Maximilian Priester-Lasch studiert als teilnehmender Beobachter das Miteinander von Beschäftigten in deutsch-indischen Unternehmen. Jetzt soll aus seinen Erkenntnissen ein Beratungskonzept reifen. Die Universität Tübingen fördert den Postdoc dabei mit einem „Innovation Grant“ über ihr Zukunftskonzept im Rahmen der Exzellenzinitiative.
Die Doktorarbeit von Maximilan Priester-Lasch, 37, zog sich lange hin. Von 2011 bis 2017. Immer wieder besuchte der Kulturanthropologe dabei denselben Betrieb in der Stadt Pune (Poona) in Indien. Beim ersten Mal blieb er drei Monate, arbeitete als Praktikant im Büro mit. Dabei sah er sich um, führte zahlreiche Interviews und schloss Freundschaften. Beim zweiten, sechs Monate langen Aufenthalt drei Jahre später hatte er bereits eine Visitenkarte mit dem Titel „Assistant Professor“ dabei. Die indischen „Kollegen“ behandelten ihn jetzt wie eine Führungskraft. Der Wissenschaftler nahm an Besprechungen des Managements teil und telefonierte regelmäßig mit dem Projektleiter des deutschen Automobilzulieferers, der das Unternehmen, eine Fabrik für Motorenteile, im Jahr 2011 übernommen hatte. Mit dem dritten, einmonatigen Besuch im Jahr 2015 war die Feldforschung abgeschlossen.
Die Dissertation trägt den beschaulichen Titel: „Eine Reise nach Indien. Übersetzungen eines Modells“. Doch es geht darin um ernsthafte Probleme. Bei dem Versuch, die Organisationskultur zu verändern und die Mitarbeiter zu mehr Kreativität und Selbständigkeit zu motivieren, war das deutsche Management zunächst komplett gescheitert. Der Ethnologe wurde Zeuge, wie in einer Betriebsversammlung Trainingskurse angekündigt und Maßnahmen der Qualitätssicherung beschlossen wurden, die „ab sofort“ umgesetzt werden sollten. Doch es geschah – nichts. „Wir sind noch nicht dazu gekommen“, sagten die Arbeiter, als der verantwortliche Abteilungsleiter Wochen nach der Versammlung die Fabrik inspizierte. Sie fanden Ausflüchte, doch das wirkliche Problem steckte tiefer: Die Management-Methoden aus dem Werkzeugkasten westlicher Unternehmen funktionierten in Indien nicht.
Priester-Lasch wurde klar, dass die Führung die „Übersetzung“ ihres Ansatzes verändern musste: Die Weitergabe der Ziele von oben nach unten musste an indische Wertvorstellungen angepasst werden. „Damit Änderungen akzeptiert werden, müssen sie mit lokalen Instrumenten umgesetzt werden“, sagt der Sozialwissenschaftler. Als Beispiel nennt er die Schlichtung von Konflikten durch gewählte Räte im Betrieb, die den Dorfräten der Region („panchayat“) nachempfunden sind. Und statt neue Autoritäten zu etablieren, sei es zielführender, auf existierende Lehrer-Schüler-Beziehungen zu setzen, auf die „guru-shishya“-Tradition. Kurz: Der teilnehmende Beobachter wuchs immer stärker in die Rolle des Unternehmensberaters hinein.
Diese möchte Maximilian Priester-Lasch nun zu seinem Beruf machen: Unter dem Motto „Interchange – Intercultural Change Management“ will er sich als Berater für deutsch-indische Unternehmen selbständig machen. Den Markt dafür gibt es: Priester-Lasch hat recherchiert, dass allein in der Industriestadt Pune, einem Zentrum des Maschinenbaus, 70 Unternehmen Eigentümern aus Baden-Württemberg gehören. 300 deutsch-indische Unternehmen gibt es insgesamt in der Stadt.
Bei seinem Vorhaben unterstützt ihn seit Anfang 2018 die Abteilung Wirtschaftskoordination der Universität Tübingen, die Teil des Zukunftskonzepts der Hochschule ist. Im Rahmen der Exzellenzinitiative vergibt sie sogenannte Innovation Grants. Sie sollen Nachwuchskräften helfen, „ihre in der Doktorarbeit gewonnenen Erkenntnisse in verwertbare Verfahren, Dienstleistungen oder Produkte umzusetzen.“ Die Universität finanziert zwei Jahre lang die Stelle des des Grantinhabers bzw. der Grantinhaberin sowie eine oder mehrere Hilfskräfte. Diese Förderung ist unabhängig davon, ob die Selbstständigkeit oder ein Angestelltenverhältnis angestrebt wird. Hinzu kommen Sachmittel und Reisekosten.
Maximilian Priester-Lasch hat besonders von einem von der Wirtschaftskoordination organisierten Workshop profitiert, in dem er von Wirtschaftswissenschaftlern lernte, wie man einen Businessplan schreibt. Nun hält er Ausschau nach einem geeigneten Pilotkunden: ein deutsch-indisches Unternehmen, das sich auf die etwas ungewöhnlichen Management-Methoden eines Ethnologen einlassen möchte.
Judith Rauch