Tiere der verbleibenden Virunga-Berggorilla-Population auslöschen. Forschung an wirksamen Impfstoffen gegen Ebola liegt daher im Interesse der bedrohten Menschen, aber eben auch der bedrohten Menschenaffen.
Im Jahr 1966 bekämpfte Dr. Goodall erfolgreich den Ausbruch einer Polio-Epidemie unter einer Gruppe der von ihr untersuchten Schimpansen in Gombe, Tansania, indem sie einen Impfstoff in deren Bananen mischte. Dass die Polio-Schluckimpfung fünf Jahre zuvor mithilfe von Tierversuchen entwickelt worden war und dass jede Charge des Impfstoffs an Rhesusaffen getestet werden musste, nahm sie zur Rettung ihrer Schutzbefohlenen offenbar in Kauf. Diese Entscheidung schien Dr. Goodall wohl ethisch vertretbar. Das ist nachvollziehbar, aber warum sollte es dann falsch sein, für die Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten verantwortungsvoll konzipierte Tierversuche durchzuführen, die etwa im Falle der Kinderlähmung jedes Jahr mehreren Hunderttausend zumeist jungen Menschen den Tod oder schwerste Behinderung erspart hat.
Mit Blick auf die von Dr. Goodall vorgebrachte Kritik betont die Universität Tübingen daher, dass sie die Notwendigkeit von Tierversuchen stets intensiv prüft und ethisch reflektiert. Das Wohl und der Schutz der Tiere wird mit dem Wert von Erkenntnissen abgeglichen, die das Leiden und den Tod zahlloser Menschen verhindern oder doch zumindest lindern könnten.
Eberhard Karls Universität Tübingen
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