Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 2/2010: Forum

Pro & Contra: Griechenlandhilfe der Europäischen Union

Zwei Standpunkte von Martin Nettesheim und Joachim Starbatty


Professor Dr. Martin Nettesheim (Juristische Fakultät, Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht, Völkerrecht, Europarecht und auswärtige Politik)

PRO

Professor Dr. Dr. h.c. Joachim Starbatty (Emeritus der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät und Vorsitzender des Vorstands der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft e.V.)

CONTRA

Pro

von Martin Nettesheim

Die europäische Währungsunion war und ist ein politisches Projekt. Sie steht in der langen Reihe von Integrationsmaßnahmen, die den Weg vom zerstörten Europa der Nachkriegszeit zu einer friedlichen Föderation von Staaten bilden. Man mag über die Angemessenheit der Hilfe für Griechenland, die Zweckmäßigkeit der gewählten Konstruktion und die Bewältigung der entstandenen Krise politisch diskutieren. Die Rechtskonformität der zum Schutz des Euros ergriffenen Maßnahmen steht aber außer Frage. Zwar sind die europäischen Verträge in der Frage, ob die Europäische Union (EU) einem finanzpolitisch disziplinlosen Mitgliedstaat zu Hilfe eilen könnte, nicht wirklich eindeutig. Überwiegend werden das "Griechenland-Hilfspaket" und das "Euro-Rettungspaket" jedoch nicht von der EU, sondern von den souverän handelnden Mitgliedstaaten getragen.

Der kleine Beitrag der EU – der Europäische Stabilisierungsmechanismus – findet als Hilfsmaßnahme im EU-Vertrag eine Grundlage. Der größere Teil beruht auf einer politischen Entscheidung der Mitgliedstaaten. Vor dem Hintergrund seiner gegenwärtigen Rechtsprechung wird das Bundesverfassungsgericht hiergegen nicht einschreiten. In seinem Lissabon-Urteil (BVerfGE 123, 267 = NJW 2009, 2267) hat das Bundesverfassungsgericht der EU weitgehende Fesseln angelegt. Aber diese Fesseln greifen nicht, wenn die Mitgliedstaaten sich zu einer horizontalen Hilfsmaßnahme – also zu einer Maßnahme auf Ebene der Mitgliedstaaten, ohne ein Tätigwerden der höheren Ebene, in diesem Falle die EU – entschließen. Wenngleich es theoretisch denkbar ist, dass das Bundesverfassungsgericht seine interventionistische Überwachung der Europapolitik auf horizontale Maßnahmen der Mitgliedstaaten ausdehnt, erscheint ein Eingreifen wegen der unabsehbaren politischen und ökonomischen Folgen praktisch ausgeschlossen.

Contra

von Joachim Starbatty

Ein zentraler Satz der Römer lautet: "Pacta sunt servanda". Dieser Satz ist Grundlage jedes Rechtsstaats. Die Europäische Währungsunion war mit der Zusicherung eingeführt worden, dass sie eine Stabilitätsgemeinschaft werden müsse; anderenfalls werde die vertragliche Konzeption für die Währungsunion verlassen, so das Bundesverfassungsgericht in seinem Maastricht-Urteil von 1993 (BVerfGE 89, 155 vom 12. Oktober 1993, Az: 2 BvR 2134, 2159/92). Die "no bail out-Klausel" des Art. 125 Lissabon-Vertrag – weder die Gemeinschaft noch ein Mitgliedstaat haftet für die finanziellen Verbindlichkeiten eines Mitgliedstaates – soll das Abrutschen der Stabilitätsgemeinschaft in eine Transferunion verhindern. Wenn heute einzelne Europarechtler und Politiker den Art. 125 so auslegen, als ob er freiwillige Hilfe nicht ausschließe, so ist dreierlei zu entgegnen:


Der am 11. Mai beschlossene Rettungsschirm in Höhe von 750 Milliarden Euro stützt sich auf Art. 122 Abs. 2 Lissabon-Vertrag. Doch handelt es sich im Falle Griechenlands und anderer notleidender Staaten nicht um eine Naturkatastrophe oder um einen nicht vorsehbaren Ausnahmezustand, sondern um eine Finanz- und Wirtschaftskrise, die sich seit langem ankündigte. Bei der Berufung auf Art. 122 Abs. 2 wird Ursache und Wirkung verwechselt. Wer glaubt, die Vorschriften des Lissabon-Vertrags beiseite schieben zu müssen, um den Euro und die Europäische Union zu retten, wird sie gerade dadurch zerstören.

Zum Lissabon-Vertrag vgl. die elektronische Fassung, insbesondere Seite. 52f.