Pressemitteilungen
07.10.2019
Wie den letzten Mammuts eine einsame Insel zum Verhängnis wurde
Ein isolierter Lebensraum, Wetterextreme und die mögliche Ankunft der Menschen führten vermutlich vor 4.000 Jahren zum Aussterben der Pflanzenfresser
Die letzten Wollhaarmammuts lebten auf der Wrangelinsel im arktischen Ozean und starben vor 4.000 Jahren innerhalb kürzester Zeit aus. Ein internationales Forschungsteam der Universitäten Tübingen und Helsinki sowie der Russischen Akademie der Wissenschaften hat nun das Szenario rekonstruiert, das zu ihrem Aussterben geführt haben könnte. Das Forschungsteam geht davon aus, dass eine Kombination aus der isolierten Insellage und extremen Wetterereignissen sowie die Ausbreitung der Urmenschen für das Verschwinden der Mammuts verantwortlich sind. Professor Hervé Bocherens und Dr. Dorothée Drucker vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment (HEP) der Universität Tübingen waren an der Studie beteiligt, die in der Fachzeitschrift Quaternary Science Reviews veröffentlicht wurde.
Mammuts waren während der letzten Eiszeit, vor etwa 100.000 bis 15.000 Jahren, auf der Nordhalbkugel von Spanien bis Alaska weit verbreitet. Aufgrund der Klimaerwärmung, die vor 15.000 Jahren begann, verkleinerte sich ihr Lebensraum auf Nordsibirien und Alaska. Auf der Wrangelinsel wurden einige Mammuts durch den steigenden Meeresspiegel vom Festland abgeschnitten. Diese Population überlebte um mehrere tausend Jahre länger als ihre Verwandten auf dem Kontinent.
Das Forschungsteam aus Deutschland, Finnland und Russland untersuchte die Isotopenzusammensetzung von Kohlenstoff, Stickstoff, Schwefel und Strontium von mehr als 170 Mammutknochen und -zähnen aus Nordsibirien, Alaska, dem Yukon und der Wrangelinsel. Die Funde waren zwischen 40.000 und 4.000 Jahre alt. Ziel war es, mögliche Veränderungen der Ernährung und des Lebensraums der Mammuts zu dokumentieren, um Störungen in der Umwelt belegen zu können. Danach änderten sich die Kollagen-Kohlenstoff- und Stickstoffisotopenzusammensetzungen der Mammuts von der Wrangelinsel während der Klimaerwärmung vor rund 10.000 Jahren nicht. Die Werte blieben stabil, bis die Mammuts verschwanden – anscheinend mitten aus unverändert günstigen Lebensbedingungen.
Dieses Ergebnis steht im Gegensatz zu den Erkenntnissen über Wollhaarmammuts aus der ukrainisch-russischen Ebene, die vor 15.000 Jahren ausstarben, und zu den Mammuts der Insel Saint-Paul in Alaska, die vor 5.600 Jahren verschwanden. In beiden Fällen zeigten die letzten Vertreter dieser Populationen deutliche Veränderungen in ihrer Isotopenzusammensetzung. Dies weist auf eine Veränderung ihrer Umwelt kurz vor dem lokalen Aussterben hin.
Frühere DNA-Studien weisen darauf hin, dass der Fettstoffwechsel der Mammuts auf der Wrangelinsel durch Mutationen beeinträchtigt wurde. Bocherens und sein Team fanden einen bemerkenswerten Unterschied zwischen den Wrangelinsel-Mammuts und ihren sibirischen Vorgängern: Bestimmte Kohlenstoffisotopenwerte offenbarten Unterschiede in den Fetten und Kohlenhydraten, von denen sich die Mammuts ernährten. „Wir nehmen an, dass die sibirischen Mammuts eher von ihren Fettreserven zehrten, um die extrem harten Eiszeitwinter zu überstehen. Die Mammuts von der Wrangelinsel lebten hingegen unter milderen Bedingungen, sie brauchten keine Fettreserven“, sagt die Teamleiterin Dr. Laura Arppe vom Finnischen Museum für Naturgeschichte an der Universität Helsinki. Zudem wiesen die Knochen Schwefel- und Strontiumwerte auf, die darauf hindeuteten, dass das Grundgestein zum Ende der Mammutpopulation stärker verwitterte. Dies könnte sich auf die Qualität des Trinkwassers ausgewirkt haben.
Warum also verschwanden die letzten Wollhaarmammuts so plötzlich? Die Forscher vermuten, dass sie durch kurzfristige Ereignisse ausgestorben sind. Zum Beispiel könnten extreme Wetterereignisse wie Regenfälle auf Schnee dazu geführt haben, dass der Boden von einer dicken Eisschicht bedeckt wurde, sodass die Tiere nicht genügend Nahrung fanden. Solche Szenarien hätten einen dramatischen Populationsrückgang zur Folge, der schließlich bis zum Aussterben geführt haben könnte. „Es ist vorstellbar, dass die Population, die vielleicht durch genetische Mutationen und schlechte Trinkwasserqualität geschwächt war, durch Einwirkung von extremen Wetterbedingungen ausgestorben ist“, sagt Bocherens. Ein weiterer möglicher Faktor könnte die Ausbreitung der Menschen gewesen sein. Die frühesten archäologischen Zeugnisse von Menschen auf der Wrangelinsel sind nur wenige hundert Jahre jünger als der jüngste Mammutknochen. Die Chance, Spuren der Jagd durch Menschen auf die Mammuts zu finden, ist sehr gering. Die Möglichkeit, dass auch Menschen zum Aussterben der Mammuts beigetragen haben, kann dennoch nicht ausgeschlossen werden.
Diese Studie zeigt, warum isolierte kleine Populationen großer Säugetiere besonders gefährdet sind, durch extreme Umwelteinflüsse oder menschliches Verhalten auszusterben. Die Erhaltung von großen, nicht voneinander isolierten Populationen kann helfen, das Aussterben von Tierarten zu verhindern. Dies ist eine wichtige Erkenntnis im Hinblick auf den Artenschutz.
Publikation:
Arppe, L., Karhu, J.A., Vartanyan, S., Etu-Sihvola, H., Drucker, D.G., Bocherens, H., 2019. Thriving or surviving? The isotopic record of the Wrangel Island woolly mammoth population. Quaternary Science Reviews 222, 105884. https://doi.org/10.1016/j.quascirev.2019.105884
Kontakt:
Prof. Dr. Hervé Bocherens
Universität Tübingen
Fachbereich Geowissenschaften – Paläobiologie
Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment (HEP)
+49 7071 29-76988
herve.bocherensspam prevention@uni-tuebingen.de
Pressekontakt:
Eberhard Karls Universität Tübingen
Hochschulkommunikation
Dr. Karl Guido Rijkhoek
Leitung
Antje Karbe
Pressereferentin
+49 7071 29-76789
Telefax +49 7071 29-5566
antje.karbespam prevention@uni-tuebingen.de
www.uni-tuebingen.de/universitaet/aktuelles-und-publikationen
Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Judith Jördens
Pressestelle
Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
069- 7542 1434
pressestellespam prevention@senckenberg.de